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Der Antisemitismus in der »kommunistischen« Partei Rußlands

AntifaschistInnen aus der GUS
Einleitung

Am 4. Oktober 1998 fand in Moskau eine Kundgebung der kommunistischen »Opposition« statt. Die Veranstaltung war den Opfern der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem Präsidenten und dem Parlament 1993 gewidmet. Den Rücktritt von Präsident Boris Jelzin und den Sturz des »volksfeindlichen Regimes« fordernd, erinnerte das Mitglied des Zentralkomitees der Коммунистическая партия Российской Федерации (КПРФ) / Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF), General a.D. Albert Makaschow (Альберт Макашов) an die Ermordung des oppositionellen Generals Lew Rochlin. Albert Makaschow erklärte den Anwesenden, daß er sich nicht so einfach umbringen lasse und einige Dutzende der »Jidden« (russisches Schimpfwort für Juden) mit ins Grab nehmen werde. Diese Aussage von Albert Makaschow löste in der Presse viele kritische Reaktionen aus. Verschiedene Fernsehsender zeigten mehrfach diesen Ausschnitt seiner Rede und befragten ihn zu seiner Position gegenüber Jüdinnen und Juden. Trotz der eindeutig ablehnenden Berichterstattung wurde der in letzter Zeit wenig bedeutende Politiker damit in den Vordergrund gerückt und ihm eine Plattform für seine antisemitische Propaganda geliefert.

Bild: Screenshot YouTube

Der kommunistische Nationalist Albert Makaschow erklärte in einer Rede, daß er sich nicht so einfach umbringen lasse und einige »Jidden« mit ins Grab nehmen werde.

»Klasse und Rasse«

Obwohl Makaschow nur am Rande der Parteispitze steht, stellen seine Positionen leider keine Ausfälle einer Einzelperson dar: Der Chef der KPRF Gennadi Andrejewitsch Sjuganow (Геннадий Андреевич Зюганов) wollte seinen Parteigenossen nicht einmal tadeln. Die Parteirührung nannte Makaschows Rede »nicht ganz gelungen« und versuchte, diese als Makaschows persönlichen Standpunkt darzustellen. Offiziell ließ die KPRF verlautbaren, die Haltung der Partei zur »nationalen Frage« sei in ihrem Programm zu finden, dem alle Mitglieder zu folgen hätten. Die Partei verhängte keine Sanktionen gegen Makaschow.

Erst einen Monat nach Makaschows Auftritt wurde das Verhalten des Abgeordneten Makaschow in der Duma behandelt. Die Resolution, die die Ablehnung der Duma von Makaschow ausdrücken sollte, war nach den Worten ihres ebenfalls nationalistischen Initiators Stanislaw Sergejewitsch Goworuchin (Станислав Сергеевич Говорухин) »harmlos und ganz rücksichtsvoll«. Trotzdem wurde sie von einer Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt. Die Fraktion der KPRF, die dagegen stimmte, erklärte dies damit, daß eine umfassende Resolution über die »zwischennationalen« Beziehungen (hier sind die Beziehungen zwischen den verschiedenen »Nationalitäten« innerhalb Russlands gemeint) vorbereitet werden müsse. Dabei benutzten einige der Parlamentarier im Laufe der Diskussion offen antisemitische Parolen, z.B. »die Zionisten diktieren ihre Politik sowohl dem Fernsehen als auch vielen Regionen Rußlands«. Einer der Abgeordneten, die diese Resolution vorbereiteten, war Viktor I. Iljuchin (Виктор Илюхин) von der KPRF, Vorsitzender des Komitees für Sicherheit der Duma. Somit ist es nicht verwunderlich, daß Makaschow in der Resolution gar nicht erwähnt wurde: Derselbe Iljuchin beschuldigte bei einer Ausschuß-Sitzung in der Duma den Präsident des Genozids an der Bevölkerung Russlands. Iljuchin sagte, das russische Volk1   hätte wesentlich weniger gelitten, wenn »in der Umgebung von Jelzin die Vertreter der Grundnation vorgeherrscht hätten und nicht nur die Vertreter der jüdischen Nation«.

Die Vertreter der KPRF-Fraktion behaupteten, daß die führenden Fernsehensender nicht objektiv über die Tätigkeit der Duma berichten würden und begannen eine Kampagne gegen die Pressefreiheit, die mit der angeblich »grenzenlosen Willkür« der Massenmedien begründet wurde. Bei einer Pressekonferenz am 27.Oktober antwortete Sjuganow auf eine Frage zum Antisemitismus seiner Partei, seine Partei predige den Internationalismus. Aber, die wachsende Unzufriedenheit über die »nationale Frage« sei zu verstehen. Sjuganov benutzte hier eine bei den „National-Patrioten“ 2 (u.a. bei einigen KPRF-Mitglieder) populäre These über ein Übermaß von Juden und Jüdinnen in der Regierung und ihre angeblich räuberischen Aktivitäten.

