Skip to main content

„White Jihadism“ in England

Matthew Collins, HOPE NOT HATE
Einleitung

Rechtsterroristische Strukturen im englischsprachigen Raum basteln seit einigen Jahren an neuen ideologischen Grundlagen, die sie von allen moralischen Beschränkungen befreien und andere zu Gewalt ermutigen. Neben die bekannten Elemente neonazistischer Ideologie wie Rassismus, Antisemitismus und Sozialdarwinismus treten satanistische und islamistische Anleihen, jihadistische Strategien und eine ausgeprägte Rape Culture. Der selbstgewählte Begriff des „White Jihadism“ versucht dieses neugeschaffene ideologische Konzept zu fassen.

Foto: North Wales Police

Zack Davies - White Jihadist und Mitglied der rechten Terrorgruppe „National Action“.

Am 15. Januar 2019 wurde im walisischen Mold der asiatische Zahnarzt Dr. Sarandev Bhambra Sandip in einem Supermarkt unvermittelt mit einem Hammer und einer Machete angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Der Angreifer war der 26 Jahre alte Schulabbrecher und Internettroll Zack Davies. Sein Motiv: mörderischer Rassismus.

Die Berichterstattung über den Anschlag zeugte von großer Verwirrung über die ideologische Ausrichtung des Täters. Davis wurde sowohl als „einsamer Wolf“ der mili­tanten Neonaziszene beschrieben wie auch als islamistischer Konvertit mit starkem Bezug zum islamistischen Fundamentalismus portraitiert. Er war einerseits ein großer Verehrer von „Jihadi John“, dem wohl berüchtigtsten Henker der islamistischen Terrororganisation IS mit britischem Akzent. Andererseits war er Mitglied der rechtsterroristischen "National Action" (NA) (Siehe AIB Nr. 107 und Nr. 124), für die er an britischen Universitäten den Eindruck erwecken sollte, NA sei ein Zusammenschluss von Studierenden. Seine Social Media Profile waren zugemüllt sowohl mit Glorifizierungen von Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus als auch mit klaren Bezügen zu islamistischem Fundamentalismus und Terror. Häufig verwendete er selbst die Sprache und Symbole des IS. Und tatsächlich kann Zack Davis als der erste Vertreter des „White Jihad“ in Großbritannien betrachtet werden.

Viele Jahre lang gab es etliche Möchtegern-Terroristen in der extremen Rechten in Großbritannien. Die Aussicht, bei einem Anschlag selbst zu sterben oder für viele Jahre im Gefängnis zu sitzen schien für viele jedoch nicht sonderlich attraktiv zu sein. Und obwohl unablässig das Ideal des nationalsozialistischen Märtyrers propagiert wurde, war offenbar niemand bereit, als Märtyrer zu enden. Die Gruppierung NA hingegen meinte ihre Terrorabsichten ernst. Seit ihrer Gründung 2013 waren die Mitglieder besessen von jihadistischen Konzepten. Im Internet bewunderten sie das brutale Vorgehen des IS, die kompromisslose Durchsetzung des Kalifats im mittleren Osten gegen alle Widerstände, den Massenmord an den Jesid_innen und die Versklavung jesidischer Frauen und Mädchen. Der IS war ihnen ein Vorbild, dem die NA zur Durchsetzung ihrer gesellschaftlichen Visionen nacheifern wollte.

Wie die britischen Rekruten des IS verachtete auch die NA das politische System Großbritanniens als kaputt, falsch und fremdartig. Gemeinsam war ihnen auch das Bedürfnis nach radikaler Abgrenzung zu allem, was ihnen als etabliert galt. Und so war die Begeisterung für die blutrünstigen Morde und Vergewaltigungen der IS-­Rekruten groß, die als „Foreign Fighters“ aus eben jenen britischen Städten in den sogenannten heiligen Krieg zogen, in denen auch die NA operierte. Für NA hatten die Jihadisten den ultimativen und einzig konsequenten Weg gewählt, um sich gegen das verhasste System zur Wehr zu setzen.

Die Frauenfeindlichkeit und die Warnungen vor dem Feminismus, wie sie z.B. mit dem für die NA wichtigen Roman „The Turner Diaries“ verbreitet wurden, ist nichts im Vergleich zu dem Hass auf Frauen, wie er in der NA gelebt wurde. In der Gruppe wurden massenweise pornographische Videos mit brutalster Gewalt gegen Frauen geteilt. Vergewaltigungen von Frauen und Kindern wurden offen als politische Strategie diskutiert, einzelne ermunterten sich sogar, Frauen im eigenen Umfeld zu Testzwecken zu vergewaltigen.

