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»Wir müssen die Ratten loswerden«

Michael Lausberg
Einleitung

Antiziganismus in Duisburg

Seit der EU-Osterweiterung 2007 kamen mehr als 6.500 Zuwander_innen aus Südosteuropa, vor allem aus Bulgarien und Rumänien, nach Duisburg. Die Migrant_innen werden fälschlicherweise alle als »Roma« oder in diskriminierender Weise als »Zigeuner« bezeichnet. Aufgrund von antiziganistischen1 Stereotypen, die in der deutschen Mehrheitsgesellschaft stark verankert sind, werden sie Opfer von gesellschaftlicher Ausgrenzung.

  • 1Bei der Definition von Antiziganismus beziehe ich mich auf End, M.: Antiziganismus. Zur Verteidigung eines wissenschaftlichen Begriffs in kritischer Absicht, in: Bartels, A./Ders./von Borcke, T./Friedrich, A. (Hg.): Antiziganistische Zustände 2. Kritische Positionen gegen gewaltvolle Verhältnisse, Münster 2013,  S. 39-72, hier S. 47

Aus dem Porajmos im Nationalsozialismus, dem nach Schätzungen europaweit mehr als 500.000 Sinti und Roma zum Opfer gefallen sind, hat das postfaschistische Deutschland wenig gelernt. Antiziganistische Stereotype entstanden in den vergangenen Jahrhunderten und werden seitdem wie ein »kultureller Code« in der Gesellschaft von Generation zu Generation weiter tradiert. Wissenschaftliche Studien belegen, dass antiziganistische Einstellungsmuster nicht nur von der extremen Rechten vertreten werden, sondern in der deutschen Gesellschaft fest verankert sind. Aus einer 2011 durchgeführten Studie über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht hervor, dass über 40 Prozent der Bevölkerung antiziganistisch eingestellt ist.1

Antiziganistischer Hass von der alltäglichen Herabwürdigung bis zur physischen Bedrohung gehört zur bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Hier wird nun speziell auf die Ereignisse in Duisburg bis zum Herbst 2013 eingegangen, die trotz spezieller lokaler Bedingungen in den gesellschaftspolitischen deutschen Kontext eingebettet werden müssen.

Antiziganistische Hetze in der »Mitte« der Gesellschaft

Die soziale Situation vieler Zuwande­r_innen in Duisburg ist als äußerst schwierig zu bezeichnen. Innerhalb einer Übergangszeit bis längstens 31. De­zember 2013 dürfen bulgarische und rumänische Staatsangehörige nur mit einer ausdrücklichen Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt werden. Ein Anspruch auf soziale Leistungen mit Ausnahme von Wohn- und Kindergeld gibt es nicht.

