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»Der Freiwillige«. The next Generation

Einleitung

Wachablösung lautete der Titel für die Zeitschrift »Der Freiwillige« im Januar 2000. Noch im Herbst 1999 schien das Ende des Traditionsblattes der ehemaligen SS-Mitglieder besiegelt. Nun erneuerte sich die Redaktion, setzt auf internationale Beziehungen und findet Anschluss an die Nachkriegsgeneration und den militanten Neonazismus.

Bild: de.wikipedia.org; Josef Kriegl

Die HIAG Ostsachsen bei einer "Traditionsfeier" während des Ulrichsbergtreffen 2003.

Mit der »Wachablösung« scheint die Kontinuität der »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS« (HIAG), eine der ältesten Naziorganisationen der BRD gesichert zu sein. Ab 1950 gründeten der ehemalige Brigadeführer der Waffen-SS Otto Kumm und der ehemalige Obergruppenführer Paul Hausser bundesweit Ortsgruppen und Landesverbände. Als Verbandszeitschrift erschien ab 1953 im vereinseigenen »Munin-Verlag« »Der Freiwillige«. Von diesem wurden nach Eigenangaben bis heute fünf Millionen Exemplare verkauft. 1959 wurde dann der Bundesverband der »HIAG« gegründet. Bis 1979 entstanden 118 Orts- und Kreisverbände.

Zu den jährlichen »Suchdiensttreffen« kamen bis zu 16.000 Teilnehmer. Ende 1959 trat die »HIAG« dem »Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge« bei, 1962 folgte der korporative Beitritt zum»Verband deutscher Soldaten« (VdS). Zur Betreuung und Unterstützung von Kriegsverbrechern, die »unschuldig in den Gefängnissen von Landsberg und in Gaete/Italien« saßen, wurde 1962 das »Sozialwerk Paul Hausser« gegründet. Im Laufe seines Bestehens sammelte es Spenden in Höhe von 4,25 Millionen D-Mark. Während der Bundesverband der »HIAG« 1992 aufgelöst wurde, bestehen die Landes- und Divisionsverbände bis heute weiter.

»Die Reihen fest geschlossen...«

»SS-Obersturmführer, ausgezeichnet mit Eisernem Kreuz, Nahkampfspange, Verwundetenabzeichen und Deutschem Kreuz in Gold«. So präsentierte sich Fritz Hahl, der im Januar 2000 die Schriftleitung übernahm. Hinter Hahl, der für den »Freiwilligen« die Erlebnisgeneration vertritt, steht als Herausgeber und Geschäftsführer Patrick Agte. Er hat zum l. Januar die gesamten Anteile an der »Munin Verlag GmbH« erworben und ihn an seinen Wohnsitz nach Pluwig in die Nähe von Trier verlagert.

Ein Kriegsveteran ist Agte jedoch nicht. Er wurde 1965 geboren, absolvierte seinen Wehrdienst bei der Luftwaffe und war als Berufssoldat in der Ausbildung von Scharfschützen eingesetzt. Hahl und Agte setzen in der Weiterführung auf Tradition. »Wenngleich ›Der Freiwillige‹ nun nicht mehr das offizielle Organ der HIAG ist, bleibt seine Aufgabe, das Mitteilungsblatt aller Soldaten der früheren Waffen-SS darzustellen, unverändert."1

Die Berichte beschränken sich jedoch nicht nur auf die positive Rückschau auf SS und Wehrmacht, auch die aktuelle Politik wird in mehr oder weniger offener rassistisch/antisemitischer Diktion kommentiert. Unter der Überschrift »Inder nach Deutschland« schreibt Agte über »internationale Konzerne«, deretwegen »mit einer geradezu infernalischen Bosheit und Hinterlist die Umvolkung Deutschlands weiter betrieben«2  werde. In deutschnationalem Stolz verweist er darauf, dass der erste programmgesteuerte Rechner 1938 in Deutschland entwickelt worden sei und die heutige Misere nur am »Verrat an der deutschen Ingenieurkunst« liege.

Neben der Weiterrührung der Zeitschrift wurde auch der »Munin-Verlag« reaktiviert. Dieser hatte in den vergangenen Jahrzehnten reihenweise unkritische bis beschönigende Bücher zum NS herausgegeben. Nachdem die alten Herausgeber diese Arbeit nicht mehr leistenkonnten, wurde das Buchgeschäft eingestellt. Unter Agtes Führung erscheinen jetzt neue Bücher, und vergriffene Werke werden wieder aufgelegt. Bücher mit Titeln wie »Leibstandarte SS Adolf Hitler« oder »Die Ritterkreuzträger der Waffen-SS« bezeichnen das Sortiment.

Europa Erbe

»Es werden verstärkt Artikel über die europäischen Freiwilligen der Waffen-SS, die diese ja erst zur europäischen Truppe reifen ließen, erscheinen.« So wird eine neue Schwerpunktsetzung angekündigt. Tatsächlich finden sich verstärkt Berichte über die sogenannten »germanischen« SS-Untergliederungen und Divisionen, die es in fast allen europäischen Ländern gab. Diese »Internationalisierung« findet auch ihren Ausdruck in der Gründung der Organisation »Europa Erbe«.

