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„Countering the racist discourse“

Einleitung

Über die Geschichte und Aktualität der extremen Rechten in Rumänien sowie Gegenaktivitäten und Themen der emanzipatorischen Linken haben wir mit Vicktor, einem antifaschistischen Aktivisten des Projekts CLACA1 in Bukarest ein Interview geführt.

  • 1Das Projekt CLACA in Bukarest ist ein unabhängiges Zentrum für gemeinschaftliche Aktivitäten, politische Organisation, Debatte und kritische Bildung, mit alternativer Bibliothek und Raum für Veranstaltungen. https://centrulclaca.wordpress.com
Foto: flickr.com/Lucian Crusoveanu/CC BY-NC-ND 2.0

Aufmarsch der Noua Dreaptă am 15. März 2008 in Bukarest.

Hallo Vicktor, könntest Du uns einen kurzen Überblick über das Spektrum rechter Aktivitäten in Rumänien geben? Was sind ihre Themen und wie sind sie organisiert?

Die extreme Rechte in Rumänien entwickelte sich in den 90ern. Neonazis und Neo-Legio­näre wurden vor allem aus Fußballfans und Hooligans rekrutiert. Die heutigen „Legionäre“1 beleben die faschistische Ideologie der historischen „Legionärsbewegung“ (Mișcarea Legionară) der 20er und 30er Jahre wieder. Seit 2005 organisieren sie Demons­trationen gegen Gayprides und traten dort mit neo-faschistischen Fahnen und Auf­ru­fen auf. Darunter befanden sich Bilder von Ion Antonescu2 und rot-weiße Keltenkreuze, die auf das Hakenkreuz anspielen, dessen Darstellung in Rumänien verboten ist. Ihre Hauptthemen sind Homophobie und die Bewahrung traditioneller Familienbilder, neuer­dings auch antiziganistische Themen.

Weitere Organisationen sind die Noua Dreaptă (Neue Rechte)3 und der ,Resistenza Nationale’ (Nationaler Widerstand). Beide waren vor allem in den 2000ern aktiv. Außerdem gibt es weniger gut politisch organisierte Ultras von den Fußballvereinen „FC Dinamo București” und „FC Steaua Bucu­rești”. Sie befassen sich vor allem mit Auseinandersetzungen mit anderen Clubs und faschistischer Propaganda in den Stadien. Bilder von Antonescu und Corneliu Zelea Codreanu, dem Anführer der Legionärsbewegung, sind immer wieder in den Stadien zu sehen. Seit 2008/09 vereint die Kampagne „Bassarabia e Romania“ (Bessa­rabien ist Rumänien) ethnische Nationalisten, die Bewegung der Legionäre und sogar einige Libe­rale. Bessarabien ist eine Region der Republik Moldawien, die von 1918 bis 1940 zu Rumänien gehörte und danach Teil der Sow­jetunion wurde. Die Kampagne be­zeich­net die Region als ,ethnisch’ rumä­nisch und for­dert die Rückgabe an Rumä­nien. Sie gibt sich demokratisch und fordert ein Refe­rendum, in dem über die Zukunft Bessarabiens abgestimmt werden soll. Sie unterstützt damit ethnisch rumänische Nationa­listen und Rassisten in Moldawien und vertritt einen subtilen anti-magyaren (ungarenfeindlichen) und anti-russischen Chauvinis­mus. Die Kampagne ist sehr erfolgreich und trifft auf Zustimmung in der Umwelt- und Antikorruptionsbewegung sowie in Fußballstadien. Jedes Jahr organisiert sie wachsende Proteste. Die extreme Rechte wie Nuoa Dreaptă, der Nationale Widerstand und die Legionärsbewegung, ist im Gegensatz zu der politischen Macht „Bessarabia e Romania“ nicht am öffent­lichen politischen Diskurs beteiligt.

