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In Grenznähe gilt: Taxis nur für Deutsche

Einleitung

Im November 1997 erklärte das Supreme Court, das Verfassungsgericht der USA, eine Gesetzesinitiative kalifornischer BürgerInnen für verfassungswidrig. Der drei Jahre zuvor von einer Mehrheit der Wahlbeteiligten per Volksabstimmung angenommene Gesetzestext hatte vorgesehen, MigrantInnen ohne Aufenthaltspapiere - sogenannte »Illegale« - in Schulen, Kindergärten oder Arzt- bzw. Ärztinnenpraxen ausfindig zu machen. Dazu war auch eine Denunziationspflicht für LehrerInnen, ErzieherInnen und das Gesundheitspersonal in Praxen wie Krankenhäusern vorgesehen. Sie sollten den Aufenthaltsstatus ihrer Zöglinge oder Patientinnen kontrollieren. (Vgl. AIB Nr. 29, Seite 49)

Die Richter des Supreme Court waren der Auffassung, das Gejammer des rassistischen Mobs über angebliche ökonomische Schäden und persönliche Einschränkungen »durch das kriminelle Verhalten der Eindringlinge« sei keineswegs höher zu bewerten als das grundsätzliche Recht auf Bildung und Gesundheitsversorgung, das eben auch »Illegalen« zustehe. Damit bekräftigten sie die bisherige Rechtsauffassung des Verfassungsgerichts, das schon mehrmals ausgrenzende und rassistische Gesetzestexte gestoppt hatte.

Taxis
(Bild: flickr.com; Tekke; CC BY-ND 2.0 Deed)

Im Gegensatz dazu manifestieren deutsche Gerichte eine Pflicht zur Denunziation. So machen Taxifahrerinnen sich nach Auffassung von Richtern nahe der Grenze zu Polen und Tschechien strafbar, wenn sie »Illegale« befördern. Als »illegal« ist deutschem Recht zufolge ein Nichtdeutscher zu bezeichnen, der »unerlaubt und strafbar« in die Bundesrepublik einreist, also »eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht besitzt, einen erforderlichen Paß nicht besitzt oder nach den Bestimmungen des Ausländergesetzes nicht einreisen darf (weil er ausgewiesen oder abgeschoben wurde)«.1

TaxifahrerInnen sollen den Gerichten zufolge prüfen, ob ihre Gäste über einen gültigen Aufenthaltsstatus verfügen. Dies dürfen sie laut Gesetz gar nicht. Unterlassen sie die Ausweiskontrolle aber, und hat ihr Gast keine gültigen Papiere, so stellt die Beförderung dieser - nach deutscher Rechtsauffassung »illegalen« - Person eine Straftat dar. Auch dann, wenn sie nur innerhalb der Bundesrepublik befördert wird. Wegen »Einschleusens von Ausländern« wurden bereits mehrere TaxifahrerInnen in Grenznähe verurteilt, über 100 weitere Strafverfahren laufen.

Rechtsgrundlage für die bisher erfolgten Urteile ist der Paragraph 92 des im Jahre 1994 geänderten Ausländergesetzes. Dieser stellt sowohl die »Beihilfe zur illegalen Einreise« wie auch die »Beihilfe zu illegalem Aufenthalt« unter Strafe.

Beim Versuch, die Festung Westeuropa zu sichern und Deutschlands Ostgrenze zu einem möglichst undurchdringbaren Sicherheitswall auszubauen, wird dieses Gesetz vom Bundesgrenzschutz (BGS) genutzt, um beispielsweise TaxifahrerInnen zu Kontrollen des Aufenthaltsstatus und Denunziation zu verpflichten. Das Amtsgericht im sächsischen Zittau legte so einem Angeklagten, der im Juli 1995 drei »Illegale« befördert hatte, zur Last, »daß die von ihm durchgeführte Tat erhebliche sozialschädliche Auswirkungen hat, da der Aufenthalt der Illegalen in der Regel aus Steuergeldern finanziert werden muß«.2
Im Namen des deutschen Volkes stellte Strafrichter Ronsdorf außerdem fest, für den Beschuldigten hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, »durch einen Anruf beim Bundesgrenzschutz die Personen überprüfen zu lassen«.3

