Skip to main content

„Ich bin bereit, etwas zu riskieren!“

Übersetzt von itsgoingdown.org
Einleitung

Viele Menschen kennen das „Good-Night-White-Pride“-Logo - eine Silhouette, auf der ein Antifaschist nach einem Neonazi tritt, der am Boden liegt. Aber nur wenige Leute wissen, dass das Bild während einer Demonstration gegen einen „Ku-Klux-Klan“-Aufmarsch am 9. Mai 1998 in Ann Arbor (Michigan) entstand. Verschiedene Gruppen wie die „Anti-Racist Action“ (ARA), die „Revolutionary Workers’ League“ (RWL) und das „National Women’s Rights Organizing Committee“ (NWROC) mobilisierten gegen den Aufmarsch. Es kam zu heftigen Konfrontationen mit einigen Verletzten. In den darauffolgenden Wochen starteten die Behörden und die Polizei von Ann Arbor eine beispiellose Strafverfolgungskampagne gegen linke Aktivist_innen, infolge derer 39 Antirassist_innen festgenommen und gegen 20 von ihnen Anklage erhoben wurde. 16 Anklagen mussten jedoch wieder fallengelassen werden, lediglich ein Aktivist wurde dafür verurteilt, einen Stein gegen einen Polizisten geworfen zu haben. Im Interview mit „itsgoingdown.org“ erzählt der Antifaschist Harlon Jones näheres zu den Gegenprotesten.

(Fotos: itsgoingdown.org)

Was hast du im Jahr 1998 gemacht?

1998 war ich 18 Jahre alt und arbeitete in einem Laden auf dem Campus der Universität. Meine Freunde und ich redeten oft über Politik. Uns war bewusst, was um uns herum passierte und wir waren gut informiert. Allerdings änderte sich dadurch nichts. Also sind wir an diesem Tag zu den Gegenprotesten gegen den Aufmarsch des rassistischen Ku Klux Klan gegangen.

Du hast also eine Trennung zwischen  Bewusstsein und Handlung gesehen?

Genau. Gerade heutzutage ist es so einfach, etwas zu posten und dann die Sache wieder zu vergessen. Damals war es notwendiger, direkt zu handeln. Für mich war es etwas, von dem ich Teil sein musste.

Warst du vorher schon mal bei einer  Demonstration wie dieser?

Ich habe vorher gemeinnützige Arbeit mit meinem Onkel in Kalifornien gemacht. Meine Familie stellte sicher, dass uns bewusst war, was um uns herum passierte. Aber diese Art der Konfrontation war für mich neu. Das Tolle an dieser Demo war, dass so viele verschiedene Leute dort waren. Die Leute wussten, dass das was sie machten richtig war und sie waren alle für dasselbe Ziel dort!

Bei der Studentenvereinigung wurden blaue Bandana-Tücher verteilt und Anwälte sagten uns, dass sie uns umsonst verteidigen würden, falls wir festgenommen würden. Die Demonstration ging von dort in die Innen­stadt. Alle riefen: „KKK! COME TO OUR TOWN? WHAT DO WE DO? SHUT ‘EM DOWN!“ Beim Rathaus stand die Polizei ausgerüstet mit Schildern, zusätzlich gab es Zäune mit Stacheldraht. Das war das erste Mal, dass ich so ein Polizeiaufgebot sah. Außerdem waren dort sogenannte „pea­ce keepers“ in gelben Jacken, die versuchten, uns zu beruhigen und zu über­reden, irgendwo anders hinzugehen und die „Kumbaya“ und ähnlichen Scheiß sangen.

Wie haben die Leute darauf reagiert?

Nicht so gut. Die Leute grenzten sie aus und erwiderten, dass sie zur Hölle fahren sollten. Zu diesem Zeitpunkt passierte noch nichts. Wir standen nur herum und versuchten herauszufinden, was der KKK macht.

Plötzlich rannten alle los. Wir rannten zu fünft hinter dem Typen auf dem Foto, seinem Freund und einer Frau hinterher. Sie waren gefragt worden, ob sie zum Ku Klux Klan gehörten und sagten „Ja“. Daher rannten wir hinter ihnen her. Als für eine Millisekunde Platz war, bin ich hin und trat ihn. Sofort danach sagte mir jemand, dass ich fotografiert worden bin. Derjenige hat mir angeboten, die Mützen zu tauschen. Für den Rest des Tages trug ich also nicht die gleiche Mütze. Auch wenn das Bild so bekannt ist, war das für mich nur ein kleiner Teil des Tages. Es war einfach unglaublich, wie alle an diesem Tag zusammenwirkten und miteinander redeten. Die Menge versuchte, durch das Tor in die Stadthalle zu kommen, während die „peace keepers“ versuchten, uns davon abzuhalten. Hinter der Stadthalle gab es ein zweites, kleineres Tor, zu dem wir in Kleingruppen gingen. Die Polizei stand hinter diesem Tor und wurde mit Steinen beworfen. Zu sehen, wie die Polizei sich zurückziehen musste, war die beste Szene, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Wir haben das Tor niedergerissen und jubelten, als die Polizei zurückkam und mit Tränengaspatronen auf die Leute schoss. Mein Freund Michael wurde direkt auf der Brust getroffen. Trotzdem war es ein Erfolg. Das Ziel war, dass der KKK niemals wiederkommt und das haben wir erreicht.

