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Nachbereitungen im "Fall Kaindl"

Einleitung

Von Unterstützer_innenseite erschienen zwei Broschüren zum "Kaindl-Verfahren".

Plakat-Kaind-Prozess
(Bild: Fakismile aus "hoch die kampf dem. 20 Jahre autonomer Bewegungen. Plakatbuch Band 1.")

Die vor Euch liegende Broschüre ist der Versuch, unsere Erfahrungen aufzuarbeiten nachvollziehbar (und) zugänglich zu machen. Wir begrenzen uns hauptsächlich auf praktische Erfahrungen“ (I. Der „Fall Kaindl“).

Diese Broschüre ist eine Nachbereitung, die dazu dienen soll, unsere Erfahrungen weiterzugeben. Von anderen Unterstützer_innen gibt es bereits eine Aufarbeitung. Dennoch glauben wir nicht, daß unsere Broschüre überflüssig ist, ganz im Gegenteil ist es unserer Meinung nach im Kaindl-Fall interessant und wichtig, die unterschiedlichen Schlußfolgerungen miteinander zu vergleichen.“ (II. „Anna und Arthur drücken die Augen zu“).

Zum Mord-Prozess gegen Antifas im „Fall Kaindl“, über den das Antifaschistische Infoblatt (AIB) ausführlich berichtete, sind nun zwei Broschüren erschienen: Die erste (circa Juni 1993, im folgenden zitiert als I) steht in der Umgebung des "Prozessbüro" und der „Soli-Zeitung" „Herzschläge“. Sie besteht in den meisten Artikeln in dem Versuch, einen Teil der Erfahrungen praxisorientiert in die Antifa-Arbeit zurückzugeben. So stellt die Bürostruktur mit ihren einzelnen Gruppen (Zeug_innen, Internationale Soli-Gruppe, Presse und Finanz) ihre Arbeit dar, verschiedene Problemkomplexe werden allgemein und konkret vorgestellt (Abtauchen, Leben im Knast, Verrat, Aussagen, Verhältnis: Gefangene, Unterstützer_innen, Anwält_innen,) und einige wichtige Texte, die für die Kampagnenführung grundlegend waren, werden dokumentiert, so vor allem das Papier „Wir klagen an - die gesellschaftliche Situation“ von Februar/März 1994.

Abidin berichtet über seine Zeit im Knast und die Herausgeber_innen geben eine gute Einschätzung der besonderen Bedingungen im Kaindl-Prozess. Als abschließende Einschätzung wird der eher pessimistische Artikel „Kurzer Prozeß mit Bauchschmerzen“ aus der letzten Herzschläge-Ausgabe (Nr. 5, Dezember 1994) erneut abgedruckt. Broschüre I ist ein unverzichtbares technisches und taktisches Info für aktive Antifaschist_innen, das am konkreten Beispiel Erfahrungen weitergeben kann.

Das Erscheinen einer zweiten Broschüre (August 1993 im folgenden II) lag wegen der komplizierten Situation in der zersplitterten Unterstützer_innen-Szene nahe. Diese wird nun erstmals mit relativ neutralen Worten transparent gemacht durch die Herausgeber_innen, den „Mittwochskreis“. Die Broschüre rechtfertigt sich aber auch durch ihre völlig andere inhaltliche Ausrichtung. Zwei Chronologien (allgemein und zu den einzelnen Prozeßtagen) ergänzen I, und ein langer kritischer Beitrag gibt die Einschätzung des "Mittwochskreises" wieder. Ansonsten ist sie eher auf die Dokumentation verschiedener inhaltlicher Positionen ausgerichtet, was einen theoretischeren Anspruch nahelegt.

