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Brandenburg: Schwierige Tätersuche nach Brandanschlag in Sachsenhausen

Einleitung

Am jüdischen Neujahrstag bzw. in der Nacht auf den 26. September 1992 wurde die frühere "Judenbaracke" 38  in der Gedenkstätte Sachsenhausen in Brand gesetzt. Die Suche nach den Tätern aus der Neonazi-Bewegung ist trotz mehrerer Geständnisse schwierig.

Foto: flickr.com; Galo Naranjo; CC BY-NC-ND 2.0

Eine Spur führte Ermittler zu einer Neonazi-Wehrsportgruppe aus dem Kreis Prenzlau, die von einem Bundeswehr-Unteroffizier mit dem Spitznamen "Dragon" angeführt wurde. Seit Anfang 1992 führt diese militärische Übungen durch, versucht scharfe Waffen zu kaufen und war an militanten Neonazi-Aktionen beteiligt.

Ende März/Anfang April 1993 wurden zwei Prenzlauer Neonazis (19 und 21 Jahre) als Tatverdächtige verhaftet. Einer war den Behörden bereits durch einen Angriff auf eine Flüchtlngsunterkunft in Prenzlau bekannt. Einer zählte zum Kreis der "Wehrsportgruppe Dragon".

Die mittlerweile angeklagten Neonazis zum Brandanschlag auf die "jüdische Baracke" im ehemaligen KZ-Sachsenhausen Ingo K. (Berlin-Pankow) und Thomas H. (Prenzlau) wurden nach 13 Verhandlungstagen – zumindest in dieser Instanz - freigesprochen. Laut dem Potsdamer Bezirksgericht haben die Ergebnisse der Beweisaufnahme nicht ausgereicht, um den Angeklagten eine Mittäterschaft nachzuweisen. Nach dem Rechtsgrundsatz »im Zweifel für den Angeklagten« sprach sie der Vorsitzende Richter Klaus Przybilla frei.

Wer den Brand an der "jüdischen Baracke" gelegt habe sei weiter unklar. Die Angeklagten gaben an, sie hätten ihn mit einem Molotowcocktail entfacht. Einer berichtete den Ermittlern von bis zu 15 Mittätern, die z.T. Aus Ost-Berlin angereist seien. Ein drei Tage nach dem Brand gefertigtes Gutachten gab an, keine Glasreste von Flaschen nachweisen zu können.

Ein halbes Jahr kam die polizeiliche „Sonderkommission “ (eigentlich auch nur zwei Beamte) nicht voran. Dann hatte Thomas H. in einer Prenzlauer Kneipe die Tat zugegeben, sein Gegenüber am Kneipentisch war jedoch ein Polizeibeamter aus Prenzlau. Auf diese Weise wurde er festgenommen, gestand sofort und bezichtigte auch Thomas H. In der Wohnung von Thomas H. fanden Polizeibeamte Schriften der „Nationalistische Front“ (NF).

Mitläufer aus der Neonazi-Hochburg ?

Die Angeklagten machten vor dem Prozess nicht den Eindruck geschulte Aktivisten oder gar Kader aus Neonazi-Grupierungen zu sen. Doch die Gegend um Oranienburg dient als Treffort verschiedenster neonazistischer Gruppierungen (NF, FAP, JN). Und immerhin gelangte Material der NF zu einem der Angeklagten.

Am 16./17. März 1991 fand etwa in Oranienburg ein JN-Bundeskongreß statt. Die Strukturen der NF sind in der Region um Velten, Hennigsdorf und Oranienburg unter dem Berliner „Gebietsbeauftragten“ für Brandenburg Enno Gehrmann und den diversen Posten wie „Bereichsleiter“ bzw. „Stützpunktleiter“ - Jens Og (Eichstädt) bzw. Mirko Pfannschmidt (Kremmen) - mit der lokalen Neonazi-Skinheadszene eng umwoben.

Sie gruppiert sich im Bereich Oranienburg mit einem weiteren „Gruppenführer“ Mario B. um einen neonazistischen Aktivistenstamm um Nicole M. (Staffelde bei Oranienburg), Ina G., Olaf D., Jens St., Wilko K., Werner Sch., Nadine Fr. und Maik H. (Oranienburg) und Michael Sch. und Henning K. (Kirchmöser).

Der Oranienburger Neonazi Marco Va. geriet als Mitbewohner von Jens Sch. als möglicher Tatbeteiligter an der Ermordung von Hans-Jochen Lommatzsch am 18. Dezember 1992 in den Fokus der Öffentlichkeit.

Ein interner Streit der NF-Führung und Differenzen mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden und langjährige Führer der Berliner NF-Ortsgruppe Andreas Pohl führten zur Spaltung der Organisation. Im Sommer 1992 spaltete sich die Berliner NF - die seit Anfang 1992 von Enno Gehrmann geführt - ab. Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten verlagerte die Berliner NF-Ortsgruppe unter wechselnden Gruppenbezeichnungen zunehmend in das Berliner Umland und erweiterte ihren Aktionskreis durch neue Stützpunkte in Königs Wusterhausen und Hennigsdorf. Die engen Verbindungen zu (Ex) NF-Stützpunkten in Kremmen und Potsdam (Brandenburg), denen zahlreiche Neonazi-Skinheads angehören, machten sich bemerkbar. In Lehnitz bei Oranienburg agierten Thomas Z. und Marco G. für die neonazistische FAP.

Am 19. Juli 1992 lud der Landesverband Berlin der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) zu einem „Kameradschaftsabend“ in einer Gaststätte in Berlin-Rosenthal. Unter den TeilnehmerInnen befanden sich auch AnhängerInnen der "Nationalistischen Front" (NF), der "Nationaltionalistischen Front" (NF), der "Nationalen Alternative“ (NA) Berlin sowie FAP-Anhänger aus Kremmen (Brandenburg). Im Herbst 1993 konstituierte sich ein eigener Brandenburger Landesverband der FAP. eine Sitzung des FAP-Landesvorstandes am 30. Dezember 1993 in Oranienburg wurde von der Polizei aufgelöst.

Nachtrag Oktober 1995

In einem neu aufgerollten Prozeß um den Brandanschlag auf die "Jüdische Baracke" der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen sind die zwei Angeklagten im Oktober 1995 doch noch als Täter zu Haftstrafen verurteilt worden. Das Potsdamer Landgericht verhängte gegen den 22jährigen Ingo Kehn zweieinhalb Jahre Jugendstrafe, der 25jährige Thomas Haberland muß drei Jahre in Haft. Das Landgericht sah es - im Gegensatz zu einer Potsdamer Jugendstrafkammer im ersten Prozeß - als erwiesen an, daß die zwei Neonazis den Brandanschlag in der Nacht zum 26. September 1992 verübt hatten.1

  • 1Vgl. "Die Welt": "Brandstifter müssen doch ins Gefängnis" 06.10.1995