»Aus Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland« stammte der Personenkreis, der zusammen mit Mitarbeiterndes »Freiwilligen« im Sommer 2000 die »Europa Erbe - Lehr und Forschungsgemeinschaft« gründete. Ort war die »sagenumwobene Wewelsburg« bei Paderborn, einst vom Führer der SS Heinrich Himmler dazu auserkoren, zentrale Kult- und Schulungsstätte des SS-Ordens zu werden. »In dieser ins Leben gerufenen Institution, die durch eine Dotation mit einem ansehnlichen wirtschaftlichen Grundstock ausgestattet worden ist, werden Forschungsbereiche auf den Gebieten Militärhistorik, Architektur, Frühgeschichte, Brauchtumskunde, Archäologie, Technik, Literatur und Film unter einer Dachorganisation vereint.«

Von der HIAG zur MIHAG

»Es gilt das soldatische Vermächtnis des ehemaligen europäischen Soldaten vom Ersten und Zweiten Weltkrieg zu hüten, die Erinnerungen an die Tapferkeit und die erlittenen Opfer wachzuhalten und weiterzugeben bis in eine Zeit, die der geschichtlichen Wahrheit und Würdigung zur Ehre gereicht.«3 So definiert Paul Kern das Ziel der »Militärhistorische Arbeitsgemeinschaft« (MIHAG). Aufgabenbereiche werden in der Betreuung der Kriegsgeneration, der Pflege der Ehrenmahle, in Kranzniederlegungen und in publizistischer Tätigkeit gesehen. Die »MIHAG« ist in der Schweiz, Italien und Dänemark aktiv. Neben Kern wird sie in der Bundesrepublik durch Roland Pfeiffer repräsentiert, in Dänemark durch Holger Thor Nielsen, in Italien durch Marco Novarese.

Der Nachwuchs

»Klemens Behler habe ich im Sommer 1988 kennen gelernt, während eines Zeltlagers kam er in unser Lager, saß mit uns am Lagerfeuer und sang mit uns Jungen und Mädel unsere Lieder.«4 So beginnt Ralph Tegethoff seinen Nachruf auf den Ritterkreuzträger Klemens Behler. Bei dem Lager dürfte es sich um eines der inzwischen verbotenen neonazistischen »Wiking-Jugend« gehandelt haben, in welcher Tegethoff aktiv war. Wie »die ehemalige Waffen-SS wirklich war« will er damals erfahren haben.

Tegethoff, ehemals Gauführer Mittelrhein und stellvertretender NRW- Landesvorsitzender der verbotenen Neonazi-Partei FAP, gehört heute zu den führenden Kräften der sog. »Freien Nationalisten« in NRW. Auffälligerweise traten VertreterInnen der »Erlebnisgeneration« oftmals bei Demonstrationen auf, an deren Durchführung bzw. Organisation auch Tegethoff beteiligt war. Zum Beispiel am 28. Oktober 2000 in Düsseldorf. Die Reden der Altnazis haben für die Jungnazis einen hohen symbolischen Stellenwert. Sie suggerieren Authenzität und ermöglichen es dem Nazi-Nachwuchs, sich in eine historische Kontinuität hinein zu
phantasieren.

Schwertübergabe

Erkennen die SS-Veteranen Agte, Tegethoff und die anderen Nachkriegsmitglieder, die sich für den »Freiwilligen«, die »MIHAG« oder »Europa Erbe« engagieren, als ihre legitimen Erben an undwerden hier größere Geldmengen weitergegeben? Die Summe von 4,25 Millionen Mark, die für das »Sozialwerk Paul Hausser« gesammelt wurde, zeigen die finanziellen Möglichkeiten der Organisation ebenso wie der Hinweis, auf einen »ansehnlichen wirtschaftlichen Grundstock«5   mit dem die Organisation »Europa Erbe« versehen sei.

Ab September 2000 wurde über den Verlag ein»Haus, Resthof oder Gutshof« zum Kaufen oder Pachten gesucht. Ob sich rund um den »Freiwilligen« und die anhängenden Organisationen ein bedeutenderer Personenkreis sammelt, der mehr erreicht, als den Mitgliedern der Erlebnisgeneration ein Rechtfertigungs- und Verklärungsblatt zu erstellen, bleibt abzuwarten. Erste erfolgreiche Schritte sind gemacht, Kontakte geknüpft. Jetzt wird es darum gehen, von den Alten endgültig als »würdige Erben« anerkannt zu werden und diese Stellung an die Szene und darüber hinaus weiter zu vermitteln.

Zukünftig könnte »Der Freiwillige« und die mit ihm verbundenen Organisationen im neofaschistischen Lager die Aufgabe erfüllen, die Verklärung der SS weiter mit Geschichtslügen zu unterfüttern. Zu befürchten ist insbesondere, dass die „großgermanische“ Dimension der SS verstärkt in den Vordergrund gerückt wird und dieses zu einer verstärkten länderübergreifenden Zusammenarbeit rühren könnte. Die Arbeit und Ausrichtung der »MIHAG« und des »Europa Erbe« deuten in diese Richtung.

  • 1Der Freiwillige, Nr. 3/2001. S. 4ff
  • 2ebd. Nf. 7/ 2001, S.3
  • 3ebd. Nr. 2/2000, S.26
  • 4ebd. Nr. 1/2000, S.30f
  • 5ebd. Juli 2000, S. 20