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Ein Haufen Deutschland

Alex Busch
Einleitung

Die Kampagne »du-bist-deutschland« macht den Nationalismus hip – Schwarz-Rot-Gold als Kuschelersatz für die soziale Gesellschaftszersetzung. Bei dem aktuell laufenden Fahnenappell handelt es sich um die größte politische Kampagne der Medienwirtschaft seit dem Bestehen der BRD: »Social marketing« nennen das die Betreiber, wofür sie in dem Kampagnenzeitraum von vier Monaten mehr als 30 Millionen Euro bereitgestellt haben. Deutschland wird schwarz-rot-gold zugeschissen.

Foto: Pressebild der Kampagne

In der Eigenwerbung zur Kampagne heißt es: »Die größte Pro bono-Kampagne der Republik soll für Aufbruchstimmung in Deutschland sorgen und deutlich machen: Es kommt auf jeden Einzelnen an. Initiator und Träger der Aktion sind 25 Medienunternehmen unter Federführung der Bertelsmann AG im Rahmen der Initiative ›Partner für Innovation‹. Konzipiert und realisiert wird die Kampagne von den Agenturen Jung von Matt/Alster, kempertrautmann und fischerAppelt.«

Zentrale Steuerungsfunktionen der Kampagne liegen beim Bertelsmann-Konzern. »Wir wollen einen Aufbruch in Deutschland erreichen«, so Bernd Bauer, Leiter der Kampagne und vormals Kommunikationschef der Bertelsmann AG. Neben Bertelsmann, Springer, Burda und Gruner + Jahr sowie ARD, ZDF, RTL, Sat 1 u. a. wirkt eine bunte Schar von Medienpromis an dem Fahnenappell mit: »In TV- und Kino-Spots, Anzeigen, Plakaten sowie einem Internetauftritt wenden sich über 30 prominente Persönlichkeiten – von Anne Will über Justus Frantz, Walter Kempowski und Harald Schmidt bis hin zu Marcel Reich-Ranicki, Patrick Lindner, Xavier Naidoo und vielen anderen – an die deutsche Bevölkerung mit der Botschaft: Jeder Einzelne von uns trägt Verantwortung für das Wohlergehen und die Zukunft dieses Landes. Es geht um Verzicht zum Wohle der Nation: »Wir sind überzeugt, dass gerade jetzt das Bedürfnis in Deutschland so groß ist wie noch nie, aus der emotionalen Misere auszusteigen und das eigene Schicksal wieder selbst aktiv und positiv zu gestalten«, so Oliver Voss von Matt/Alster, verantwortlich für die Kreation der Kampagne.

Dies funktioniert nach den Mechanismen symbolischer Politik: Durch die politische Besetzung von Begriffen, Schlagworten und Parolen wird Politik inszeniert: »trend«- oder »agenda-setting« für das Nationale zum Wohle des Kapitals. Die Nationalisierung von Sprache und Politik dient als Klammer für einen Populismus der neuen Art unter neoliberalen Prämissen. Bei der Propaganda von der nationalen Identität von Individuum und Volk landet man in Deutschland deshalb zwangsläufig bei den Neonazis, weil diese Propaganda ein konstitutives Merkmal der extremen Rechten ist.

Im Zentrum der Kampagne steht ein zwei Minuten langer Werbefilm, der zur prime time bis zum kommenden Jahr im TV wie auch in den Kinos läuft und in dem ein »Manifest« für Deutschland verkündet wird. Dieses Manifest hat es in sich: »Wieso schwenkst du Fahnen, während Schumacher seine Runden dreht? Du kennst die Antwort: Weil aus deiner Flagge viele werden und aus deiner Stimme ein ganzer Chor. Du bist aus allem ein Teil. Und alles ist ein Teil von dir. Du bist Deutschland.«

Schöner hätte es der Führer auch nicht sagen können, so schießt es einem angesichts dieses Manifestes durch den Kopf. Und in der Tat: der historische Ursprung dieser Parole findet sich genau dort wieder. Als dieser historische Tatbestand im November 2005 öffentlich gemacht wurde, herrschte zuerst peinliche Betroffenheit bei den Initiatoren. Doch nachdem der befürchtete öffentliche Aufschrei ausblieb, wurde die Kampagne einfach bruchlos nach dem Motto fortgesetzt: Was interessiert uns die Geschichte – wir sind Deutschland!