Die Migration konzentriert sich auf bestimmte Duisburger Stadtteile, in denen bereits migrantische Strukturen vohanden sind und Wohnraum bezahlbar ist. Besonders in den Stadtteilen Hochfeld und Bergheim kam es zu Protesten mit teils rassistischem und wohlstandschauvinistischem Hintergrund gegen die Migrant_innen. Einige Immobilienbesitzer_innen aus Duisburg-Hochfeld, die auf eine »Aufwertung« des Stadtteils spekulierten, wollten mit einem offenen Brief vor allem »gegen den Zuzug von Bulgaren protestieren«, den sie im weiteren Verlauf als »Ströme problembeladener und bildungsferner Wanderungsbewegungen« bezeichneten. Im bürgerlichen Stadtteil Duisburg-Bergheim wohnen südosteuropäische Zuwander_innen, darunter auch Roma, in dem  Hochhaus »In den Peschen«, das in der Presse in abwertender Weise »Problemhaus« oder »Roma-Haus« genannt wird. Dieses Haus wurde durch intensive Medienbericht­erstattung zum bundesweiten Symbol für die »Armutsmigration« aus Südosteuropa. Rassistische Anwohner_innen in Berg­heim hetzen seit geraumer Zeit gegen die Migrant_innen und versuchen, dies als legitimen Protest gegen die »Zustände« im bürgerlich geprägten Stadtteil darzustellen. Ihre Strategie besteht darin, in der Öffentlichkeit als Vertretung der politischen »Mitte« wahrgenommen zu werden und sich von jeglicher rassistischen Gesinnung offiziell zu distanzieren. 300 Anwohner_innen im Stadtteil unterschrieben eine Petition zur »Umsiedlung« der Zuwander_innen. Diese »Umsiedlung« sollte erfolgen, »da unsere Wohn- und Umfeldqualität, welche in Jahrzehnten gewachsen ist, durch diese Zuwanderer zerstört wird und wir das als Bürger nicht hinnehmen werden«.2 In einem essenzialisierenden Sinne wurde argumentiert, dass die Migrant_innen aufgrund ihrer Mentalität und Lebensart nicht integrierbar seien. Damit wurden alle Zuwander_innen ohne Ansehen des Individuums homogenisiert und ihnen unveränderliche deviante Merkmale zugeschrieben, die nicht mit einer wie auch immer gearteten bürgerlichen »deutschen Kultur« vereinbar wären und eine Separierung von der Mehrheitsbevölkerung notwendig mache. Bei einem »politischen Abendgebet«, das der Pfarrer Heiner Augustin organisiert und mit dem Thema Zuwanderung verknüpft hatte, äußerte ein Anwohner: »Das sind keine Menschen, das sind Untermenschen«3 . Einige Anwohner_innen verteilten vor dem Duisburger Rathaus rassistische Flugblätter mit der Überschrift »Raus mit den Zigeunern!«4 .

Zuspitzung durch die extreme Rechte

Die extreme Rechte brauchte nur noch die rassistische Stimmung in der »Mitte« der Gesellschaft aufzunehmen und zuzuspitzen. Die NPD verteilte  mehrmals Flugblätter in Bergheim und hielt dort am 18. Mai 2013 eine Kundgebung ab. Auch Pro NRW veranstaltete am 12. März 2013 im Stadtteil eine Demonstration und hetzte auf ihrer Internetseite gegen »Zigeuner«.

Im April 2013 wurden Roma in Facebookgruppen als »Menschenmüll« beschimpft. Rassistische Parolen und Mordaufrufe von NutzerInnen der Facebook-»Diskussionsgruppe« »In den Peschen 3–5« wie »Abbrennen soll mann die bude«, »Wir müssen die Ratten loswerden«, »Alles schreit abbrennen aber warum macht es denn keiner?« um den 10. August 2013 bildeten eine neue Qualität der Hetze. Am 29. August kam es zu einer Kundgebung der rechten Partei Pro Deutschland in der Nähe des Hauses »In den Peschen«, der sich ca. 900 Antifaschist_innen entgegenstellten. Bei einer Veranstaltung von Gegendemonstrant_innen aus dem bürgerlichen Spektrum durfte ein in der Vergangenheit wegen antiziganistischer Äußerungen aufgefallener Anwohner sprechen. Auch der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link unterschied in seinem Redebeitrag zwischen »guten« integrations- und arbeitswilligen  und »schlechten« angeblich kriminellen und auf Sozialmissbrauch spekulierenden Zuwander_innen.

