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»Der Kubiak war's!« - Prozeß wegen Heß-Marsch in Worms

Einleitung

Erproben die Neonazis eine neue Prozeßstrategie? Beim Prozeß um die Leitung des verbotenen Rudolf-Heß-Marsches 1996 in Worms versuchten die Angeklagten Neonazi-Kader Thomas Wulff (Hamburg), Holger Apfel (Hildesheim) und Jens Pühse (Freising) den kurz vor Prozeßbeginn tödlich verunglückten Neonazi Thomas Kubiak als zentrale Figur des verantwortlichen "Aktionskomitee Rudolf Heß" hinzustellen. Doch dies war dem Gericht dann doch zu durchsichtig.

Jens Pühse Alexander Feyen

Die JN-Funktionäre Jens Pühse (links) und Alexander Feyen (rechts) beim Gerichts-Termin in Worms.

Am 17. August 1996 waren in 120 Städten Kundgebungen und Demonstrationen "zu Ehren« des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß angemeldet und verboten worden. Über eine ca. 50 Kontaktpersonen umfassende Mobilisierungsstruktur, in der die jeweiligen Führungskader aus dem Spektrum der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) und der "Autonomen Kameradschaften" mit ihrer Handynummer verzeichnet waren, gelangten dennoch 250 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet nach Worms. Die Leitung des Marsches durch die Innenstadt übernahmen Thomas Wulff, Holger Apfel und Jens Pühse.

Sie richteten per Megaphon Anweisungen an die Teilnehmerinnen und hielten kurze Reden. Erst nach über zwei Stunden, als sich ein Teil der Neonazis bereits auf dem Rückweg befand, setzte ein Sondereinsatzkommando der Polizei dem Spektakel ein Ende und nahm über 170 Neonazis fest. Nach Fulda 1993 war dies eine erneute Schlappe für die Behörden, die nachfolgend in Erklärungsnotstand gerieten. Auf Landesebene zog die Suche nach den Verantwortlichen Kreise bis in den Rheinland-pfälzischen Landtag.

Nachdem Wulff, Pühse und Apfel bereits im Februar 1997 Strafbefehle wegen ihrer Leitungs-Tätigkeit ins Haus geflattert waren, fand nun im November 1997 vor dem Wormser Amtsgericht der Prozeß statt. Basierend auf einem Amateur-Video, das den Aufmarsch von Beginn an dokumentiert, hatte die Staatsanwaltschaft Anklage nach § 26 Abs.2 Versammlungsgesetz erhoben.

Starke polizeiliche Sicherheitsvorkehrungen, Bodyguards für die »Rechts«-Anwälte Jürgen Rieger (Wulff) und Günter Herzogenrath-Amelung (Pühse) sowie die Festnahme einiger Neonazis vor dem Gerichtsgebäude sollten einen störungsfreien Ablauf sicherstellen. Anscheinend blieb den Sicherheitsbehörden diesmal nicht verborgen, daß die Neonaziszene über ihre "Nationalen Infotelefone" (NIT) und über verschiedene Publikationen zum Prozeß-Auftakt mobilisiert hatte.

Die Solidarität der KameradInnen hielt sich jedoch in Grenzen. Waren am ersten Verhandlungstag immerhin die komplette JN-Führungsspitze aus dem Rhein-Neckar-Kreis, der frühere FAP-Funktionär Christian Hehl vom Versand "Hehls Wold" aus Ludwigshafen sowie zwei Autoladungen von Neonazis aus Westfalen und Hamburg angereist, so waren an den weiteren Tagen Presse, Polizei und Verfassungsschutz auf den Zuhörerbänken weitgehend unter sich. Jens Pühse erschien mit Alexander Feyen (Hensbach) vom "Schwarze Sonne Versand" vor Gericht, der selber versucht hatte Kundgebungen anzumelden und in Worms verhaftet worden war. Sie durften einer Strategie der Verteidiger lauschen, die an Dreistigkeit nicht viel zu wünschen übrig ließ.