Exkurs: von Rechtsaußen rein in die Mitte

Politische Kampagnen für Nationalismus und Nationalstolz erhielten in Deutschland nach der Niederschlagung des Faschismus erstmals durch die NPD mit Forderungen nach einer »Stärkung des Nationalbewußtseins« öffentliche Bedeutung. In ihrem Gründungsaufruf, der als »Manifest der NPD« auf dem ersten Parteitag im November 1964 verabschiedet wurde, hieß es: »Nur ein seines eigenen Wertes und seiner nationalen Würde bewußtes Volk kann die Achtung der Welt und die Freundschaft der Völker gewinnen. (...) Wir fordern daher die Anspannung aller Kräfte, um den Willen zur Selbstbestimmung der deutschen Nation zu wecken.«

Die vehemente Beschwörung nationalen Stolzes in Deutschland speiste sich aus der Abwehr von Erinnerung; sie resultierte aus der Abwehr geschichtlicher Verantwortung und Besinnung. Der Aufnäher vom »stolzen Deutschen« war zunächst Erkennungsmerkmal der extremen Rechten. Im Zuge eines nationalistischen Taumels im Kontext der seit 1989/90 territorial erstarkten Republik vollzog sich diesbezüglich ein politischer Dammbruch: Nationalismus wurde zum Markenzeichen der etablierten Politik. Heute ist das Bekenntnis zum Deutschtum längst kein ausschließliches Spezifikum von extremen Rechten und Nationalkonservativen mehr.

Ob nun die so genannte Walser/Bubis-, die Leitkultur- oder die Nationalstolz-Debatte: Die Argumente für nationalen Bekenntnisdrang verschwommen von Rechts zur Mitte bis zur Unkenntlichkeit miteinander. So erklärten sich bespielsweise die Republikaner im Kontext der »Nationalstolz«-Debatte 2001 zu den geistigen Urhebern der CDU-Kampagnen. In einer Erklärung der Republikaner im Landtag von Baden-Württemberg hieß es: »Die Republikaner sehen die Diskussion um den Begriff des ,Nationalstolzes‘ als Chance zu einer nationalen Besinnung, für die sie seit langem eintreten. Die Republikaner werden das Ihrige dazu beitragen, damit der nationale Nihilismus in Deutschland überwunden und Deutschland wieder zu einer selbstbewußten und verantwortungsbewußten Nation wird.« Nach Auffassung der National-Zeitung ging zu jener Zeit »ein Ruck durch Deutschland – in Richtung auf Normalisierung des Nationalbewußtseins und Nationalgefühls.

Was bislang nur von rechts klar und deutlich gesagt und, soweit im Volk verbreitet, von herrschenden Meinungsmachern als ,dumpfbackiges Stammtischgelaber‘ abqualifiziert worden ist, wird ,salonfähig‘, zum modernen Bekenntnis quer durch die Gesellschaftsschichten: ,Ich bin stolz, Deutscher zu sein!‘ (…) Man soll bekanntlich nicht zu früh frohlocken. Doch es hat den Anschein, als ob der deutsche Nationalstolz endlich nicht mehr in der rechten Ecke ghettoisiert werden kann, sondern dahin kommt, wo er hingehört: mitten unters Volk.« In Deutschlands größter Boulevardzeitung hieß es nahezu gleich lautend: »Darf ich als Deutscher stolz sein auf mein Land?« Die Berliner Zeitung titelte: »Bin ich ein Neonazi, wenn ich stolz bin ein Deutscher zu sein?«

Nein, ihr armen gebeutelten Deutschen, so schallt es nun aus der aktuellen Kampagne heraus: Endlich nun dürft ihr euch wieder deutsch fühlen und es laut herausschreien, ohne euch schlecht dabei zu fühlen: Eine Medienkampagne als nationalisierte Urschrei-Therapie.

Nationalismus ganz mittig

Vorbehaltlos angetan von der Kampagne scheint die politische Nachfolgschar des Führers nicht zu sein. In der neurechten Bekenntnispostille »Junge Freiheit« lobt deren Chefredakteur zwar die Intension der Kampagne: »Eine lobenswerte Idee. Daß Deutschland runter muß von der Couch, haben wir schon wiederholt geschrieben. Der Schlüssel aber, der zum Ausgang aus der deutschen Neurose führt, ist ein unverkrampftes Nationalbewußtsein.« Und den vermisst der rechte Geschichtsrevisionist bei der Kampagne: Die Huldigung an den deutschen Soldaten fehle, so beklagt er. Und vor allem: Das Holocaust-Mahnmal werde im TV-Spot gezeigt: »Auschwitz als Kern des deutschen Nationalbewußtseins?« Dagegen kämpfen die JF-Macher doch seit Bestehen ihres Projektes: »Den Bürger erreicht dieser Pseudo-Patriotismus aus der Retorte nicht. Allenfalls Angehörige verklemmter Eliten.«

