Skip to main content

Das Finkelstein-Alibi. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte

Norman Finkelsteins Buch »Die Holocaust Industrie« erschien in Deutschland während der Debatte über die Entschädigung der NS Zwangsarbeiter. Für die Opfer tat sich nichts. Immer neue Argumente brachten Politik und Industrie vor, warum die zur Verhandlung stehende Summe der Entschädigung zu hoch oder die Rechtssicherheit nicht gegeben sei.

Finkelsteins Behauptung, die u.a. verhandlungsführende »Jewish Claims Conference« (JCC) habe von Deutschland bereits geleistete Zahlungen systematisch für eigene Prestigeprojekte eingesetzt und zweckentfremdet, bildete eine Steilvorlage für den Entlastungsdiskurs in der Öffentlichkeit. Der vorliegende Band setzt sich mit den Thesen Finkelsteins auseinander und versucht eine Bilanz der Debatte, deren antisemitische Subtexte und den sich abzeichnenden Paradigmenwechsel im Umgang mit der NS- Vergangenheit.

Im ersten Aufsatz des Sammelbandes setzt sich Rolf Surmann mit der Kritik Finkelsteins an der JCC auseinander. Er widerspricht der Ansicht, sie habe kein Vertretungsmandat für die Opfer, in dem er zunächst die Debatte jüdischer Organisationen nach 1945 nachzeichnet, wer denn die Opfer aus jüdischer Sicht vertreten dürfe. Surmann zeigt, dass es Finkelstein nicht um die Darstellung eines innerjüdischen Vertretungskonfliktes geht, sondern um die Delegitimierung der JCC und ihrer Ansprüche. Das Resümee: Finkelsteins Buch habe »keinen wahren Kern« und sei als »Spiegel der politisch-ideologischen Verfasstheit« in Deutschland zu lesen.

Ulrike Winkler fasst in ihrem Beitrag die bisherige Entschädigungspraxis zusammen. Sie erinnert daran, dass das »Bundesentschädigungsgesetz« Zahlungen nur für Opfer rassischer, politischer und religiöser Verfolgung vorsah und nennt die Opfergruppen, welche schlicht nichts bekamen, zum Beispiel Deserteure, Sinti/Roma und eben Zwangsarbeiter. Winkler qualifiziert Finkelsteins Vergleich der JCC mit einem Judenrat in den Ghettos Osteuropas zur Zeit des Nationalsozialismus, als das, was er darstellt: Eine Uminterpretation der Opfer zu Tätern.

Wie »weich« die JCC in den vergangenen Jahrzehnten deutsche Firmen angefasst hat, wenn es um Entschädigungszahlungen ging, zeigt Dieter Vaupel am Beispiel des Flick Konzerns. Mit diesem hatte die JCC jahrzehntelang verhandelt, ohne die Fakten über die Rolle von Flicks Rüstungsbetrieben im NS Zwangsarbeitssystem zu veröffentlichen. Von Verhandlungen ohne Öffentlichkeit hatte man sich jedoch vergeblich schnelle Ergebnisse zu Gunsten der Opfer erwartet.

Der zweite Teil des Bandes zeichnet die Debatte um Finkelsteins Buch, ihre antisemitischen Implikationen und den sich verändernden Umgang mit der NS-Vergangenheit nach. In einem Beitrag über »Motive sekundären Antisemitismus« beschreibt Lars Rensmann den antisemitischen (Unter-)Ton, in dem die Debatte geführt wird. Opferanwälte werden als »geldgierig« und »aggressiv« beschrieben, die zum Schicksal der Opfer ein instrumentelies Verhältnis hätten. So wird eine antisemitische Assoziationskette zum Bild des »raffenden Juden« hergestellt.

Und wie in den Entschädigungsverhandlungen selbst, findet sich inder öffentlichen Debatte eine Perspektivverkehrung: Deutschland, zumal die Industrie, erscheinen als eigentliches Opfer. Am Beispiel des »Spiegel« wird aufgezeigt wo, die antisemitische Chiffre in offenen Antisemitismus umschlägt. Rensmann führt dies mit Adorno auf eine kollektive Erinnerungsabwehr zurück, da die Juden nun selbst die Erinnerung an den verdrängten Holocaust repräsentierten. Hieran anschließend untersucht Andreas Speit die Rezeption Finkelsteins in der rechtsextremen Szenerie am Beispiel neonazistischer Homepages oder der »Jungen Freiheit« (JF).

Die JF hatte bereits früher Holocaust-Leugnern indirekt ein Podium geboten. In der Finkelsteindebatte greift sie den Antisemitismus der Mitte auf, so Spelts Resümee. Das Buch gibt vor allem im ersten Teil eine gute Einführung in die Hintergründe des Entschädigungsdiskurses. Die Beiträge im zweiten Teil stehen inhaltlich etwas zusammenhanglos nebeneinander und manchen Beiträgen ist anzumerken, dass sie für den Band kurzerhand umgeschrieben wurden. Das ist gewiss der Eile geschuldet, mit welcher der Verlag auf die Finkelsteindebatte reagieren wollte. Diese Reaktion aber ist gelungen.

Sturmamn, Rolf (Hrsg.)
Das Finkelstein-Alibi
»Holocaust-Industrie«

Papy Rossa Verlag
Köln, 2001