Diese Propaganda ist insbesondere gegen die liberalen Politiker, die Anhänger der marktwirtschaftlichen Reformen sind, gerichtet. Sjuganow versucht gleichzeitig - nicht ohne die Mitwirkung der Presse - sich ein Image als europäischer Sozialdemokrat aufzubauen. Antisemitismus ist nicht nur der Moskauer Spitze der KPRF eigen. So traten in einem Prozeß gegen das Mitglied der neonazistischen Gruppe Русское Национальное Единство (РНЕ) / "Russische Nationale Einheit" (RNE)3 Semjonow in Oriol, der u.a. wegen antisemitischer Propaganda angeklagt wurde, bekannte örtliche Kommunisten zu seiner Verteidigung auf.

Alle diese Ereignisse sind vor dem Hintergrund des schon begonnenen Wahlkampfes zu sehen. Bei den Wahlen zur Duma im Dezember 1999 haben Iljuchin und Makaschow vor, mit einer eigenen Parteiliste, der Bewegung „Für die Unterstützung der Armee“, aufzutreten und nationalistischen Wähler anzuziehen. Viele Menschen waren wegen der eindeutig ablehnenden Haltung der bürgerlichen Massenmedien gegen Makaschow überrascht. Die KPRF kann sich trotz alledem der Unterstützung ihrer AnhängerInnen gewiß sein. Die Aufforderungen zu Sanktionen gegen die KPRF seitens der Kreml-nahen PolitikerInnen sind für sie zum »Beweis« der Oppositionsrolle der KPFR geworden.

Die Befürchtungen mancher Funktionäre, die Ausfälle Makaschows könnten der KPRF schaden, scheinen sich nicht zu erfüllen. Als eindeutig negative Folge wird nur das schlechte Image der KPRF in Europa bleiben. Dasselbe kann man auch über die politischen Gegner der KPRF sagen. Der Aufschrei der Presse, öffentlich gezeigte Empörung und die Aufforderung, die Partei zu verbieten, sind nicht zufällig. Dadurch bestärken sich die Demokraten in ihrer Rolle als Hüter liberaler Werte.

Es ist unwahrscheinlich, daß sie sich wirklich wegen der fremdenfeindlichen Äußerungen Sorgen machen. Neben antisemitischen Positionen sind in den letzten Jahren auch antikaukasische Haltungen viel offener vertreten worden. Dieselben Politiker, die den Antisemitismus der KPRF zu Recht scharf kritisieren, stört die Diskriminierung der Menschen aus dem Kaukasus und Mittelasien nicht. Das hängt vor allem mit der Strategie zusammen, durchschnittliche liberale Wähler, denen die »Kaukasierphobie« durchaus nicht fremd ist, bei der Stange zu halten.

Die KPRF sowie die Bewegung „Für die Unterstützung der Armee“ sind Mitglieder einer Vereinigung namens "Volkspatriotische Union Russlands" (Народно-патриотический союз России), zu denen auch kleine, offen stalinistische Parteien wie z.B. "Werktätiges Russland" von Wiktor Iwanowitsch Anpilow (Ви́ктор Ива́нович Анпи́лов) gehören.

Am Geburtstag von Stalin Ende Dezember letzten Jahres veranstaltete die KPRF-nahe Zeitung »Sawtra« »unser russisches Frontfest«. Dort wurde Makaschow mit dem »Stalin- Stern-Orden« ausgezeichnet, der von der Zeitung und einer anderen Organisation gestiftet wurde. Der dankbare General erinnerte die Anwesenden an die »Gefahr des Zionismus« und versprach: »Wir bauen eine Bewegung zur Befreiung Rußlands auf«.

Stalin als Symbol des »antizionistischen Kampfes« zu nutzen, ist kein Zufall. Schon in den dreißiger Jahren vollzog sich in der Sowjetunion der Übergang von der Ideologie des proletarischen Internationalismus zum »sowjetischen Patriotismus«, der eine Art Großmachtchauvinismus darstellte. Der staatliche Antisemitismus fand seinen Höhepunkt im sog. »Ärzteprozeß«. Dutzende jüdischer Ärzte wurden 1938 verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen, ein Komplott zur Vergiftung ihrer Patienten (u.a. die Mitglieder des Zentralen Kommitees und auch Stalin selbst) geschmiedet zu haben. Nach Stalins Tod wurde die Hetze eingestellt. Doch schon in den sechziger Jahren trat Antisemitismus wieder verstärkt in einigen Zeitungen und an Hochschulen auf und begann, die Kaderpolitik zu beeinflussen.

Dabei wurde die Existenz der jüdischen Religion und Kultur in der Sowjetunion verschwiegen. In der Propaganda gab es zwar keine offenen Angriffe gegen Juden und Jüdinnen; da ihre Existenz einfach geleugnet wurde, konnte es eben auch keinen Antisemitismus geben. Gleichzeitig wurde der Antizionismus zu einem wichtigen Faktor der Außen- sowie der Innenpolitik der UdSSR. Die heutige KPRF ist eine treue Nachfolgerin der damaligen KPdSU und handelt im Rahmen derselben Ideologie, die dem »proletarischen Internationalismus« und der »sowjetischen Heimat« den »Zionismus, Kosmopolitismus und Kapitalismus«. gegenüberstellte.