In der Regel gibt es wenige Auseinandersetzungen oder Angriffe auf unsere Strukturen, mit Ausnahme einiger Attacken von ein paar Legionären auf unsere Ge­nos­s_innen bei den sozialen Protesten gegen die Goldminen in Roșia Montană. Sie sehen uns weniger als Bedrohung. Obwohl die Situ­ation nicht wie in Bulgarien oder Ungarn ist und wir nur in den 1990ern einige Po­gro­me in Dörfern in Transylvanien hatten, ist die Bedrohung dennoch vorhanden. In Rumänien gibt es keine extreme Rechte wie Jobbik in Ungarn oder die Goldene Morgenröte in Griechenland. Ich denke, diese Bewe­gungen entstehen, um gegen Linke oder antifaschistische, antirassistische, anarchistische Bewegungen oder Flüchtlinge vor­zugehen. Für eine militante, paramilitärische extreme Rechte scheint es in Rumänien gerade keinen Grund zu geben. Weil hier wenige Migrant_innen leben und diese fast unsichtbar sind, stellen sie kein ,Problem’ dar. Höchstens die Repression gegen Roma-Gemeinden. Da jedoch der Großteil der Gesellschaft rassistisch und antikommunistisch ist, treffen Staat und Kapital auf Zu­stimmung der Bevölkerung.

Wie stellt sich der historische Diskurs um Ion Antonescu in der extremen Rechten, der Gesellschaft, den Medien und der Politik dar?

Der Großteil der ethnischen Nationalisten und sogar Lehrer und Universitätsdozenten, besonders an der Fakultät für Geschichte der Universität Bukarest, sympathisieren mit Antonescu. Nicht deshalb, weil er Faschist und Antisemit war. Nein, die meisten Rumänen sehen in ihm einen Kämpfer gegen den Kommunismus und Kommunismus wird als eines der schlimmsten Dinge angesehen. Diese Sichtweise wurde durch die Propaganda der 90er Jahre begünstigt, die jeden linken, alternativen Diskurs kriminalisierte und dem Ceaușescu-Regime4 , welches es versäumte, ein fortschrittliches politisches Bewusstsein zu fördern.

Es gab nie eine Gegenbewegung zum Personenkult um Antonescu. Der Holocaust gegen Roma und Juden wird in den Ge­schichtsbüchern wenig thematisiert. Statt­dessen wird sein Kampf gegen die Russen dargestellt, der ihn zu einem Patrioten macht, weil er rumänisches Territorium zurückerobert hat. Deshalb wurde er in den Jahren 2005 und 2006 bei einer Umfrage zum größten Rumänen der Geschichte auf Platz eins gewählt.

Im Gegensatz zu „Bessarabia e Romania“ und Nuoa Dreaptă, die Antonescu  als Kämpfer gegen Russland vereinnahmen, beziehen sich die rechten Parteien nicht sehr stark auf ihn. Einzig der letzte rumänische Präsident Traian Băsescu bezog sich positiv auf ihn. Was die extreme Rechte Antonescu jedoch vorwirft, ist, dass er Rumänien zu einer politisch und ökonomisch verfügbaren Kolonie von Hitler gemacht habe, welche die Drecksarbeit erledigen durfte, und nicht zu einem echten Alliierten.

Wie sieht es mit Gegenaktivitäten gegen die extreme Rechte und nationalistische und diskriminierende Tendenzen in der Gesellschaft aus?

Die antifaschistische Bewegung in Bukarest ist weniger mit Neonazi-Attacken oder direk­ten Auseinandersetzungen auf den Straßen konfrontiert und so können wir uns mehr sozialen Themen widmen. Wir wirken also mehr dem staatlichen rassistischen Diskurs entgegen als dem der extremen Rechten. Wir veranstalten vor allem Festivals und Konzerte, beteiligen uns an Aktionen gegen Zwangsräumungen und fordern Grundrechte für Roma ein. Aktionen gegen die extreme Rechte begannen in den 2000ern mit NGO’s, die sich gegen Anti­diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen engagierten. Sie kritisierten den Diskurs der extremen Rechten und for­der­ten gesetzliche Sanktionen dagegen. Wir, aus einem eher subkulturellen Hintergrund kommend, haben mit den NGO’s vor sieben, acht Jahren ein Bündnis gegründet, um anti­rassistische Proteste und Kampagnen in Bukarest zu organisieren. Als ein Roma in Italien beschuldigt wurde eine Frau vergewaltigt und ermordet zu haben, löste das in Rumänien zwischen 2006 und 2008 einen Skandal aus. Es gab eine breite Kampagne, von einigen Mitgliedern der Regierung bis hin zu extremen Rechten. Der Diskurs zielte darauf ab, Roma aus dem rumänischen ,Nationalkörper’ zu entfernen. Sie wollten sie tatsächlich irgendwo hinschicken. Wir haben eine große antirassistische Demonstration in Bukarest organisiert, um dem entgegen zu treten. Diese wurde sowohl von Anti­faschist_innen organisiert als auch von Bürgerrechtsorganisationen. Viele Gruppen waren auf der Straße: Libe­rale, große NGO’s, Medien- und Frauenrechtsaktivist_innen. Seitdem organisieren wir jedes Jahr antirassistische Demonstrationen und es ist eine linke antirassistische Bewegung entstanden. Der sozialistische oder anarchistische Teil in Bukarest umfasst ca. 20 bis 30 Leute. Wenn wir über antirassisti­sche Solidarität reden — zum Beispiel nach  rassistischen Übergriffen oder faschistischen Kundgebungen — gibt es ein breiteres Bündnis dagegen. Es handelt sich jedoch eher um eine spontane Allianz, die sich in der Öffentlichkeit gegen Antidiskriminierung wendet. Eine langfristige, organisierte Arbeit gegen faschistische Geschichtsschreibung und Diskurse passiert leider nur sehr wenig.