Bundesgrenzschutz macht mobil

Der BGS versucht schon seit einiger Zeit, Taxifahrerinnen in das Projekt eines migrationssicheren Ostwalls einzubinden. Mit Flugzetteln an »alle Taxifahrerinnen und Taxifahrer« fordert das Grenzschutzamt Frankfurt (Oder) beispielsweise: »NEIN zu Schleppern und Schleusern«. Für den Fall einer »Mitwirkung an illegalen Grenzübertritten« werden Freiheits- bzw. Geldstrafen, die Beschlagnahme des Fahrzeugs »oder auch der Entzug der Konzession als Taxiunternehmer« angedroht.4

Um die TaxifahrerInnen in ihre Abschottungspolitik einzubinden, sucht der BGS auch den direkten Kontakt zu Taxiverbänden. Mitte April letzten Jahres trafen in der "Industrie- und Handelskammer" (IHK) Dresden Vertreter der örtlichen Staatsanwaltschaft, des Grenzschutzamtes Pirna, des Landratsamtes Sächsische Schweiz, des Straßenverkehrsamtes, der Führerscheinstelle und des "Landesverbandes Taxi-/Mietwagenverkehr" zusammen. Den Beratungen folgte ein Aufruf der Handelskammer an alle Taxifahrer: »Bei der Aufnahme der Fahrgäste achten Sie bitte auf das äußere Erscheinungsbild, Kleidungszustand und andere äußere Auffälligkeiten, die den Verdacht zulassen, daß es sich um Personen handeln könnte, die sich illegal aufhalten«. Im Verdachtsfall solle dann der BGS »oder eine Polizeidienststelle« informiert werden.5
Die IHK Bautzen veranstaltete nach einem Bericht der Sächsischen Zeitung im Juni 1997 eine ähnliche Zusammenkunft.6
Ein Rundschreiben des "Bundeszentralverbandes Personenverkehr" verkündet zudem, das Bundesinnenministerium und der Verband »fordern Taxifahrerinnen und Taxifahrer zur Unterstützung hei der Bekämpfung der illegalen Einreise von Ausländern auf dein Landweg auf«.7

Beliebtes Argument - dessen sich auch der Zittauer Strafrichter Ronsdorf bediente - ist die angebliche Existenz von "Schlepper-Banden". Nachgewiesen werden diese beispielsweise durch Zeugen wie Steffen D. Selbst schon wegen »Beihilfe zu illegalem Aufenthalt« verurteilt, berichtete dieser Taxifahrer ausführlich von der Arbeit einer »Schleuserorganisation«, die ihren Sitz in Polen haben soll. Von dieser angeblichen Zentrale würden die »Schleusungen« bezahlt und auch seien »die Illegalen entsprechend instruiert worden«, was auszusagen sei, sollte der BGS sie festnehmen. Hatte das Amtsgericht Zittau an Steffen D.'s Aussagen »keine Zweifel«8
, wies der Anwalt eines verurteilten Taxifahrers nach, der »Zeuge« habe 1995 mindestens zehnmal von seinem Funktelefon aus den BGS angerufen - offenbar um KollegInnen oder »Illegale« zu denunzieren. Vermutlich als eine Art "Belohnung" bekam Sebastian D. für die von ihm gestandenen »Schleusungen« nur eine Geldstrafe aufgebrummt.

Rassistische Erkennungskriterien

Für die Berliner "Forschungsgesellschaft Flucht und Migration" (FFM) ist die Situation »alarmierend«, weil eine Diskriminierung anhand äußerlicher Merkmale erfolge: »Waren es zunächst Neonazis und Rassisten auf der Straße, die andere Personen aufgrund ihres Outfits und ihrer Hautfarbe angriffen, waren es dann (...) der Bundesgrenzschutz und die Polizei, die dieses Mittel der rassistischen Erkennungskriterien in ihre Fahndungsinstrumente aufnahmen«. Der BGS wolle nach Auffassung der FFM nicht nur durch seine technische Aufrüstung, sondern auch durch die Einbeziehung verschiedener Bevölkerungskreise die Grenze dicht machen: »Nach der Einrichtung von Bürgertelefonen des BGS, das AnwohnerInnen zur Denunziation von Personen nutzen sollen, die nicht in das Bild deutscher Grenzbewohnerlnnen passen, werden nun die TaxifahrerInnen zu einer 'Zusammenarbeit' mit dem BGS gezwungen.9

Anläßlich der Berufungsverhandlung gegen den vom Amtsgericht Zittau verurteilten Taxifahrer mobilisierten Taxigenossenschaften aus Berlin und Hamburg am 16. Dezember 1997 zusammen mit dem "Republikanischen Anwaltsverein" (RAV) und der FFM zum Landgericht Görlitz. Mit einem Taxikorso machten sie sich lautstark in der Innenstadt bemerkbar. Außerdem veröffentlichten sie die »Görlitzer Erklärung«, die von knapp 200 TaxifahrerInnen unterzeichnet wurde. Das Landgericht Görlitz zeigte sich unbeeindruckt und bestätigte die Verurteilung eines Taxifahrers zu einem Jahr und vier Monaten Haft. Bereits im Oktober 1996 hatte das Landgericht Cottbus einen Taxifahrer zu vier Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt.

