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Der Prozeß gegen Safwan Eid geht weiter

Einleitung

Vor dem Kieler Landgericht geht der Lübecker Brandprozeß in die zweite Runde - vor Gericht sitzt wieder der Flüchtling Safwan Eid, während die tatverdächtigen Deutschen weiterhin unbehelligt bleiben.

Bild: wikimedia/1970gemini/CC BY-SA 4.0

Das Gebäude in der Lübecker Hafenstraße nach dem Anschlag.

"Lügeck" und kein Ende

Eine eigenartige Idee: "Wir wollen jetzt die Vergangenheit beiseite lassen (...)«, erklärte Jochen Strebos. Wie der Vorsitzende Richter im Kieler Prozeß gegen Safwan Eid jedoch die komplexe Geschichte ausblenden will, die schließlich zum Verfahren gegen den Libanesen geführt hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben.

Barbara Klawitter, eine der beiden Verteidigerinnen Eids, reagierte jedenfalls schon an diesem ersten Prozeßtag genervt. Wäre das Verfahren nicht von Beginn an geprägt von einseitigen Ermittlungen der Lübecker Staatsanwaltschaft, müßten wir um heute hier nicht versammeln und erneut über das schreckliche Ereignis verhandeln" sagte die Anwältin.

Noch vor diesem Auftakt zum zweiten juristischen Versuch, Safwan Eid für den Anschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in der Ostseestadt verantwortlich zu machen, waren die Verteidigerinnen optimistisch. Das neue Verfahren, das am 3. September vor der Kieler Landgericht begann, werde Gelegenheit bieten, so hofften Klawitter und ihre Kollegin Gabriele Heinecke, »die teilweise unzutreffenden tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Lübeck zu überprüfen und abzuändern«.

Das geht natürlich nur, wenn die bisherige Geschichte auf den Tisch kommt. Nicht nur die Frage, wer tatsächlich das tödliche Feuer vom 18. Januar 1996 entfacht hat, bei dem zehn Flüchtlinge starben und 38 zum Teil schwer verletzt wurden, wartet hier auf eine Antwort. Bis heute ist ebenso ungeklärt, warum die Lübecker Staatsanwaltschaft konsequent gegen Safwan Eid ermittelt hat, obwohl so gut wie kein Verdachtsmoment gegen ihn vorlag, und gleichzeitig die tatverdächtigen Männer aus Grevesmühlen so gut wie unbehelligt blieben.

Ein kurzer Blick zurück:

Nach einem zehn Monate dauernden Prozeß sprach das Lübecker Landgericht im Juni 1997 den ehemaligen Hausbewohner Eid frei. Während selbst die Staatsanwaltschaft der Hansestadt nicht für eine Verurteilung plädierte, klagte ein Nebenkläger-Vertreter im Auftrag einer betroffenen Familie vor dem Bundesgerichtshof (BGH) auf Revision des Verfahrens. Der Grund: Protokolle von abgehörten Gesprächen, die Eid zwei Wochen nach seiner Festnahme im Februar 1996 mit seinen Angehörigen in der Besucherzelle des Gefängnisses geführt hatte, hätten nach Meinung des Anwaltes im Prozeß eingebracht werden müssen.

Darauf hatte der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken damals verzichtet, weil der Lauschangriff möglicherweise ohne gesetzliche Grundlage vorgenommen worden war. Dieser Einschätzung wollte der 3. Senat des BGH im Juli vergangenen Jahres nicht folgen: »Die Besucherzelle einer Justizvollzugsanstalt ist keine Wohnung.« Folgerichtig sei die Abhöraktion kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Gefangenen gewesen. Deshalb muß das Verfahren um den wohl folgenschwersten Anschlag auf Flüchtlinge in Deutschland nun neu aufgerollt werden.