In seiner Einlassung zu Beginn des Prozesses gab Holger Apfel die Richtung vor: Der Verantwortliche des Aufmarsches sei Thomas Kubiak gewesen. Da dieser aber am Vormittag des 17. August 1996 mit weiteren 50 Personen bei der Einreise von Frankreich nach Deutschland festgenommen worden sei, hätten er, Wulff und Pühse spontan koordinierende Aufgaben übernommen bzw. kurze Reden und Sicherheitshinweise an die Teilnehmer gerichtet. Im übrigen sei man davon ausgegangen, daß es sich um eine genehmigte Veranstaltung gehandelt habe, da - so seine Logik - die Polizei ja auch über zwei Stunden nicht eingegriffen habe.

Pühse, auf dem Video mehrfach mit Handy am Ohr zu sehen, behauptete gar, Bestellungen für seinen Musik-Versand entgegengenommen zu haben. Das schien dem Neonazi Detlef Erich W. aus Zweibrücken (Saarland) so genial, daß er in seiner Zeugenaussage bezüglich eines am 17. August 1996 mit den Organisatoren des Aufmarsches geführten Telefonates angab, nicht er habe telefoniert, sondern seine Ehefrau Kerstin W.-Sch. Diese könne das aber leider nicht bestätigen, da auch sie im Mai diesen Jahres verstorben sei. Detlef W. war zusammen mit dem Neonazi Peter Werner Sch. (Saarlouis) nach Worms gefahren.

Als weitere Zeugen der Verteidigung waren der Neonazi-Kader Tobias Thiessen aus Hamburg und Clemens Dave Schiek aus Remseck bei Stuttgart geladen. Als Anmelder mehrerer Demonstrationen sollten sie belegen, daß es sich bei diesen nicht um Scheinanmeldungen gehandelt habe. Tobias Thiessen war selber in Worms verhaftet worden. Schiek, der damals dem JN-Landesvorstand angehörte, und der in vier Städten Kundgebungen unter dem Motto »Versammlungsfreiheit statt Verbote« angemeldet hatte, konnte das natürlich bestätigen, Thiessen ließ sich derweil entschuldigen.

Die Aussagen der geladenen Polizeibeamten brachten erwartungsgemäß wenig, was nicht weiter verwunderte, lief doch der Aufmarsch weitgehend ohne ihre Gegenwart ab.

Dennoch dürften sie der rechten Szene in deren selbstgerechten »Kampf gegen das Unrechtssystem« neue Munition geliefert haben. So berichtete ein ranghoher Beamter des Polizeipräsidiums Mainz von einer Innenministerkonferenz im Jahre 1994, auf der beschlossen worden sei, grundsätzlich jede Veranstaltung zum Gedenken an Rudolf Heß im Monat August zu verbieten und trotzdem stattfindende Veranstaltungen aufzulösen. Diese Aussa-ge sorgte für einige Aufregung, fast schon für Tumulte zwischen den Zeugen, der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern.

Verurteilt wurden die drei Neonazi-Führer trotzdem: Wulff erhielt eine sechsmonatige Haftstrafe auf drei Jahre Bewährung und 240 Stunden gemeinnütziger Arbeit, Pühse 120 Tagessätze von jeweils 60,- DM und Apfel 90 Tagessätze á 30,- DM. Die vergleichsweise hohe Strafe für Wulff wurde u.a. mit seinen acht einschlägigen Verurteilungen im Zeitraum von 1984 bis 1993 begründet.

Aufgrund des Video-Filmes sei die leitende Rolle der Angeklagten bewiesen. Als langjährige Aktivisten der Szene hätten sie gewußt oder wissen müssen, daß der Aufmarsch unrechtmäßig gewesen sei. Vielmehr hätten sie das Ziel gehabt, die Sicherheitskräfte zu narren. Und in diesem Zusammenhang spiele es auch keine Rolle, ob nun der eigentliche Organisator der Herr Kubiak gewesen sei.