Es ist die selbstverständliche Vereinnahmung von Auschwitz für die Normalisierung des Nationalismus, was die extreme Rechte an der Kampagne stört: Multikulti-Popstars auf dem Stelenfeld, die zum Fahnenappell rufen, empören sie. Schwarze, die für Deutschland winken, das passt nicht in das alte rassistische Bild vom deutschen Volkskörper. Die Kampagne zeigt, dass die Wirtschaft heute nicht mehr die extreme Rechte braucht, um das Staatsvolk zur Fahne zu rufen. Die extreme Rechte hat den Nationalismus in die Mitte der Gesellschaft transformiert. Man kann sich seiner nun ohne Rückgriff auf die rechten Schmuddelkinder bedienen.

Deutlich bringt diesen Tatbestand ein Artikel in der Online-Ausgabe des Lobbyisten-Kampfblattes des Kapitals, dem Manager Magazin, zu Ausdruck. Dort hieß es: »Weder die Ruck-Rede von Bundespräsident Herzog noch die zahlreichen anderen Initiativen der Politik schafften es bisher, Deutschland aus seinem Jammertal zu befreien. Vielleicht lag es daran, dass die Impulse bisher immer von der Politik ausgingen. Das dachte sich wohl auch Bertelsmann-Chef Gunter Thielen im Oktober vergangenen Jahres. (…) Im Rahmen des von Bundeskanzler Gerhard Schröder initiierten Projekts ›Partner für Innovationen‹ entwickelte er im Kreis seiner Branchenkollegen die Idee zur größten Sozialmarketingkampagne der Bundesrepublik.«

Die neoliberale Gazette weiß, was die Kapital-Lobby dem Wegbereiter von Merkel & Co. zu verdanken hat. Es war schließlich der nun abgetretene Bundeskanzler Gerhard Schröder, der die SPD mit dem Neoliberalismus versöhnte. Und es war zugleich der Sozialdemokrat, der den Nationalismus in einer zugleich populistischen wie postmodernen Art und Weise populär machte. Schröder prognostizierte schon kurz nach dem Regierungswechsel im Herbst 1998: »Das Deutschland, das wir repräsentieren, wird unbefangen sein, in einem guten Sinne vielleicht sogar deutscher sein.«

Das Deutschland der Bertelsmann AG, dem bedeutsamsten neoliberalen Think Tank der BRD, ist kein fordistisch-rückwärts gewandtes völkisch-rassistisches Reich, keine NS-Kopie wie sie die Neonazis herbeisehnen. Das Kampagnen-Deutschland aus dem Hause Bertelsmann ist ein kapitalkonformes Konstrukt einer sozialdarwinistischen Gesellschaft, die zu ihrem Funktionieren die Nebelgranate des Nationalen benötigt. Das neoliberale Individualisierungs- und Freiheitspostulat beruht auf der Ablehnung des Solidaritätsgedankens. An Stelle des verhassten Gleichheitsprinzips wird das Credo von Adam Smith von der »unsichtbaren Hand« des Marktes gesetzt, die alles richtet, das Survival of the Fittest. Damit die Leute weiterhin verzichten und sich sozial- und arbeitsmarktpolitisch zurichten lassen, brauchen sie einen Glauben an Besserung und Beteiligung. Und der wird ihnen durch den Nationalismus präsentiert. »Alle für einen – einer für alle«, das kennen und mögen die ordentlichen deutschen StaatsbürgerInnen. Ob Ackermann oder Hartz IV-Empfänger – wir alle sind Deutschland, so die zugleich wahnwitzige wie realpolitisch wirkungsmächtige Masche der medienindustriellen Verblödungskampagne.

Deutlich benannt wird dies im Manager Magazin: »Es wird offensichtlich, wie vorteilhaft die große Beteiligung der Medien an der Gute-Laune-Kampagne ist. Rein rechnerisch sollen so fast 98 Prozent der Bürger erreicht werden, ohne dass Unsummen für Anzeigenplätze und Werbeminuten ausgegeben werden müssen. Denn keines der Unternehmen wird für seine Eigenleistung bezahlt. Auch Prominente, Agenturen und Produktionsfirmen arbeiten unentgeltlich. Wäre Geld geflossen, hätte die Imagekampagne ein Volumen von mehr als 33 Millionen Euro. So kommt die gesamte Aktion aber gerade mal auf zwei Millionen Euro Organisationskosten, die Initiator Bertelsmann übernimmt.«