Nahe der Grenze ist es aufgrund dessen für Menschen, die den rassistischen Beschreibungen des BGS entsprechen, fast unmöglich geworden, ein Taxi zu bekommen. In den Augen des Zittauer Amtsgerichts sicher nicht weiter tragisch, argumentierte es doch in der Urteilsbegündung, »daß gerade dieser Personenkreis in der Regel nicht über ein solches Einkommen verfügt, welches es ihm ermöglicht, längere Strecken mittels eines Taxis zurückzulegen«.10

Görlitzer Erklärung (Dokumentation)

Seit etwa zwei Jahren werden Taxifahrerinnen und Taxifahrer im grenznahen Bereich zu Polen und Tschechien vom Bundesgrenzschutz und der Justiz belangt, wenn sie Menschen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung befördern. Sie werden der »Schleusertätigkeit« beschuldigt.

Wir, die unterzeichnenden Taxifahrerinnen und Taxifahrer, erklären hiermit:

1. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Pässe unserer Fahrgäste zu kontrollieren. Und wir haben kein Interesse daran, dies in Zukunft zu können.

2. Die Beförderungspflicht des ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr - dazu gehören auch Taxis) gilt für alle Menschen. Gegen geltende Gesetze verstößt nicht, wer alle Menschen befördert, sondern wer dazu aufruft, eine bestimmte Gruppe von Menschen von der Beförderung auszuschließen.

3. Zu viele Flüchtlinge haben bereits, gerade an der östlichen Grenze Deutschlands, ihr Leben verloren: durch Ertrinken, Erfrieren, Ersticken. Viele ausländische Menschen nehmen ein Taxi, weil sie in den anderen öffentlichen Verkehrsmitteln um Leib und Leben fürchten. Deshalb werden wir auch in Zukunft Menschen »ausländischen Aussehens, mit schlechten Deutschkenntnissen, viel Gepäck, nasser Kleidung« etc. zu den geltenden Beförderungsbedingungen zu ihrem Fahrtziel bringen. Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung.

4. Wir möchten daran erinnern, daß zum Beispiel die seinerseits vor den Nazis geflüchteten Menschen zum größten Teil »illegal« in die Schweiz eingereist sind und auf die Hilfe der Menschen dort angewiesen waren.

Für uns gilt: Kein Mensch ist illegal! Wir fordern die sofortige Einstellung aller Strafverfahren gegen Taxifahrer und Taxifahrerinnen wegen angeblicher »Schleusertätigkeiten«

(Görlitz, den 16. Dezember 1997)

  • 1Zitiert nach einer Antwort von Klaus Hardraht, Staatsminister im sächischen Innenministerium, auf eine Kleine Anfrage der PDS-Landtagsabgeordneten Ingrid Mattern vom 26.Juni 1996 (Drucksache 2/3555).
  • 2Urteil des Amtsgerichts Zittau in der schriftlichen Ausfertigung vom 16. Mai 1997, Seite 11.
  • 3Urteil des Amtsgerichts Zittau in der schriftlichen Ausfertigung vom 16. Mai 1997, Seite 9.
  • 4Flugzettel des Grenzschutzamtes Frankfurt (Oder) unter dem Titel: »Der Bundesgrenzschutzinformiert: NEIN zu Schleppern und Schleusern«.
  • 5Artikel in »Verkehr Kommunikation«, IHK WD, Mai 1997.
  • 6Sächsische Zeitung, 14. Juni 1997.
  • 7Taxi-Magazin. Taxi-Journal in der Region Halle/Leipzig, August 1997.
  • 8Urteil des Amtsgerichts Zittau in der schriftlichen Ausfertigung vom 16. Mai 1997, Seite 6.
  • 9Zitiert nach einer Erklärung der "Forschungsgesellschaft Flucht und Migration" vom 18. August 1997 mit dem Titel »Denunziationspflicht für Taxifahrer in grenznahen Gebieten«.
  • 10Urteil des Amtsgerichts Zittau in der schriftli-

    chen Ausfertigung vom 16. Mai 1997, Seite 10.