Der britische Terrorist Jack Renshaw, ebenfalls ein Mitglied der NA, war es, der sich innerhalb seiner Gruppierung für sexuelle Gewalt und Missbrauch an Kindern einsetzte. Er war es auch, der sich innerhalb der NA vehement für die Ermordung einer Parlamentsabgeordneten und einer Polizistin aussprach, die Taten plante und sie zu Akten eines notwendigen „White Jihad“ verklärte. Darüber hinaus traten NA-Mitglieder offensiv in rechten Online-Foren auf, um dort ihre stetig wachsende Anhängerschaft zu Vergewaltigungen und Folter von politischen Gegner_innen zu ermutigen. Dazu wurden meist Memes erstellt, auf denen bekannte britische Antifaschist_innen, Journalist_innen und Poliker_innen zu erkennen waren. In diesen Memes stilisierten sich die Täter zu machtvollen, starken und weißen Männern mit großen Penissen.

Wenngleich der frühere Anführer der NA, Christopher Lythgoe, etliche Rechtfertigungen für seine dystopischen Alpträume im Koran fand, so war es vor allem der Einfluss von Satanisten, der den jungen Männern nicht nur eine moralische, sondern auch eine spirituelle Legitimation für das Ausleben ihrer verdorbenen Begierden und ihres abgründigen Hasses bot. Spiritus Rectus dieser Entwicklung war Ryan Fleming, ein verurteilter Pädophiler mit Verbindungen zum satanistischen Orden „Order of Nine Angels”.

Dieser in Großbritannien beheimatete Orden ist stark sozial­darwinistisch und antisemitisch ausgerichtet, beschäftigt sich intellektuell mit Menschenopfern und bezieht sich explizit auf den Nationalsozialismus. Fleming schloss sich der NA an und war vorerst damit beauftragt, seine Kameraden in Konspiration zu trainieren. Schnell wurde er jedoch zu einem Vordenker der Gruppe, der maßgeblich zu ihrer Radikalisierung beitrug. Für die Gruppe war er u.a. im mittlerweile abgeschalteten Onlineforum „Iron March“ vertreten, in dem die international vernetzte extreme Rechte ihr gestiegenes Interesse an terroristischer Gewalt entdecken und diskutieren konnte.

Ein weiterer wichtiger Anstoß zur Entwicklung des Konzepts des „White Jihadism“ in Großbritannien kam zusätzlich aus den Vereinigten Staaten. Dort hat sich 2015 die rechtsterroristische "Atomwaffen Division" (AWD) gegründet, die jihadistische Terrorkonzepte, Rape Culture, Kindesmissbrauch und Satanismus zu wichtigen Elementen ihrer Ideologie erklärte. Sie exportierten nach Großbritannien was gemeinhin als „siege culture” verstanden wird. Basierend auf den Schriften des Neonazis James Mason werden terroristische Aktionen und Strategien beschworen, die langfristig zu einem Versagen staatlicher Institutionen und einem Aufstand der Weißen führen sollen.

Auf Grundlage gesellschaftlicher Degeneration und forcierter Zerstörung soll dann eine neue Weltordnung entstehen, in der eine „Weiße Vorherrschaft“ dominiert. Mason verfasste seine Schriften bereits in den 1980er Jahren und wurde selbst in militanten rechten Kreisen lange als Spinner abgetan. Seit 2015 verbreitet sich sein Werk jedoch rasant in rechten Onlineforen, spätestens seit sich die AWD von seinem Interesse an Okkultismus, Genozid und seinem politischen Nihilismus inspirieren ließ.

In den USA wird die AWD inzwischen mit acht Morden sowie mit Entführungen und Vergewaltigungen in Verbindung gebracht. In einem Fall eröffnete ein Mitglied der AWD das Feuer auf zwei Kameraden, die den Islam beleidigt hatten. Die ideologischen und strategischen Überlegungen der AWD fanden in Großbritannien einige Beachtung, nicht nur bei der NA.

Offenbar verfängt die Propaganda der "National Action", der "Atomwaffen Division" und ähnlicher Gruppierungen, die dem Spektrum des „White Jihadism“ zugerechnet werden können: Anfang des Jahres 2019 wurden zwei junge Männer verhaftet, denen  vorgeworfen wird, eine Reihe von Anleitungen zu Vergewaltigungen veröffentlicht zu haben. Auch in diesen wurde zu massiver sexueller Gewalt und Folter an Frauen, Kindern und politischen Gegner_innen aufgerufen. Ebenfalls 2019 wurde ein 16-Jähriger im Nord-Osten Englands wegen des Verdachts auf Vorbereitung schwerer terroristischer Gewalttaten festgenommen. Sein gesamtes Weltbild orientiert sich an den Grundelementen der „siege culture“ und des „White Jihadism“. In Vorbereitung auf seinen Kampfeinsatz hatte er sich offenbar sehr gezielt emotional abgehärtet: Durch unzählige Grausamkeiten gegen Mitglieder der eigenen Familie.

Die Zahl der Festnahmen von jungen Männern, die sich in rechten Online-Foren verloren haben und mit rechtsterroristischem Terror sympathisieren hat zuletzt stark zugenommen. Wovor diese nicht zurückschrecken, sollte mehr Menschen interessieren.