Erneut steht also möglicherweise alles zur Disposition, was schon über zehn Monate hinweg in Lübeck verhandelt wurde. Möglicherweise, denn zunächst werden die umstrittenen Abhörprotokolle im Mittelpunkt des Verfahrens stehen. Ob danach tatsächlich wieder das gesamte Procedere von vorne losgeht, das bereits in der Hansestadt durchgespielt worden war, steht noch in den Sternen. Vielleicht kommt auch das Gericht sehr schnell zu dem Schluß, daß durch die abgehörten Gesprächen mitnichten eine Schuld Eids bewiesen werden kann. Und damit würde auch den Kieler Richtern als einziger vermeintlicher Beweis bleiben, was bereits im ersten Verfahren nicht für eine Verurteilung ausreichte: Die Aussage des Kronzeugen Jens L., der in der Tatnacht von dem angeklagten Libanesen ein Geständnis gehört haben will. »Wir waren's« soll Eid demnach dem Rettungssanitäter im Krankentransport auf dem Weg ins Hospital gesagt haben.

Eine dünne Grundlage, wie im ersten Prozeß alle Beteiligten feststellen mußten. Aber auch über die Tauglichkeit der abgehörten Gespräche machen sich weder die Lübecker Strafverfolger, noch die Bundesanwaltschaft große Illusionen: »Selbst bei einer Zulassung der Protokolle«, sagte Ankläger Klaus-Dieter Schulz, könne das Verfahren »am Ende wieder im Zweifel für den Angeklagten ausgehen«. Was die Bedeutung der Gespräche betrifft, dürfte er recht haben: Bereits fünf Sprachexperten haben die Ermittler auf die Protokolle angesetzt, und noch immer weisen die Interpretation immense Differenzen auf, die keine Zuordnung zulassen. Zuletzt beschäftigte sich ein Berliner Sprachspezialist im Auftrag des Kieler Gerichts mit den Abschriften. Doch selbst dieser Experte, der den Tripoli-Dialekt der Familie Eid perfekt beherrscht, kam zu keinen neuen Erkenntnissen. Auch nach seiner Übersetzung stehen eher Eids Unschuldsbekundungen im Vordergrund.

Dennoch war sich der BGH in seinem Beschluß sicher: »das Landgericht hat gewichtige, den Angeklagten belastende Umstände festgestellt.« So hätten die Richter einen Anschlag von außen ausgeschlossen, zudem habe Eid etwa in der Nacht auf dem Krankenhausgelände seinen Kaftan »ohne nachvollziehbare Begründung in einen Container geworfen«. Unter Beiziehung der Abhörprotokolle könne der Beschuldigte nun möglicherweise überführt werden, entschieden die Karlsruher Juristen mit Blick auf die schriftliche Urteilsbegründung, die von den Lübecker Richtern Ende Oktober 1997 signiert wurde. Und tatsächlich kann der BGH in seiner Entscheidung auf einige Punkte verweisen, die als angebliche Prozeßergebnisse in diesem Schriftstück formuliert wurden und die den Verdacht wieder auf Eid lenken.

Von diesen Verdachtsmomenten war im Lübecker Gerichtssaal selbst kaum die Rede. Im Gegenteil: Noch am 23. April, wenige Verhandlungstage vor dem Ende der Beweisaufnahme, konnte Richter Wilcken nichts erkennen, was den Angeklagten belaste. »Entlastung«, sagte der Gerichtsvorsitzende damals, »setzt eine hinreichende Belastung von Safwan Eid voraus, die wir nach dem jetzigen Stand nicht haben«. Der Freispruch stand zu diesem Zeitpunkt bereits so gut wie fest. Räumte Wilcken dann bei der mündlichen Urteilsverkündung am 30. Juni noch ein, der Sanitäter Jens L. könne den Angeklagten »möglicherweise falsch verstanden« haben, so ist im schriftlichen Urteil davon keine Rede mehr. Die Angaben des Kronzeugen begründeten, heißt es dort, einen schwerwiegenden Verdacht gegen Eid. Der Libanese könnte zumindest Mitwisser gewesen sein. Da »sein Informant ein Familienangehöriger gewesen sein« könnte, brauche der Angeklagte niemand zu belasten.

Die potentiellen Täter kommen also, so die Botschaft, aus der Unterkunft selbst. Auch an einem weiteren Punkt änderte sich Wilckens Einschätzung. Noch im Juni war der Richter davon ausgegangen, daß es zwei Primärbrände im Haus gegeben haben muß. Nur so konnte er sich erklären, wie der Flüchtling Sylvio Amoussou im hölzernen Vorbau gestorben war. Die Umstände dieses Todes beschreibt Wilcken dann im schriftlichen Urteil mit einem verwegenen Szenario. Demnach soll der Asylbewerber aus Togo, um sich zu retten, vom ersten Stock nach unten gerannt sein. Unterwegs hätte dann möglicherweise seine Kleidung Feuer gefangen und in der Folge den Vorbau in Brand gesetzt.