Im Bundestagswahlkampf nutzte die NPD u.a. antiziganistische Plakate  um auf sich aufmerksam zu machen. Diese Hetzkampagne fand offensichtlich Resonanz, erhielt sie doch 4,2 Prozent der Erst- und 2,8 Prozent der Zweitstimmen im gesamten Duisburger Stadtgebiet. Bei einer Demonstration von Bergheimer Anwohner_innen gegen die »Zustände« in ihrem Stadtteil am 5. Oktober 2013 zeigte sich das wahre Gesicht der sich selbst in der »Mitte« der Gesellschaft verortenden Bürger_innen. Die Redebeiträge waren voll von rassistischer Hetze, Gegen­de­mon­s­tran­t_innen wurden gewaltsam entfernt. Einige der Teilnehmende der bürgerlichen Versammlung solidarisierten sich später mit den Parolen von Pro NRW, die am selben Tag auch eine Kundgebung in Bergheim abhalten durfte. Am 9. Oktober 2013 wurde ein zum großen Teil von Roma bewohntes Haus in Duisburg-Hochheide in Brand gesetzt, wobei 17 Personen verletzt wurden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um einen antiziganistisch motivierten Anschlag handelt.

Ethnisierung des Sozialen in Medien und der Politik

Die Hetze gegen Migrant_innen aus Südosteuropa hat ihren Ursprung nicht am »rechtsextremen« Rand, sondern in der sich als demokratisch bezeichnenden »Mitte der Gesellschaft«. Lokale und überregionale Medien dienen als Motoren und Multiplikatoren der Ethnisierung des Sozialen; Zuwanderung wird in einer Semantik der Gefahren präsentiert und altbekannte Stereotype über Roma transportiert. Die Bild-Zeitung mit dem Schwerpunkt Ruhrgebiet bemerkte: »Politiker befürchten: Zehntausende kommen und kosten Millionen.«5 Das Nachrichtenmagazin Focus titelte »Die Armut kommt« und stellte undifferenziert alle Zuwander_innen als Kriminelle dar: »Ein Flüchtlingstreck hat sich gen Westen aufgemacht. (…) Aus Notquartieren in Köln oder Duisburg starten Kinderbanden ihre Raubzüge durch das Land. Das Elend wird exportiert.«6 Die Welt entwarf das Schreckensszenario von einer »Masseneinwanderung« ab 2014, wenn Arbeitnehmer_innen aus Bulgarien und Rumänien überall in der EU und somit auch in der BRD leben und arbeiten dürfen.7

Bundesdeutsche Politiker wie der Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) heizten die Stimmung noch mit populistischen Statements an. Friedrich hatte bei einem Treffen der EU-Innenminister einen härteren Kurs gegen »betrügerische Armutseinwanderer« angekündigt: »Wer Sozialleistungen missbraucht, soll ausgewiesen werden.«8 Zudem wolle er Ausgewiesenen, obwohl sie EU-Bürger sind, »eine Einreisesperre für eine bestimmte Zeit auferlegen, damit sie am nächsten Tag nicht wiederkommen können.«9 Der Duisburger CDU-Ratsfraktionschef Rainer Enzweiler begrüßte die Forderungen Friedrichs: »Der Bundesinnenminister tut gut daran, jetzt zügig entgegenzusteuern und die genannten Maßnahmen wie Ausweisung und Einreisesperre durchzusetzen. Wir dürfen auf keinen Fall den Eindruck entstehen lassen, es gebe in Deutschland oder in der EU in einigen Bereichen rechtsfreie Räume, in denen offensichtlichem Sozialbetrug tatenlos zugesehen wird.«9

Das Fazit fällt leider ernüchternd aus. Dass sich das gesellschaftspolitische Klima in der BRD Richtung konsequenter Ächtung des Antiziganismus in nächster Zeit wandelt, ist nicht zu erwarten. Eine schnelle Patentlösung zur Bekämpfung des Antiziganismus gibt es nicht;  jahrhundertelang tradierte Stereotype lassen sich nicht in kurzer Zeit überwinden. In Duisburg und anderen Städten können nur multiperspektivische auf die lokale Struktur zugeschnittene Ansätze helfen, zu einer Versachlichung der Situation zu gelangen. Die Reduzierung der Beschreibung von Zuwanderung in einer Semantik der Gefahren und die öffentlich proklamierte Grund­ausrichtung einer Willkommenskultur in Anlehnung an die schottische Stadt Glasgow10 wären ein Anfang.