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Das Namenskarussell dreht sich: Direkte Aktion Mitteldeutschland/JF

Einleitung

Am 20. Januar 1994 fand eine polizeiliche Razzia gegen die Nachfolgeorganisation der verbotenen „Nationalistischen Front“ (NF), die „Direkte Aktion Mitteldeutschland/JF“ vorher „Förderwerk Mitteldeutsche Jugend" (FMJ) statt. Durchsucht wurden Objekte in Nordrhein Westfalen, Niedersachsen, Mecklenburg Vorpommern, Berlin und Brandenburg. Das Hauptgewicht des Großeinsatzes lag in den beiden letztgenannten Bundesländern. Hier wurden 43 von insgesamt 50 Wohnungen durchkämmt.

Enno Gehrmann aus Berlin ist in den Nachfolgestrukturen der NF tätig gewesen.

Mäßig erfolgreiche Durchsuchungen

Ein Schwerpunkt der Durchsuchungen war der Kreis Oranienburg mit den Orten Hennigsdorf, Kremmen und Velten. Die Neonazis haben sich hier zu der „Ortsgruppe Osthavel“ zusammengeschlossen. In Oranienburg lebt der Vorsitzende Ernst von Amhoff. Bei ihm wurde gar nichts gefunden, die Wohnung war leergefegt. Weitere Durchsuchungen fanden in Hennigsdorf unter anderem bei Marko Pfannschmidt, dem Stützpunktleiter Henningsdorf und in Velten statt. In Kremmen war u.a. (Thoralf) Olaf Degenhardt, der Schatzmeister der JF, betroffen.

Ein anderer Schwerpunkt der Razzia war die Oder-Region mit Schwedt und Frankfurt/Oder. Hinzu kommen Durchsuchungen in Luckenwalde, Potsdam, Bernau, Cottbus, Lippstadt, Bodenburg und Hildesheim. In Berlin wurden nur drei Wohnungen durchsucht, darunter die von Enno Gehrmann und Gregor John.

Der Brandenburger Innenminster Alwin Ziel bewertete die Aktion öffentlich als vollen Erfolg. Zum einen braucht er die Lobeshymnen, um bei Bundesinnenminister Manfred Kanther Eindruck zu schinden, dem rasches Handeln gegen Neonazis ein Fremdwort ist. Zum ändern wollte Ziel offenbar den Misserfolg der Durchsuchungen vertuschen. Folglich arbeiteten einige der Medien mit falscher Angaben. Beispielsweise wurden nicht wie offiziell behauptet 7000 Stück der Zeitung „Angriff“ gefunden sondern nur 7000 Blatt. Es stellt sich die Frage, warum so wenig gefunden wurde. Waren die Neonazis schon vorher über die Durchsuchungsaktion informiert? Woher wussten sie, daß diese schon am 17. Januar 1994 beantragt wurde, am 19 . Januar vom Verwaltungsgericht Berlin untersagt worden war, und erst nach der positiven Entscheidung beim Oberverwaltungsgericht Berlin durchgeführt werden konnten? Sind die Verbindungen in die Gerichte und in die Polizei als undichten Stellen? Warum sind so wenig Durchsuchungen in Berlin durchgeführt worden, wo doch hier die Fäden der JF zusammenlaufen?

Werfen wir noch mal ein Blick zurück in die letzten Monate, in denen der Ausbau der Strukturen vorangetrieben wurde. Die Vorläuferorganistion der »Direkten Aktion Mitteldeutschland/JF« hieß »Förderwerk Mitteldeutsche Jugend«. Diese hatte sich am 20. Juni 1993 selbst (schein)aufgelöst, da ein Verbot ins Haus stand. Schnell war ein neuer Name parat; diesmal hieß das Kind »Direkte Aktion Mitteldeutschland/JF«. Vorsitzender sei Ernst von Amhoff aus Oranienburg, Stellvertreter sei Klaus Dieter Lück und das Amt des Schatzmeister habe Olaf Degenhardt inne. Ein JF-Statut sei am 1. August 1993 in Brandenburg/Havel beschlossen worden und gleicht der NF Programmatik.

Aufbau der »Direkten Aktion Mitteldeutschland/JF«

Gegliedert ist der Verein in Stützpunkt, Ortsgruppe, Vorstand und Organisationsleitung. Der Stützpunkt ist der kleinste Zusammenhang mit vier Mitgliedern und einem Leiter. Wenn die Gruppe zu groß wird, werden weitere Stützpunkte gebildet. Mehrere Stützpunkte schließen sich zu einer Ortsgruppe oder Bereichsgruppe zusammen, deren Leitung aus drei Leuten besteht. Der Vorstand wird von der Organisationsleitung eingesetzt. Letztere ist das oberste Organ und bestimmt die Gestaltung der Vereinspolitik. Der gesamte Aufbau ist streng hierarchisch gegliedert. Die jeweiligen Chefs werden nicht gewählt sondern von oben eingesetzt, weiteres regeln die Arbeitsanweisungen. Disziplin, Gehorsam und Unterordnen sind einige der Tugenden, mit denen man hier weiterkommt.

