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Roman eines Schicksallosen

Imre Kertesz

Kann ein Konzentrationslager langweilig sein? Gibt es ein .Glück der Konzentrationslager? Unter bestimmten Umständen schon. meint der Träger des Literatur Nobelpreises 2002 Imre Kertesz - und weil schon diese beiden Fragen im Zusammenhang von Holocaust-Literatur lange Zeit nahezu undenkbar waren, hat Kertesz' Roman erst einmal jahrelang keinen Verleger gefunden. 1960-1973 entstanden, brauchte der Roman eines Schicksalslosen auch nach seinem ersten Erscheinen erst einmal gute 20 Jahre. bis er als das erkannt und rezipiert wurde. was seine Bedeutung im Kontext der Holocaust-Literatur ausmacht: eine bis dahin nicht akzeptierte Erweiterung der Möglichkeiten über den Holocaust zu sprechen und zu schreiben. Aus der Sicht eines heranwachsenden Jungen erzählt der autobiographische Roman die Welt der Lager und der universalen Tötungsmaschine. als sei beides das Natürlichste der Welt. Das Grauen beginnt aus der Nähe betrachtet zu menscheln und lakonisch nimmt der Junge aus der Perspektive des manchmal fast unbeteiligten Beobachters Überleben und Sterben zur Kenntnis. Kein Pathos sondern Alltag bis hin zur Banalität bildet das Fundament dieses Entwicklungsromans unter falschen Vorzeichen. Und der Leser - er möchte manchmal ebenso wie der ältere Herr. den der Protagonist des Romas am Ende trifft. den Kopf schütteln und sich irritiert umschauen. dass einem das unvorstellbare Grauen so selbstverständlich und natürlich erscheinen kann. Doch es kann eben sein und Kertesz zeigt es auf: [E]s gibt keine Absurdität. die man nicht ganz natürlich leben würde [ ... ]. In Kertesz’ Roman findet sich eine an Franz Kafka oder Albert Drach erinnernde emotionale und sprachliche Nüchternheit. ja fast Kälte. derer man sich als Leser nicht entziehen kann und die einen frieren macht. Diese Form der Darstellung ist aus dem Holocaust-Diskurs nicht mehr wegzudenken. denn es ist im Kontext dieser Literatur eine wichtige. Konventionen aufbrechende Variante, die einseitige Vereinnahmung verhindert und zwischen den Zeilen auf unnachahmliche Weise das Unsagbare rettet.

Imre Kertesz. Roman eines Schicksallosen. Rowohlt. Reinbek bei Hamburg 1996. 8,90 EUR