Andererseits wurde in der Sowjetunion der »Nationalextremismus« verfolgt, da er aus dem Rahmen der offiziellen Ideologie fiel. So wurden z.B. die Führer einer der ersten nationalistischen Organisationen, "All-Russian Social-Christian Union to Free the People" (VSHSON) / "Всероссийский Социал-Христианский Союз за Освобождения Народа" (ВСХСОН), 1967 jeweils zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Jetzt droht man den »Extremisten« immer noch mit staatlicher Repression, doch tatsächlich treten sie ganz offen auf, ohne daß sie Folgen zu befürchten haben.

Noch weniger haben die Antisemiten von der KPRF zu befürchten, die im Parlament sitzen und zum politischen Establishment gehören. Erstmals wurde jetzt ein Strafverfahren gegen den Redner einer Kundgebung am 4. Oktober nach dem Artikel 280 StGB eingeleitet, mit dem öffentliche Aufrufe zum gewaltsamen Sturz der Verfassungsordnung verfolgt werden. Obwohl die Straftatbestände des Artikel StGB 282 - »Aufhetzung zum Nationalitäten-, Rassen- und Religionshaß« - viel offensichtlicher waren, wurde diese Norm nicht angewendet.

Erst im Januar diesen Jahres, also drei Monate nach dem Vorfall, kündigte die Generalstaatsanwaltschaft den Anfang eines neues Verfahrens an - diesmal gegen Makaschow persönlich und nach Artikel 282. Den General brachte diese Nachricht nicht in Verlegenheit. Sogar im – sehr unwahrscheinlichen – Fall einer offiziellen Anklage durch die Staatsanwaltschaft, werden ihm seine Kollegen in der Duma die Immunität sicherlich nicht entziehen.

In den regierenden Kreisen Rußlands gilt es heute fast als unanständig, kein Großmacht- Patriot zu sein. Parolen wie «Rußland war und bleibt eine Großmacht« gehören zum guten Ton, mit ihnen sind Kommunisten, »Zentristen« sowie sog. »Sozialdemokraten« einverstanden. Der Moskauer Bürgermeister und einer der Favoriten bei der Präsidentenwahl Juri Michailowitsch Luschkow (Ю́рий Миха́йлович Лужко́в), der sich selber gerne als »Linkszentristen« und »Sozialdemokraten« bezeichnet, gewinnt erfolgreich politisches Gewicht mit nationalistischen Parolen. Seine Vereinigung "Vaterland" arbeitet an einer ideologischen Plattform, die die Grossmachtideologie mit demokratischen Werten und den Menschenrechten vereinigen soll.

Einerseits mißbilligt Luzshkow die Positionen Makaschows und untersagte die Durchführung des RNE-Parteitags in Moskau. Andererseits wird die kaukasische Bevölkerung in dem von ihm regierten Moskau ständig diskriminiert, und rassistische Paßkontrollen sind an der Tagesordnung. Für die politische Situation im heutigen Rußland ist ein rechter Konsens charakteristisch.

In der Tat vertreten sowohl die KPRF als auch „Vaterland“ und die Regierung um Jewgeni Maximowitsch Primakow konservative Ansichten und schützen die »nationalen Werte«. Die russischen Kommunisten werden zwar traditionell der Opposition zugerechnet und »Linke« genannt, sind aber eigentlich eine typisch rechte Partei, deren Vertreter Regierungsmitglieder und hohe Staatsbeamte sind. Die antisemitischen Ausfälle Makaschows und seiner Anhängerinnen im Wahlkampf nutzten sowohl der KPRF als auch ihren Gegnern. Es ist beunruhigend, daß nationalistische Sprüche die Gewinnchancen der etablierten Parteien fördern. Der Erfolg wird sicherlich den Willen zur Wiederholung stärken, und wir werden aus Rußland wohl weiterhin die Aufforderungen zur »national-proportionalen Vertretung«, zur Bekämpfung der »jüdischen Weltverschwörung« und der »schwarzen Krämervölker« zu hören bekommen.

(Der Artikel wurde dem AIB von antifaschistischen FreundInnen aus der "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" zur Verfügung gestellt.)

  • 1Hier geht es nur um Russen (zur Bevölkerung Rußlands gehören auch die Angehörigen anderer Völker.
  • 2Eine (Selbst)bezeichnung der Nationalisten und der radikaleren Anhänger der Großmachtideologie.
  • 3Die Neonazi-Partei wurde 1990 vom Neonazi Aleksandr Barkaschow in Moskau gegründet. (Vgl. AIB Nr. 44, Seite 62) Im Herbst 1997 soll der Hamburger Neonazi Thomas Wulff in Kaliningrad Kontakte zum dortigen RNE-Führer Konstantin Soltnikov aufgebaut haben.