Die Ortsgruppe Osthavel ist der größte Zusammenschluß. In ihr sind Mitglieder und Stützpunkte aus Oranienburg, Hennigsdorf, Veiten, Kremmen, Nauen, Werder, Wilhelmshorst, Michendorf, Niederschönhausen, Potsdam und Beelitz organisiert. Mittlerweile haben sich die Berliner Stützpunkte mit dieser Ortsgruppe zum Bereich Spree-Havel zusammengeschlossen. In Berlin gibt es in Kreuzberg, Charlottenburg, Spandau, Hohenschönhausen, Buch und Pankow Stützpunkte. Die Ortsgruppe Oder umfaßt Schwedt, Frankfurt/Oder, Eisenhüttenstadt und Fürstenwalde und neuerdingt auch Neubrandenburg in Mecklenburg Vorpommern. In Frankfurt/Oder existiert neben Velten ein weiteres Postfach, welches auch als Anti-Antifa Postfach fungiert. Inhaber ist Daniel Kersten. Weitere organisierte Gruppen existieren in Luckenwalde mit drei Stützpunkten und Cottbus.

Gruppen Aktivitäten

Die Neonazis drängen nicht nur durch eigene Zeitungen, Flugblätter und „Spuckis“ immer mehr in das öffentliche Bild. Sie organisieren Schulungsabende mit Abschlußtest, machen sich in Jugendclubs breit, agieren unter den Hooligans und „Heavies“, putzen Kriegerdenkmäler und organisieren Fahrten. Ganz oben in dem Programm stehen Wehrsport und »Überlebenstraining«. Vor den Kommunalwahlen in Brandenburg wurde flächendeckend ein Flugblatt verteilt, welches zum Wahlboykott aufrief. Gleichzeitig wurden vielerorts gleichlautende Parolen mit JF-Logo geprüht.

Am 18. Dezember 93 wurde in Güstrow eine Wintersonnenwende der JF abgehalten, inklusive einer symbolische Bücherverbrennung. Die öffentliche Gruppenzeitung der JF ist - genau wie bei der NF - der »Angriff«, der inzwischen fünf Mal erschienen ist. Ab Nummer sieben, so wird geprahlt, könne die Zeitung professionell auf Hochglanzpapier erscheinen. Dieses Machwerk ist auf Jugendliche zugeschnitten. Eine der lokalen Zeitungen sind u.a. der »Hennigsdorfer Beobachter«, der für die örtliche Leserschaft bestimmt ist. Schülerzeitungen der JF sind die »Schüler-Revolte« für Oranienburg und in Schwedt die JF nahe »Fräch«. Besondere Schwerpunkte dieser Machwerke sind Ausländerhass zu predigen und zur Hetzjagt auf AntifaschistInnen oder sonstige »mißliebige« Personen aufzurufen.

Besonders nach den Verboten zeigt sich, daß Neonazis aller Couleur enger zusammenrücken. In Brandenburg sind die Kontakte vielfältig. Gemeinsame Schulungen mit der „Deutschen Liga“, wie z.B. in Nauen sind keine Seltenheit. Mit der „Wiking Jugend“ trifft man sich zu gemeinsamen Fußballspielen wie im Herbst 1993 in Berlin/Spandau. In Berlin ist der „Freundeskreis Revolutionärer Volkssozialisten“ (FRVS) für die JF aktiv. Zusammen mit ihrer Propagandazeitung »Stadtrebell« wird der »Angriff« verschickt. In Schwedt tauchten in jüngster Zeit „Spuckis“ vom FRVS auf. Seit neuestem wird die Weisung ausgegeben, bei der Europawahl die Stimme für die Neonazipartei FAP abzugeben, Infomaterial sei in Bonn zu bestellen. Insgesamt sind die Aktivitäten erst einmal eher nach innen gerichtet als nach außen. Der Schwerpunkt liegt auf Schulung, um ideologisch aufgepeppte Kader ins Rennen zu schicken, die vor Ort anleiten und Gruppen aufbauen. Durch gemeinsame Fahrten, Sportveranstaltungen sowie Schulungen werden Mitglieder und SympathisantInnen fest eingebunden. In Brandenburg gehört die JF mittlerweile zu der größten Organisation, die neue AnhängerInnen gewinnen kann.