Skip to main content

»Volksfeinde« im Visier

Einleitung

Neonazis sammeln Daten über vermeintliche politische GegnerInnen

Trotz seines jugendlichen Alters von 16 Jahren versucht sich Ronnie R. aus Schifferstadt, bereits als Datensammler der Anti-Antifa. Das Sammeln von Informationen über vermeintliche oder tatsächliche AntifaschistInnen gehört mittlerweile zum Standartrepertoire von Neonazis. Sie werden zumeist intern weitergegeben um die Betroffenen zu bedrohen und einzuschüchtern. Selten gelangen diese Informationen nach außen. Anders in diesem Fall.

Ronnie R. (in Tarnjacke) als Transparenthalter bei einer Neonaziaktion.

Bereits 1998 rief Ronnie R. in einem Flugblatt unter dem Titel »Staatsfeind - Stimme der Anti-Antifa Kurpflaz« seine Gesinnungsgenossen dazu auf, ihm Namen und Adressen von AntifaschistInnen zu schicken. In der ersten Ausgabe des von Ronnie R. herausgegebenen Neonazi-Fanzines "Pfalzfront", erschien dann Anfang dieses Jahres eine Anzeige mit dem Angebot: »Wer von Antifaschistien aus seiner Umgebung Adressen haben möchte, der kann gegen 1,10 DM welche haben.« Als Kontaktadresse füngiert ein Postfach in Waldsee bei Schifferstadt.

Darüber verschickte Ronnie R. unter anderem eine schwarze Liste mit 40 Berliner Adressen. Darunter finden sich Bezirksbürgermeister und Bezirksverordnete der PDS und SPD, mutmaßliche Mitglieder von Antifagruppen, sowie verschiedene Einzelpersonen. Benannt werden mehrere JournalistInnen die sich mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigen oder LeserbriefschreiberInnen in diversen Zeitungen. Neben Adressen und Telefonnummern katalogisierten die Neonazis auch Angaben zu »Gesinnung/Partei«, Treffpunkten, Hobbies und Familienverhältnisse. Obwohl die aufgeführten Informationen auf eine rege Recherchetätigkeit schließen lassen, geht den Verfassern bei der Einschätzung der jeweiligen Personen dann doch etwas die Phantasie durch. So finden sich auf der Liste Angaben wie: »hat Erfahrung im Bombenbau« oder »kümmert sich um die Nachwuchswerbung«. Andere Betroffene müssen sich Bezeichnungen wie »linker Schreiberling« oder »Multi-Kulti-Propagandist« gefallen lassen und auch die scheinbar obligatorische Bewertung »Drogendealer« darf natürlich nicht fehlen.

Anhand dieser Liste zeigt sich also einmal mehr, wer von der Anti-Antifa als »Volksfeind« eingeschätzt wird. Die Neonazis stufen nicht nur Mitglieder von Antifagruppen, sondern auch vermehrt JournalistInnen, StaatsanwältInnen, RichterInnen und alle die sich entweder in irgendeiner Form gegen Rechtsextremismus engagieren, oder sich auch nur positiv gegenüber MigrantInnen verhalten, als ihren politischen Gegner ein. Häufig reicht bereits das Schreiben von Leserbriefen oder das Schalten von Anzeigen in linken Tageszeitungen, um in das Visier der Neonazis zu geraten. Dabei geht es ihnen nicht nur um Einschüchterung aller gegen sie gerichteten Stimmen, sondern auch um die Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas. Daß dazu das Sammeln von Informationen allein nicht ausreicht, sondern diese Informationen auch praktisch genutzt werden sollen, liegt auf der Hand. Deshalb finden sich im Umfeld von Anti-Antifa-Gruppen auch Spuren in Richtung Rechtsterrorismus.

