Skip to main content

„Die Nacht, die alles verändert“

Sophie Tadeus
Einleitung

In der Nacht zum 1. Januar 2016 kam es rund um den Kölner Hauptbahnhof zu zahlreichen Eigentums- und Körperverletzungsdelikten und zu sexuellen Übergriffen auf Frauen. Von ähnlichen Vorfällen wurde auch aus weiteren deutschen Städten berichtet. Bei den vermuteten Tätern handelt es sich vornehmlich um Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und zum Teil ohne Aufenthaltsgenehmigung. Diese Tatsache bestärkte die bereits teilweise stark polemisierenden und emotionalisierenden Debatten über den Umgang in Deutschland mit der aktuellen Fluchtbewegung.

Bild: Faksimile von den Titelblättern der SZ und des Focus

Wer sind die Täter von Köln?

Die beständig steigende Zahl an Angriffen auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte sowie an rechten Online-Hassdelikten oder die organisierte Mobilisierung rassistischer Bürger_innen können als Manifestationen eines immer breiteren oder breiter agierenden rechten Milieus gelesen werden. Daneben verliert sich der Rassismus, der von der gesellschaftlichen Mitte ausgeht, oftmals im Schein einer Evidenz: Strukturen, Handlungs- und Denkweisen, die unseren Alltag ausmachen, erscheinen zumeist selbstverständlich. Auch solche, denen eine rassistische Logik von Ausschluss und Zugehörigkeit zugrunde liegt.

Diese Strukturen werden aufrechterhalten, indem sie täglich von den Beteiligten reproduziert werden. Dabei spielen Diskurse eine wichtige Rolle: In diskursiven Auseinandersetzungen um Deutungsmacht werden gesellschaftliche Wissensordnungen geschaffen, reproduziert und somit die gesellschaftliche Wirklichkeit geformt. Massenmedien und die mediale Berichterstattung fungieren als Ort einer solchen Wissensproduktion. Entsprechend wichtig ist es, diese auf ihren Beitrag zur Konstruktion rassistischer Denk- und Argumentationsstrukturen hin zu untersuchen.

Silvesternacht in Köln. Schaut auf diese Stadt!

Schaut man sich im Fall der Berichterstattung über die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln die Zeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung und die Welt an, wird schnell klar, dass rassistische Denkstrukturen kein Phänomen des rechten  Randes sind. Die Einteilung von Menschen anhand ihrer Abstammung, den dadurch vermeintlich kollektiven Merkmalen und letztlich eine bipolare Ordnung von „Zugehörigkeit“ und „Nicht-Zugehörigkeit“ zeichnen auch die Berichterstattung dieser „Qualitätszeitungen“ aus.

Im Mittelpunkt steht dabei die Darstellung der Täter. Es scheint hierbei aber weniger um die Frage zu gehen, wer die Täter sind, sondern vielmehr wo die Täter herkommen. In den ersten Wochen nach den Vorfällen ist den Ermittler_innen die Identität der Täter weitestgehend unbekannt, sodass sich die mediale Darstellung hauptsächlich auf Grundlage der optischen Eindrücke von Augenzeug_innen vollzieht. Körperliche Merkmale fungieren dabei als Hinweise auf eine „fremde Herkunft“. Auf dieser Grundlage werden die Täter als „nordafrikanisch“ oder „arabisch“ aussehend, wahlweise auch dem Erscheinungsbild nach als „Ausländer“, „Migranten“ oder „Flüchtlinge“ markiert.
Ein eigentlich wirres Potpourri aus Begriffen, die in diesem Fall jedoch synonym verwendet werden. Denn es scheint nicht wichtig zu sein, aus welchem konkreten Herkunftsland die einzelnen Personen kommen oder welchen rechtlichen Status sie haben. Wichtig ist allein die Tatsache, dass sie woanders herkommen und demnach „fremd“ sind. Was die Optik von „Fremden“ bzw. „Nicht-Deutschen“ ausmacht, wird nicht weiter ausgeführt. Es scheint jedoch ein allgemeines Wissen über die Verknüpfung von Aussehen und Herkunft zu geben, auf das die Leser_innen zurückgreifen, denn die fehlende Information scheint den Lese- und Informationsfluss nicht weiter zu stören. Die Herkunft der Opfer ist demgegenüber eine scheinbar irrelevante Frage, wenn es sich nicht sogar als deutliche Tatsache versteht, dass es sich hierbei um Deutsche handelt. Warum scheint aber bei der Darstellung der Täter die Herkunft eine relevante Kategorie zu sein?