Im Bereich der ,Propaganda’ haben wir unsere Freunde der Zeitung GAP (Gazeta Arta politica)5 . Darin werden besonders die historischen Wurzeln des Faschismus und Möglichkeiten von gegenwärtigen Gegenaktionen analysiert. Aber als linke, soziale Bewegung ist Antifaschismus fast nicht existent. In bestimmten Bereichen der Anti­diskriminierungsarbeit können wir auf Libe­rale und NGO's zählen. Man kann das bei Räumungen von extrem armen Roma sehen. Zum Beispiel im Sommer 2014 konnten wir viele solidarische Menschen gegen die Räumungen mobilisieren und außerdem gegen den Diskurs in den Medien vorgehen, dass es sich um 100 arme und kriminelle Roma-Besetzer handele, von denen die Nachbarschaft ,bereinigt’ werden solle.

Das ist rassistische Praxis. Die Gründe, warum tausende arme rumänische Roma emigrieren müssen, nämlich weil sie keine Arbeit und keine Möglichkeit finden, ihre Kinder groß zu ziehen, sind rassistische Diskriminierungen, die auch sehr stark in den öffentlichen Einrichtungen verankert sind. Gemeinden weigern sich zum Beispiel, Sozialwohnungen für Roma zu schaffen. Armut wird sehr stark auf die ethnische Herkunft zurückgeführt. Dagegen müssen wir vorgehen. Unsere Kämpfe sind eng mit Themen der sozialen Gerechtigkeit verbunden. Was wir in Bukarest wirklich vermissen sind breite soziale Kämpfe. Viele Leute sind sehr zurückhaltend gegenüber radikalen, linken Ideen. Sozialismus und Anarchismus werden immer noch als Terror-Ideologien kriminalisiert. Auf der Ebene der ,Propaganda’ muss viel getan werden. Es geht nicht nur um Antifaschismus und ,Anti-Nazi’ sondern auch um die Rückgewinnung linker Ideen. Das ist auch das, was wir versuchen mit CLACA zu machen.

Danke für das Gespräch und viel Erfolg!

  • 1 „Eiserne Garde“, „Legionärsbewegung“ (Mișcarea Legionară) oder auch „Legion des Erzengel Michael“ war von 1927 bis 1941 die größte (klerikal-) faschistische und antisemitische Bewegung bzw. Partei im Königreich Rumänien. Auch heute beziehen sich extrem rechte Gruppierungen auf diese historischen Vorbilder („(Neo-)Legionäre“).
  • 2Ion Victor Antonescu war während des Zweiten Weltkriegs von 1940 bis 1944 Diktator des Königreiches Rumänien. Im Bündnis mit der faschistischen Legionärsbewegung errichtete er das Regime des „Nationallegionären Staates“, nach der Ausschaltung der Legionäre eine reine Militärdiktatur. Verbündet mit NS-Deutschland fielen unter seiner Regierung hunderttausende Juden von der rumänischen Armee verübten Massakern und ethnischen Säuberungen zum Opfer, rund 25.000 Roma wurden deportiert.
  • 3Die im September 1999 gegründete militante Organisation Noua Dreaptă, (Neue Rechte) steht in offener Nachfolge zur Eisernen Garde. Sie rekrutiert sich überwiegend aus Studenten, begreift sich als christlich, und agiert vor allem homophob und antiziganistisch. Sie unterhält Beziehungen zur NPD und ist Mitglied der Europäischen Nationalen Front (ENF).
  • 4Nicolae Ceaușescu, von 1965 bis 1989 Staatsoberhaupt der Sozialistischen Republik Rumänien.
  • 5Gazeta Arta Politika: http://artapolitica.ro/?lang=en