Von Unterstützer_innenseite wird allerdings nur die bereits kürzlich in der Zeitschrift „interim“ abgedruckte Einschätzung der „Zweiten Strömung“ (wie die Herausgeberinnen formulieren) dokumentiert. Ein Übergewicht dieser Position ist nicht anzunehmen, da ihre Vertreter_innen als dritte wichtige Gruppe in der „Soli-Szene“ vermutlich keine eigene Broschüre produzieren werden. Dennoch kann dieser Text (…) eigentlich bei einem verantwortungsvollen Umgang nicht veröffentlicht werden, jedenfalls nicht unkommentiert. (…) Hier gilt: Mut zur Lücke. Die Entschuldigung der Redaktion, andere Gruppen hätten keine Texte abgegeben, kann nicht ganz gelten. Mindestens drei weitere Einschätzungen („Interim“ von November 1994, „Herzschläge“ Nr. 5, AIB Nr. 29) waren bereits erschienen und standen zum Nachdruck frei.

Das Erscheinen von zwei Broschüren liegt auch daran, dass kein Interesse an einer gemeinsamen Veröffentlichung bestand. Anschließend berichten zwei Untergetauchte von ihren Erfahrungen. Die Selbststilisierung in G.s Bericht ist schwer erträglich. Darüber hinaus behauptet er: „hatte sich doch die entpolitisierende Linie durchgesetzt. Leute vom Antifaschistischen Infoblatt hielten selbst Briefe von mir zurück, um ihrer Linie zum Durchbruch zu verhelfen“. In der "Soli-Arbeit" hat das "Antifaschistische Infoblatt "als solches jedoch keine aktive Rolle gespielt. Von G. seinem Brief hatten wir nicht einmal eine Kopie, die wir hätten zurück halten können. (Wir hätten ihn aber nicht abgedruckt). Wir haben zunächst als einzige und unter harscher Kritik, schon im Sommer 1992 und dann immer wieder einen politischen, das heißt auch kritischen Umgang mit der Angelegenheit gefordert, daran war unsere Linie ausgerichtet.

Ein Brief von F. dokumentiert, warum sie gegen einen „Deal“ mit der Justiz war. Interessant ist ein langes gemeinsames Gespräch mit den Ex-Angeklagten, leider ohne A. und F., die nicht kamen. Für M. gilt, was die Broschüren-Redaktion sagt, „ daß einige der Interviewten nicht zur Selbstkritik bereit sind“. Bei seinen und G.s Beiträgen platzt T. teilweise sichtlich der Kragen. (…) Interessant ist auch, in welchem Widerspruch die Einschätzung der Interviewten zu der der Anwält_innen steht. Mit drei von ihnen wurde ein weiteres Gespräch geführt. Leider ist gerade im ersten Interview auf kritischere Nachfragen oft verzichtet worden. Wo die Diskussion um Moral geht bricht der/die Fragesteller_in ab, indem er auf Absprachen, also technische Details, zurückkommt. Das steht im Widerspruch zum eingangs formulierten Anspruch, die „ allgemeine Debatte über militanten Antifaschismus“ zu führen.

In der Einschätzung der Aktion lehnen die Herausgeber_innen sich an den – umstrittenen - Antifaschistisches Infoblatt-Artikel „Zum Tod eines Neonazi“ an. Auch die Gesamteinschätzung kommt unserer näher. (...) Auch Broschüre II verzichtet nicht auf eine Auswertung der Öffentlichkeitsarbeit zur Unterstützung. Die spezifischen Erfahrungen des „Mittwochskreis“ sind in ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten zur Einschätzung der Broschüre I zu lesen und geben so einen guten Eindruck von der Unterschiedlichkeit der Beteiligten. Während I für die praktische Arbeit wertvoll ist, ist II ansprechend aufgemacht und liest sich spannender. I ist eher aus einem Guss, was der Situation im Prozess weniger entspricht, als die Herangehensweise des „Mittwochskreis“.

Insgesamt sind beide Broschüren eher Ergänzung als Konkurrenz zueinander und sollten gemeinsam gelesen werden - die freundliche Preisgestaltung macht das möglich.

I. Dass Du dich wehren musst… Der 'Fall Kaindl'. Eine Nachbetrachtung. 46 S.

II. Anna und Arthur drücken die Augen zu. Überlegungen zum 'Kaindl-Fall'. 61 S.