Als ich mich am nächsten Tag für die Arbeit fertigmachte, rief mich eine Freundin an und sagte: „Du bist auf der Titelseite!“ Ich dachte mir zunächst „Du musst sofort verschwinden“, bin dann aber doch zur Arbeit gegangen. Als ich das Foto auf der Titelseite sah, habe ich sofort eine Rasierklinge aus dem Regal genommen und meinen Kopf komplett rasiert, da die Polizei jeden Tag in den Laden kam, in dem ich arbeitete. Sie kannten mich, jeder kannte mich! Das Verrückte war, dass sie richtig Angst hatten, gegen mich zu ermitteln, weil sie dann eine negative Berichterstattung über die Universität riskiert hätten. Also haben sie gar nicht ermittelt.

Das ist seltsam, weil gegen viele andere Gegendemonstrant_innen sehr intensiv ermittelt wurde.

Ich war tatsächlich die Person, die am einfachsten zu finden war, aber sie haben mich nicht verfolgt. Ich denke, dass sie mich nicht verhaftet haben, weil die Universität zu dieser Zeit ein großes Problem mit den Beziehungen zu Menschen mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft (race) hatte.

Wie reagierten Andere auf das Foto?

Bis heute habe ich Freunde, die so stolz auf mich sind, dass sie mich zu sich einladen, damit ich ihren Kindern diese Geschichte erzähle. Sie wollen ihren Kindern zeigen, dass sie nicht verängstigt sein sondern etwas tun sollen.

Was denkst du über Leute, die sagen, dass es falsch war, was du gemacht hast?

Du musst dich mit deinen Entscheidungen wohl fühlen. Wenn mir Leute sagen, dass es falsch war, frage ich sie, was ihnen wichtig ist. Und wann sie das letzte Mal mehr gemacht haben, als sich nur darüber zu unterhalten.

Bei uns im Viertel wird viel über politische Themen diskutiert. Ich denke, wenn es einem wirklich wichtig ist, sollte man auch dazu bereit sein, etwas zu riskieren. Ich bin bereit, etwas zu riskieren. Wenn ich deswegen ein schlechter Kerl bin, weil ich gegen Ignoranz, Rassismus und den ganzen Scheiß kämpfe, meinetwegen.

Hast du im letzten Jahr die Veröffentlichung über das „Good Night White Pride“-­Bild und dessen Geschichte gelesen?

Ein Freund hat mich auf einen Post darüber aufmerksam gemacht, welcher US-Bundes­staat Schwarze am meisten hasst. Dort war dieser Neonazi mit einem Aufnäher mit dem „Good Night Left Side“-Logo zu sehen. Als ich dazu recherchierte, fand ich heraus, dass Neonazis dieses Logo benutzen, um dem Antifaschismus entgegenzutreten. Erst dadurch bin ich auf itsgoingdown.org gestoßen.

Also wusstest du gar nichts über das Logo, bevor du den Neonazi mit dem Aufnäher gesehen hast?

Genau. Mein bester Freund hat mich ermutigt, mich bei itsgoingdown.org zu melden. Ich bin sehr gerührt und habe nie erwartet, dass aus einem Vorfall, der jetzt zwanzig Jahre her ist, so etwas entstehen könnte. Es hat sich großartig angefühlt.

Dir war also nicht klar, dass dein Foto zu einem der berühmtesten Logos der antifaschistischen Bewegung geworden ist?

Ganz und gar nicht.

Was denkst du über die Neonazi-Version?

Ich fand es wahnsinnig komisch. Wir haben einige Hass-Foren besucht. Dort haben Leute auf den Hintergrund des Bildes hingewiesen. Aber es hat die Mehrheit nicht interessiert - diese Ignoranz ist belustigend. Ich finde es verrückt, wie jemand dieses Bild verbreiten kann und gleichzeitig dem Hintergrund gegenüber so ignorant sein kann. Und sie tragen es mit Stolz. Aber ich war sehr froh zu wissen, dass das Logo ursprünglich von Leuten stammt, die das Richtige tun.

Gab es für dich irgendeinen langfristigen Rückschlag in den letzten 18 Jahren?

Nicht wirklich. Ich mache viel gemeinnützige Arbeit mit männlichen Jugendlichen. Manchmal nutze ich den Vorfall, um ihrer Wut eine Orientierung zu geben oder um ihnen das Selbstbewusstsein zu geben, für das Richtige zu kämpfen, rauszugehen und es durchzuziehen.

Viele Menschen sind weltweit durch das Bild inspiriert worden. Gibt es etwas, dass du ihnen sagen möchtest?

Ich bin sehr gerührt, dass meine Aktion so eine Auswirkung hat – nicht nur auf eine Person, sondern auf viele Menschen weltweit- Unabhängig davon, wo wir wohnen oder ob wir die gleiche Sprache sprechen- bin ich genauso wie sie.
Ich grüße alle Menschen, die rausgehen und etwas unternehmen. Ich unterstütze jede Person und jede Organisation auch mit direkten Aktionen, wenn sie für die richtige Sache kämpfen.