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Hammerstein oder der Eigensinn

Hans Magnus Enzensberger

Die Literatur über das Ende der Weimarer Republik füllt ganze Bibliotheken. Seit Jahrzehnten konkurrieren historiographische Deutungen darum, welche Faktoren entscheidend waren, die erste deutsche Demokratie in den Abgrund zu führen. Ist diesem Stoff noch etwas abzugewinnen? Ja, wer Hans Magnus Enzensbergers Buch »Hammerstein oder der Eigensinn« liest, gewinnt einen Eindruck von jenen politischen Widersprüchen und Abgründen, die sich in einer Person und ihrem Milieu bündeln. Enzensbergers Buch ist weder Roman noch Sachbuch. Vielmehr ist es als literarische Montage, als fiktionales Fragment ähnlich angelegt wie sein vor vierzig Jahren erschienenes Porträt über den Anarchisten Buenaventura Durruti.

Kurt von Hammerstein, im Weltkrieg im Generalstab Ludendorffs und Hindenburgs, stieg in der von der Reichswehr ungeliebten Republik zum Chef des Heeres auf. Enzensberger zeichnet ein sympathisches Weichbild seines Protagonisten als das eines passionierten Jägers und notorischen Faulpelzes, der von bemerkenswerter politischer und militärstrategischer Scharfsinnigkeit war. So ist es Hammerstein, der zu Beginn der zwanziger Jahre die enge militärische Kooperation zwischen der Roten Armee des jungen Sowjetrussland und der Reichswehr ungeachtet der politischen Großwetterlage vorantreibt und verstetigt. Dass er dabei Freundschaft mit so berühmten sowjetischen Kommandeuren wie Michael Tuchaschweski schließt, obwohl er als nationalkonservativer Militär naturgemäß nichts für den Kommunismus übrig hat, gehört zur Schattengeschichte des 20. Jahrhunderts.

Wirklich interessant zu lesen ist das Buch jedoch dort, wo Enzensberger nicht über den kauzigen Hammerstein schreibt, sondern dessen Umfeld ausleuchtet. Dort begegnen einem solche politischen Finsterlinge wie Kurt von Schleicher ebenso, wie die Tatsache, dass Hammersteins Töchter enge politische und persönliche Verbindungen zur KPD pflegten, was so manches Geheimdokument aus der Reichswehrführung binnen kurzem auf kommunistischen oder Moskauer Schreibtischen landen ließ. Enzensberger greift zum literarischen Mittel des Totengesprächs, um jenen spekulativen Raum auszuloten, in dem vermutet werden kann, inwieweit Hammerstein die Aktivitäten seiner Töchter duldete oder passiv unterstützte.

Nachfolgend werden deren Lebenswege im Dschungel der stalinistischen KPD und dem beginnenden Nazireich nachgezeichnet. Nicht dass man dieses oder jenes Detail nicht schon anderen, manchmal auch entlegenen Büchern entnehmen konnte. Es sind vielmehr das Mittel der Kolportage, des Fragments und die Vermengung von fiktionalen und realen Vorgängen, die das Buch spannend und erkenntnisreich machen. Ärgerlich ist der als Glosse eingeführte Essay über Charakter und Verfasstheit der Weimarer Republik. Darin wiederholt Enzensberger die sattsam bekannte These, die Weimarer Demokratie sei von links und rechts außen gleichermaßen in die Zange genommen worden. Das ist formal ebenso richtig, wie im konkreten falsch. Denn sosehr es stimmt, dass die KPD ihren putschistischen Planspielen nachlief, statt die revolutionäre Perspektive mit linkem Pragmatismus zu verbinden, so sehr richtig ist auch, dass die extreme Rechte vom ersten Tag an alles daran setzte, die Republik der von ihr geschmähten »Novemberverbrecher« zu beseitigen. Dass schließlich auch die Republikaner der Sozialdemokratie nicht vor einem Pakt mit dem Teufel in Form der präfaschistischen Freikorps zurückschreckten, unterschlägt Enzensberger geflissentlich.

Im Schlusswort berichtet Enzensberger von seinem langen Weg zu diesem Buch und seiner Hauptperson. Schon kurz nach dem Krieg sei er durch Franz Jung und andere auf die Spur des schillernden Generals gelangt. Stil und Inhalt des Bandes loten die Widersprüche des Jahrhunderts und der politischen Extreme aus, die zeigen, dass die Fronten nicht immer so eindeutig verliefen, wie dies die Geschichtsschreibung glauben machen will.

Hans Magnus Enzensberger
Hammerstein oder der Eigensinn
Suhrkamp. 2008
375 S., 22,90 EUR