Die Verteidigung hält wenig von dieser Interpretation. Für Gabriele Heinecke ist der Tod Amoussous jedoch der »Schlüssel zur Aufklärung des Brandes«. Der Togolese war mit Annegret S. befreundet, die längere Zeit als V-Frau für die Lübecker Kriminalpolizei im Rotlicht- und Drogenmillieu gearbeitet hatte. In den Monaten vor dem Brand in der Hafenstraße war sie - vermutlich aufgrund dieser Tätigkeiten - mehrmals Ziel von Anschlägen. Möglicherweise, so vermutet die Rechtsanwältin, wurde Amoussou im Vorbau der Flüchtlingsunterkunft als Freund der Lübeckerin von Tätern aus dem Sumpf zwischen Kripo-Spitzeln, »Millieu« und Rechtsradikalen mit einen Brandsatz angegriffen.

Eine durchaus denkbare Variante. Der Befund der Gerichtmediziner jedenfalls läßt diese Vermutung zu: Im Gegensatz zu den anderen Opfern wies die Leiche Amoussous nicht die für einen Erstickungstod üblichen Rußpartikel in der Lunge auf.

Deutsche Tatverdächtige kaum beachtet

Hierzu paßt auch eine dritte Wende, die Richter Wilcken im schriftlichen Urteil vollzog: Hatte das Gericht noch im April die Möglichkeit eines gewaltsamen Eindringens von außen eingeräumt, so hieß es dort, diese »Denkmöglichkeit« sei »nicht ernstlich in Betracht« zu ziehen. Soll heißen: Rechte oder Rassisten scheiden als Täter definitiv aus. Davon sind auch die Lübecker Staatsanwälte weiterhin überzeugt. Folgerichtig stellten die Ankläger am 2. Juni dieses Jahres das Ermittlungsverfahren gegen jene vier Männer aus dem mecklenburgischen Grevesmühlen wieder ein, die zunächst als "Tatverdächtige" gehandelt worden waren.

Bevor die Polizei sie vor dem brennenden Haus kontrollierte, waren die Rechten stundenlang in der Hansestadt unterwegs. Zwar wurde bei der Kontrolle im Kofferraum des Wartburgs, mit dem die vier gefahren waren, ein 20-Liter-Benzinkanister gefunden. Das aber stört die Fahnder ebensowenig wie die Tatsache, daß die Männer bis heute kein einwandfreies Alibi vorweisen können.

Selbst daß mit »Klein Adolf«, wie sich der Grevesmühlener Maik Wotenow auch manchmal nennen ließ, einer der Gruppe mittlerweile dreimal die Tat gestanden und später widerrufen hat, hielt die Strafverfolger nicht von ihrer Entscheidung ab. Und auch nicht die Verbrennungen, die Gerichtsmediziner nach der Festnahme der Mecklenburger an Kopfhaaren, Augenbrauen und Wimpern festgestellt haben.

Dabei können selbst die Strafverfolger bis heute nicht erklären, wie sich die Männer diese Brandspuren in der Tatnacht zugezogen haben. Die bisherigen Erklärungen konnten auch die Lübecker Staatsanwälte nicht überzeugen. So will sich Maik Wotenow seine Verbrennungen zugezogen haben, als er einen Hund angezündet hat. Rene Burmeister will seine Versengungen bekommen haben, als er beim nächtlichen Abzapfen von Benzin für sein Mofa ein Feuerzeug anmachte.

Trotz der kuriosen Erklärungen bleibt der Lübecker Staatsanwalt Klaus-Dieter Schulz auch heute dabei: »Allein der Umstand, daß das zeitlich/örtliche Zusammentreffen von drei Personen mit Haarversengungen, die jeweils auf andere Art und Weise verursacht worden sein sollen, ungewöhnlich ist, vermag angesichts der anderen Feststellungen einen hinreichenden Tatverdacht nicht zu begründen.«