Die Nationale Volksfront

Am Beispiel der "Nationalen Volksfront" (NVF) und der "Anti-Antifa Kurpfalz" wird deutlich, wie nah Teile der neofaschistischen Szene, und mit ihnen auch einige Parteigänger der NPD, an einer rechtsterroristischen Praxis sind. Seit 1996 ist die NVF im Raum Neustadt/Schifferstadt aktiv. Ihr werden ca. 20 bis 30 Personen zugerechnet. Als Kontaktadresse für ihr Mitteilungsblatt, den "Volkssturm", firmiert bezeichnenderweise ein Postfach in den Niederlanden, daß auch schon der "Neuen Front" von Michael Kühnen als Ausweichadresse diente. Als Kontaktmöglichkeit für Szene-Publikationen und Dokumente der "Anti-Antifa Saarpfalz" galten u.a. Falko Pareigis (Uder) und Stefan Michael Bar (Neustadt an der Weinstraße). Falko Pareigis hatte bereits für die Neonazi Publikation "Der Weisse Wolf" ein Postfach in Thüringen zur Verfügung gestellt gehabt. Er soll auch als Kontaktmöglichkeit für die Strukturen der "Deutsch-Nationalen Partei" (DNP) und der Gefangenhilfe des "Freundeskreis Nationaler Sozialisten / Aktion Volkswille" (FNS/AV) aufgetreten sein. Auch das Neonazi-Heft "Die Kameradschaft" wird ihm zugerechnet..

In der inzwischen eingestellten weiteren Publikation "Der Reichsruf" wurden ebenfalls Adressen von politischen Gegnerinnen veröffentlicht. Als einer der Herausgeber der Neonazi-Hefte „Der Reichsruf“ und „Der Wehrwolf“ galt Stefan Michael Bar aus Neustadt an der Weinstraße.

Zwischen der NVF und der Anti-Antifa-Kurpfalz gibt es nicht nur inhaltliche sondern auch personelle Überschneidungen. Anfang August diesen Jahres verschickte Ronnie R. einen Brief in dem er Drohungen gegen ein linkes Jugendzentrum aussprach und die Umbenennung der "Anti-Antifa Kurpfalz" in "Anti-Antifa Saarpfalz" bekannt gab. Im Briefkopf sind als gemeinsame Absender die Adressen der NVF, "Kameradschaft Neustadt/Weinstraße", der "Anti-Antifa Saar-Pfalz" und der "Kameradschaft Ludwigshafen" angegeben. Ronnie R. kündigt in diesem Brief auch die Herausgabe eines 20seitigen Heftes mit dem Titel "Werwolf" an, in dem Privatadressen von AntifaschistInnen veröffentlicht werden sollen.

Im März 1998 fanden u.a. in Neustadt 14 Hausdurchsuchungen, wegen der Schändung eines jüdischen Friedhofes statt. Die Polizei stieß dabei auf ein umfangreiches Waffenarsenal. Sieben Maschinenpistolen, elf Gewehre, sechs Faustfeuerwaffen, 8.000 Schuß Munition, mehrere Kilo Pulver und Zünder, Nachtsichtgeräte und drei Minen wurden beschlagnahmt. Mit einer der Maschinenpistolen war 1996 ein Anschlag auf einen Döner-Imbiß verübt worden. Die Tatverdächtigen Stefan Michael Bar und Wolfgang L. sollen aus dem Kreis der NVF stammen. Die Maschinenpistole soll den Ermittlungen nach Stefan Michael Bar 1996 von Josef Maria Sutter von der Gruppe "Stahlhelm - Kampfbund für Europa" gekauft haben. Einem Prozeß u.a. wegen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und der Herausgabe des "Reichsruf" sieht daher der 23jährige Stefan Michael Bar entgegen.

Stefan Michael Bar, der im Moment eine 27-monatige Haftstrafe wegen Volksverhetzung, Landfriedensbruch und Androhung von Straftaten verbüßt, bezeichnete in einem Interview mit Ronnie R.'s "Pfalzfront", Kay Diesner, den Attentäter aus Berlin, als Mann der Tat und aufrechten Kameraden. Den rechtsterroristischen "Weißen Arischen Widerstand" (WAW), zu dem sich Diesner bekannte, bezeichnet Bar als autonome Vereinigung, die noch für viel Aufsehen sorgen wird.

Hier zeigt sich wie ungeeignet Versuche sind, die Anti-Antifa-Aktivitäten ausschließlich an ihrer zugegeben bescheidenen intellektuellen Qualität oder den zahllosen Fehlern und Fehleinschätzungen auf ihren »Feindeslisten« zu beurteilen. Wenn sich zum Sammeln von Informationen über die politischen Gegner noch Kontakte zu Kreisen der alten NSDAP/AO und ein scheinbar unbegrenzter Zugang zu den verschiedensten Waffen gesellen, ist eine solche Entwicklung nicht mehr zu unterschätzen. Denn das es nicht immer nur bei Drohungen bleibt, beweist ein versuchter Rohrbombenanschlag auf ein Mitglied der PDS in Berlin/Treptow, dessen Adresse auch durch die Anti-Antifa Liste aus der Kurpfalz bekanntgemacht wurde.