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Worchs Fehlpass in Leipzig

Riccardo Sturm (Bildmitte) aus Leipzig posiert auf einer Neonazi-Demonstration in Berlin.

Am 3. Oktober 2004 hatte Christian Worch seiner Serie von Aufmärschen in Leipzig eine neue Richtung gegeben. Er kündigte an, mit seiner Veranstaltung in den eher linksalternativ geprägten Süden der Stadt ziehen zu wollen – eine Gegend, in der es sich Neonazis weiterhin selten trauen, offen durch die Straßen zu laufen. Diese Idee stieß nicht nur bei den Kameraden auf geteiltes Echo. Bei Antifas, Gewerkschaften und in der alternativen Szene mobilisierte Worchs Plan Kräfte, die in Leipzig schon länger nicht mehr am Start waren. In der Konsequenz stand Worch mit kaum mehr als hundert »Kameraden« acht Stunden auf der Stelle, während in der Südvorstadt Barrikaden brannten und tausende Leute aus den verschiedensten Spektren die geplante Route blockierten.

Der Hamburger Neonazikader wäre nicht Jurist hartnäckig genug, wenn er diese Niederlage nicht mit einem Strafverfahren bedenken würde. In diesem Fall hatte ein Leipziger Neonazi ihn im Forum des »Freien Widerstands« auf die Webseite des Sportvereins Roter Stern Leipzig aufmerksam gemacht. Auf der Startseite war mit dem Spruch »Worch und Konsorten in den Arsch treten!« eine Seite verlinkt, auf der zu Gegenaktionen gegen den Aufmarsch aufgerufen wurde. Das zentrale Motiv war eine brennende Barrikade auf der Karl-Liebknecht-Straße. Worch erstattete Anzeige gegen den Domaininhaber wegen »Aufrufs zur gewaltsamen Verhinderung einer genehmigten Demonstration«. Die Staatsanwaltschaft eröffnete dann auch ein Verfahren und erließ gegen den Domaininhaber einen Strafbefehl über 450 Euro wegen genau jenes Vorwurfs. Es sah ganz danach aus, dass es Worch damit gelungen wäre, einen antifaschistisch motivierten Aufruf gegen seine Veranstaltung mit Geldstrafe ahnden zu lassen. Doch der Anmelder der Webseite legte Einspruch ein, es kam also zur Hauptverhandlung.

Damit war klar, dass Worch irgendwann nach Leipzig kommen musste, um als Zeuge auszusagen. Am ersten Verhandlungstag war der Gerichtssaal dann nicht nur voll mit SympathisantInnen des Roten Sterns, auch davor warteten noch viele Leute, insgesamt waren mindestens 40 UnterstützerInnen des Angeklagten vor Ort. Jedoch: Zeuge Worch folgte der Vorladung nicht und blieb dem Ganzen fern. Das brachte ihm ein Ordnungsgeld und die Androhung der Vorführung ein. Am Ende kam er jedoch um die 150 Euro herum, indem er nachweisen konnte, dass die Vorladung nie bei ihm angekommen war – sie war tatsächlich als nicht zustellbar an das Gericht zurückgegangen.

Zweiter Versuch

Einen Monat später war der zweite Verhandlungstag angesetzt. Wegen Unsicherheiten über den Termin waren diesmal kaum UnterstützerInnen anwesend, dafür erschien Worch im Amtsgericht. Und er kam nicht allein. Insgesamt etwa 30 Neonazis lungerten vor dem Saal herum und streiften in Fünfergruppen durch die Straßen rings um das Gericht. Dabei war relativ klar, dass sie es auf körperliche Auseinandersetzungen ankommen lassen wollten: Im Sportgruppen-Outfit, die Handschuhe an, das Basecap tief im Gesicht. Unter den Augen der verhältnismäßig massiv präsenten Bereitschaftspolizei bedrohten sie vor dem Gericht Leute, die sie für Antifas hielten. Riccardo Sturm, ein bereits seit den Neunzigern aktiver Leipziger Neonazi-Hool, soll - nach Berichten von Prozessbesuchern- selbst noch im Gericht den Angeklagten bedrängt haben. Die Anwesenheit von Riccardo Sturm mit seinem BFC-Basecap zeigt, dass für diesen Tag wohl hauptsächlich im neonazistischen Teil des Hooligan-Milieus mobilisiert wurde. Die Neonazis, die durch das Viertel zogen, um Worchs vier Straßen weiter geparktes Auto zu bewachen, waren teilweise von Aufmärschen bekannt. Einige waren beispielsweise beim Worch-Aufmarsch am 3. Oktober 2004 in Leipzig Ordner gewesen oder hatten bei der Neonazi-Demonstration am 15. Januar 2005 in Magdeburg die eine oder andere Fahne getragen. Dem Aussehen nach ließen sie sich recht eindeutig der »Autonomen Nationalisten«-Fraktion zuordnen. Sie kamen dabei überwiegend aus Leipzig und dem weiteren Umfeld, obwohl – außer Sturm – die üblichen Verdächtigen, die sonst den Zusammenhang Leipzig/Schkeuditz/Delitzsch repräsentieren, völlig fehlten. Ganz so selbstbewußt, wie sie sich im Anschluss an diese Aktion auf ihrer Webseite, dem »Nationalen Beobachter Delitzsch«, dann selbst feierten, haben sich die Neonazis in der Südvorstadt dann aber wohl doch nicht gefühlt. Immerhin waren sie, nachdem Worch seine Aussage gemacht hatte, sofort wieder von der Bildfläche verschwunden. Besonders enge Bekanntschaft zwischen Worch und seinen Beschützern scheint auch nicht zu bestehen. Zumindest beim Warten vor dem Gerichtssaal saß der Hamburger weitgehend allein herum.

Juristisch erfolglos

Der Prozeß indes verlief für Worch sicherlich nicht befriedigend. Sein Vorhaben, antifaschistische Mobilisierung juristisch verfolgen zu lassen, misslang. Am Ende plädierte selbst die Staatsanwaltschaft auf Freispruch, weil dem Angeklagten nicht nachzuweisen war, dass er die beanstandeten Sätze online gestellt hatte. Da er nach Zeugenaussagen auch gar keine Möglichkeit hatte, Inhalte auf der Webseite zu ändern, war es also nicht mehr nachvollziehbar, wer es gewesen war. Immerhin wies die Richterin in ihrer Urteilsbegründung darauf hin, in Zukunft zu vermeiden, direkt zu Gewalt aufzurufen. Zum 1. Mai diesen Jahres jedenfalls – nach Einschätzung der Antifagruppen das 2:0 gegen die Neonazis – schien man sich das zu Herzen genommen zu haben. Auf der Startseite des Roten Sterns fand sich ein Foto des Seitenbetreibers mit einem Blumenstrauß in der Hand und dem Spruch: »Christian Worch – Herzlich Willkommen! Wir zeigen dir die kulturelle Vielfalt im Leipziger Süden«. In der Hand ein Buch des rechten Grabert-Verlages: »Antifa heißt Gewalt«.