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»brauner Osten«

»telegraph ostdeutsche quartalsschrift«

Eine Art »never ending story« ist den Medien der »braune Osten«. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht eine überregionale Zeitung die rechtsradikale Alltagskultur in den neuen Ländern thematisiert. Doch selten gehen die Reportagen und Kommentare über eine panikartige Situationsbeschreibung hinaus. So sind präzise Analysen jenseits der soziologischen Untersuchungen oder Statements von Verfassungsschutzämtern und einiger Expertinnen selten; antifaschistische zumal. In diese Lücke möchte die Ende Dezember 1998 erschienene Doppelnummer der Zeitschrift »telegraph« stoßen. Dies ist eben jenes aus der linken DDR-Opposition hervorgegangende Periodikum, das als »ostdeutsche quartalsschrift« nach einer ökonomisch bedingten Erscheinungspause inhaltlich erneuert wieder auftauchte. Den Untertitel zum Programm erklärend, suchten Redaktion und AutorInnen in der vorausgehenden Nummer das Sozialrevolutionäre Potential einer ostdeutschen Identität zu beweisen. Ein Drahtseilakt; denn die in gewissen Punkten durchaus bestechend hellsichtigen Erklärungsansätze für die Situation im Osten wurden von einer Identitätsrhetorik überlagert, die sich nicht scheute von Kolonialismus im Verhältnis West/Ost zu sprechen, das Fortbestehen eines die gesamte ostdeutsche Gesellschaft umfassenden lebensweltlichen Erfahrungskollektivs konstatierte und im Subtext eine Ethnisierung des Ostdeutschen betrieb. Doch der von linksradikaler Seite befürchtete »Rechtsruck« (vgl. »Arranca!« Nr. 15, u.a.) in Richtung »Neues Deutschland« und dessen ideologischer Gemengelage blieb - wie die neue Ausgabe zeigt - aus. Vielmehr mühen sich die HerausgeberInnen auf rund 140 Seiten beinahe alle Ursachenaspekte für die rechtsextreme Durchdringung der Ex-DDR auszuloten. Dies reicht von der Beschreibung der Situation von AusländerInnen und Vertragsarbeiterinnen zur DDR-Zeit, über die Beleuchtung der stalinistischen Prägung des staatsoffiziellen Antifaschismus bis zum Nachzeichnen der Entwicklung einer neofaschistischen Subkultur vor 1989. Dem ist eine lesenswerte Auseinandersetzung mit den blinden Flecken im DDR-Geschichtsbild bei Blick auf die NS-Vergangenheit beigegeben. Eine Analyse des eingangs erwähnten Medienphänomens »brauner Osten« im Spiegel der westdeutschen Presse bleibt mit der Aufzählung von stereotypen Beschreibungsfiguren (Plattenbauten, Unerfahrenheit des politischen Personals vor Ort usw.) hinter den Erwartungen zurück. Statt die Vorstellungsmuster westdeutscher Journalistinnen auseinander zu nehmen, klagt der Autor des Beitrags nur über den Ton der Bevormundung in der Berichterstattung. Etwas zu kurz kommt auch die Rubrik Gegenstrategien. Hier bietet das Heft neben einem sehr interessanten Gespräch mit polnischen Antifas ein etwas schleppendes Interview mit Antifagruppen aus Erfurt, Rostock und Cottbus. Leider beschränken sich die beteiligten Gruppen auf einen Rückblick der Situation der letzten Jahre und ihrer Arbeit. So kommen aktuelle Diskussionen um strategische Optionen der Antifa im Osten kaum zum Tragen. Das ist schlicht eine verpaßte Chance, die praxisstarken aber oft theoretisch schwachen Ostantifagruppen zu fordern. Daß die Lage verschieden, aber mies ist, drang sogar schon nach Hamburg!! Sieht mensch von diesen Mängeln und einem bei langen Artikeln doch wünschenswerten Anmerkungsapparat bzw. Literaturverzeichnis ab, so ist ein durchaus Basiswissen lieferndes Schwerpunktheft entstanden.

»telegraph ostdeutsche quartalsschrift« Nr. 3/4 1998, Schwerpunkt: »brauner Osten«