82 Millionen Bertelsmännchen?

»Ein Ruck muss durch Deutschland gehen« – so forderte es schon der ehemalige Bundespräsident Herzog. Seit Jahrzehnten wird in einer konzertierten Aktion von Politik und Medien die Öffentlichkeit propagandistisch auf die Anforderungen einer neoliberal-sozialdarwinistischen Konkurrenzgesellschaft getrimmt. Von Verlautbarungsorganen wie der Wirtschaftswoche, dem Managermagazin, Focus bis zu Truppen wie dem ifo-Institut oder der Initiative für neue soziale Marktwirtschaft wird seit Jahren das ewig Gleiche verkündet: Weg mit Sozis und Unproduktiven – alle Macht dem Markt! Der aktuelle Fahnenappell zeichnet sich jedoch durch eine bewusst gewählte »dialogische Vermittlungsmethode« aus.

Statt auf Verteufelung wird auf Weichspülprogramm geschaltet: Nationalismus light als medienindustriell verordnete Seelenmassage – so erscheint die bewusst gewählte Machart dieser Kampagne, die herüberkommt wie Hintergrundmusik im Supermarkt. Die emotionalisierte Besetzung nationalen Wir-Gefühls dient hierbei als gemeinschaftsstiftender Kitt einer real zersplitterten und entsolidarisierten Klassengesellschaft.

»Unsere Zeit schmeckt nicht nach Zuckerwatte. Das will auch niemand behaupten.« So tönt es zugleich aus dem Manifest für Deutschland. Zugepackt werden soll für die Nation: »Wir sind 82 Millionen. Machen wir uns die Hände schmutzig. Du bist die Hand. Du bist 82 Millionen.« Bertelsmann befiehl – wir folgen?

Der aktuelle konzertierte mediale Fahnenappell verknüpft Nationalismus mit Neoliberalismus. Er setzt zeitgeistkompatible Bilder ein, um seiner nationalistischen Verhüllung des sozialstaatlichen Zersetzungsprogramms einen freundlichen Anklang zu verleihen. Zugleich wird der Kampf um soziale Teilhabe und um gerechte Verteilungsverhältnisse als volksfeindlich verteufelt. So heißt es im TV-Spot der Kampagne: »Meckere nicht über dein Land, sondern biete ihm deine Hilfe an.« Hier kommt ein neoliberal modernisierter und progressiv verkleideter Nationalismus zum Ausdruck, der sich anlehnt an eine US-Kampagne zu Zeiten von Kennedy, die fast wortgleich lautete. »Frage nicht, was dein Land für dich tut, sondern frage dich, was du für dein Land tust!«

Schluss mit dem Anspruchsdenken – so soll das heißen: Verzicht zum Wohle der Nation soll zum Zeitgeist erkoren werden: »Deutschland redet sich selbst schlecht«, verkündet Bernd Kundrun, Vorstandvorsitzender von Gruner + Jahr und preist den nationalen Schulterschluss zwischen Kapital und Arbeit: »Dagegen wollen wir in diesem bislang einmaligen Schulterschluss einen Impuls setzen und einen Bewusstseinswandel für mehr Selbstvertrauen und Motivation anstoßen. Wir laden alle Menschen, Unternehmen und Organisationen in Deutschland ein, sich dieser Bewegung anzuschließen.«

Ein Volk gibt Gas

So sehr dieser kulturimperialistische Fahnenappell politisch bedrohliche Formen von medienindustrieller Gleichschaltung offenbart, so sehr demonstriert er zugleich den geistigen Zustand der Republik: Die Nation als Lotto-Gewinn? Eine Medien-Performance als nationale Therapie – Deutschland auf der Couch der Bertelsmann AG? Das nationalistische Weichspülprogramm kann seine zugleich völlig absurde Note nicht verbergen: »Du bist der Baum«, »Du bist alle« – die Kampagne präsentiert sich zugleich als Offenbarungsprogramm zur Komplettverblödung. Auschwitz und Michael Schumacher, Mauerfall und Asamoah, all is one? Damit soll nun Deutschland vorangebracht werden? Ein Volk – ein Baum – ein Beckenbauer? Unter solch einem Logo? Die Nation Deutschland unter einer Nazi-Parole als schwarz-rot-goldener Scheisshaufen? Hier hat die Wirklichkeit wieder einmal die krasseste Satire übertroffen. »Geh runter von der Bremse«, heißt es im Manifest der Kampagne: »Es gibt keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Deutschlandbahn. Du bist Deutschland!«

Ein Volk gibt Gas? Du landest da, wo du hingehörst, Deutschland...