Das war eine enthemmte Meute

Möglich wäre auch die Betrachtung anderer Kategorisierungsmerkmale wie Beruf, soziale Klasse, politische Einstellung der Täter usw. Diese Kategorien werden jedoch nicht aufgegriffen. Stattdessen beharrt die mediale Darstellung auf einen permanenten Verweis auf die vermeintlich „fremde Herkunft“. Diese Vorstellung geht einher mit der Vorstellung entsprechender „fremder Verhaltensweisen“. Den Individuen, die zu einer ethnisch-kulturellen Gruppe homogenisiert werden, werden kollektive Eigenschaften zugeordnet. So auch die Gewaltbereitschaft: Die Hervorhebung der Kategorie „Herkunft“ bei den Tätern impliziert eine kausale Verknüpfung von „Herkunft“ und „Straftat“. Sexuelle Gewalt wird als ein Phänomen dargestellt, das im „eigenen“ Land nicht stattfindet und erst durch die Gruppe der „Fremden“ importiert wird. Die von einzelnen Personen verübten Straftaten werden zu einer allgemeinen Bedrohung stilisiert, die von einer ethnisch-kulturellen Gruppe auszugehen scheint und vor der es die „eigene“ Gesellschaft zu schützen gilt.

Diese Ethnisierung von sexueller Gewalt ist Teil eines pauschalen Zuordnungsprozesses, bei dem das „Eigene“ mit positiven Eigenschaften markiert wird und dem „Fremden“ negative Merkmale zugeschrieben werden. In der Darstellung der Täter wird entsprechend das Bild einer entpersonalisierten, gewaltsamen Masse konstruiert, die „wild“, „bandenmäβig“ und „enthemmt“ die zivilisierte, europäische Gesellschaft zu bedrohen scheint.

Die enthemmte Mitte1

Anknüpfend an eine Vorstellung von ethnisierter und importierter Gewalt werden Geflüchtete mit den Tätern und den Vorfällen in Köln identifiziert und die Straftaten direkt an die aktuelle Migrationsbewegung geknüpft. Es wird explizit davon gesprochen, dass ein „unkontrollierter Zuzug“ auch „sexuelle Gewalt im eigenen Land“ mit sich bringt. Die monokausale Verknüpfung der in der Silvesternacht verübten Straftaten mit einer ethnisch-kulturellen Gruppe befördert die Vorstellung des „Eigenen“, das vor dem vermeintlich „Fremden“ beschützt werden muss. Diese Denkstrukturen sind nicht nur Grundlage rechter Ressentiments, sondern fungieren letztlich auch als Legitimation der europäischen Asylpolitik. Die deutsche Bundesregierung stützt sich bei der Rechtfertigung von Asylrechtsverschärfungen oder der europäischen Abschottungspolitik mitunter auf eben diesen scheinbar notwendigen Schutz des „Eigenen“ vor den „feindlichen Fremden“.

Diese Einteilung der Menschen und der normative Zuschreibungsprozess schaffen letztlich eine gesellschaftliche Hierarchie: Die Ungleichbehandlung der Menschen konstituiert und legitimiert sich anhand der Vorstellung von ethnisch-kulturell homogenen Gruppen, die sich auf Grund ihrer gruppenspezifischen Eigenschaften und Wertesysteme unvereinbar, wenn nicht gar feindselig gegenüberstehen. So scheinen die Täter von Köln die Gruppe der „Fremden“ zu repräsentieren, die mit ihren durch „Herkunft“ und „Kultur“ bedingten Verhaltensweisen die „Zugehörigen“, sowie deren Werte und Grundsätze angreifen. Die faktische Logik weicht einer sozial konstruierten Logik von Ausschluss und Zugehörigkeit.

Der öffentliche Diskurs über die Vorfälle in der Silvesternacht zeigt in besonderen Maβe, welchen Beitrag Medien bei der Produktion und Reproduktion rassistischer Denkstrukturen leisten können und leisten. Eine Aufarbeitung von Rassismus in Diskursen kann helfen die Legitimationsgrundlage rassistisch motivierter Handlungen zu entziehen, egal ob diese dem rechten Milieu oder der „enthemmten Mitte“ der Gesellschaft entspringen.

(Der Titel bezieht sich auf einen im Januar 2016 in der Welt am Sonntag erschienenen, gleichnamigen Artikel von Stefan Aust und anderen zur Silvesternacht in Köln. Alle weiteren Zitate sind der Berichterstattung aus den eingangs erwähnten Zeitungen entnommen.)

Mehr zum Thema:

Tadeus, Sophie (2016): Rassismus in Diskursen. Eine Analyse des öffentlichen Diskurses um die Ereignisse in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln.

  • 1Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (Hg.): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland / Die Leipziger „Mitte“-Studie 2016. Gießen 2016.