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Von den Schwierigkeiten einer konsequenten Aufarbeitung des patriarchalen Ist-Zustands

Antifa Friedrichshain (Gastbeitrag)
Einleitung

Im AIB Nr. 136 berichtete die "Antifa Friedrichshain" von Männlich­keitstreffen als Aufarbeitungsplattform für den "Domhöver-Fall". Eigentlich geht es bei den Treffen um Prävention für die Zukunft und darum, handlungsfähiger bei grenzüber­schreitenden Vorfällen in unseren Struktu­ren zu werden.

Demoschild: Intoleranz wagen - Mackertum zerschlagen

Im Herbst 2022 berichteten wir1
im AIB Nr. 136 von intern mobilisierten Männlichkeitstreffen als Aufarbeitungsplattform für den "Domhöver-Fall".2
Antifas aus festen Gruppen und loseren Zusammenhängen kommen dabei zusammen, um sich über den patriarchalen Ist-Zustand auszutauschen und die eigene Praxis und Organisierung, in denen sexualisierte Gewalt und Täterschaft offenbar geschehen konnte, zu reflektieren. Den "Domhöver-Fall" im Kontext des „Antifa Ost-Verfahrens“ nehmen wir zum Anlass und als Referenz für einen Aufarbeitungsprozess, der viele verschiedene Kreise mit einbezieht und unterschiedliche Strategien und Resultate hervorbringen soll, aus denen wir alle lernen können. Eigentlich geht es bei den Treffen um Prävention für die Zukunft und darum, handlungsfähiger bei grenzüberschreitenden Vorfällen in unseren Strukturen zu werden.

Es läuft schleppend...

Nach den drei Treffen, die wir im Herbst im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) resümiert haben, erwischte uns die Anfrage nach zwei eher lauen Treffen im Januar3
und Mai 2023 ziemlich deprimiert. Um es kurz zu machen: Von den anfänglich rund 40 Teilnehmenden waren die letzten Male nur noch weniger als die Hälfte anwesend. Fast alle sind aus organisierten Zusammenhängen - also diejenigen, die sowieso schon im Gespräch miteinander sind. Die ursprüngliche Idee, die lose angebundenen Antifas in die Präventionsarbeit miteinzubeziehen und ihnen einen verbindlichen Rahmen der Auseinandersetzung zu geben, muss als gescheitert angesehen werden.

Bereits in dem Diskussions-Text zu "Thesen zu den Bedingungen antifaschistischer Militanz" im AIB Nr. 1394
wurde die abhandengekommene Reflexionsfähigkeit durch die Zersplitterung in Kleinstgruppen mit assoziierten Einzelpersonen und die resultierenden miserablen Vertrauensketten kritisiert. Das offene Format der Männlichkeitstreffen mit Fokus Antifa ist auf jeden Fall nicht der Ansatz, der greift. Denn ob nun in Gruppen organisiert oder als Bezug, ob als Freund*innenkreis oder Aktionszusammenhang - das Pflichtprogramm nach dem Outcall von Domhöver scheint abgearbeitet zu sein. 

Dass die Beschäftigung mit dem patriarchalen Zustand in Welt und Szene schleppend läuft, ist nicht neu. Es ist gewissermaßen Teil und Ausdruck des Problems. Dennoch ist es immer wieder aufs Neue frustrierend, zu merken, dass selbst große Dringlichkeit, wie sie nach dem Verrat von Domhöver viele verspürten, weder dazu führt, dass sich alle einbringen und bemühen, noch, dass wir unsere Ansprüche durchhalten. 

Gruppenthemen, Supportarbeit und Awareness

Bei unseren letzten Treffen konnte eine Gruppe über transformative Arbeit in der eigenen Struktur berichten und darüber, welche Leitfäden geholfen haben und wie der langfristige Umgang damit aussah. Ein Vertreter einer Großgruppe ging auf die beruhigende Wirkung ein, die eigene Awareness-Konzepte haben können. Dennoch gab es mit einem aktuellen Fall Überforderungen, weil das Thema dann doch nicht oft genug auf der Agenda ist. Eine eher kleinere Gruppe befasste sich in letzter Zeit mehr mit den eigenen patriarchalen Gruppendynamiken, Aufgabenverteilungen und Regeln für Cis-Typen5
als Konsequenz auf das Ausscheiden von FLINTA-­Personen6
. Zwei weitere Gruppen haben sich in ihrer Arbeit zu kritischer Männlichkeit zusammengetan. Eine weitere Gruppe betätigt sich mehr feministisch antifaschistisch, indem die eigene politische Arbeit auf die Reproduktion von patriarchalem Verhalten überprüft wird, sie positioniert sich bei Fällen im Umfeld klarer und bietet Hilfe an.

Der Januar-Workshop wurde durch die Unterstützungsgruppe "Ask gerd_a"7
geleitet und gliederte sich in die drei Blöcke Übungen zu Empathie, Input und Diskussion zu Definitionsmacht und Parteilichkeit, sowie Kipppunkte der Supportarbeit.

Oft wird vergessen, dass Zuhören der erste wichtige Schritt ist mit Betroffenen umzugehen und nicht das Handeln. Definitionsmacht wird oft als Handlungs­anweisung missverstanden. Dabei geht es erst mal darum, den Betroffenen das Erlebte nicht abzusprechen, also eine Wiederermächtigung für die Betroffenen nach einer empfundenen Verletzung und Machtlosigkeit. Die Parteilichkeit fokussiert eher die eigene Haltung dazu. Es geht um die Handlungsfähigkeit der Betroffenen und um Solidarität in der Umsetzung möglicher Forderungen. Das „Raushalten“ ist auch eine Positionierung und lässt Betroffene wie Supportende allein. Es gilt, das Schweigen nach Vorfällen zu durchbrechen.

Sexualisierte Gewalt ist Macht­ausübung und beruht auf strukturellen Bedingungen. Auf einen Übergriff kann es deshalb auch kaum zwei gleichgewichtige Perspektiven geben. Betroffenenzentrierung ist die Bemühung, dieses Ungleichgewicht zugunsten der Betroffenen zu verlagern. Für eine antipatriarchale Praxis und die Durchsetzung von Forderungen sind stabile soziale Beziehungen wichtig. Deshalb sollte es uns allen auch um langfristige Beziehungsarbeit gehen und nicht um die spontane Fähigkeit sich zu positionieren.

Elemente des Scheiterns von Unterstützungsarbeit können sein: Eigene Überforderung, fehlende Ansprechbarkeit oder Rückzug der Betroffenen, NoGos unter Linken wie das Einschalten von Polizei und Gerichten, organisierter Täterschutz, der gegen die Supportstrukturen arbeitet und wie immer fehlende Kontinuität in der Arbeit.

Im Mai 2023 fand ein weiteres Treffen statt, um mit der Awareness Gruppe "b-aware"8
in das Thema Awareness bei Veranstaltungen und in Gruppen einzusteigen.

Auch hier war die Teilnehmerzahl wieder gering, manche ließen rückmelden, dass Awareness für Gruppen, Leitfäden usw. sie nicht so richtig „abholen“ würden an dem Punkt, an dem sie gerade in ihrer persönlichen Arbeit mit dem Thema stehen. Tatsächlich drängen die Treffen eher auf kollektive Prozesse und organisatorische Standards als Grundlagen für Zusammenarbeit, und nicht auf Persönlichkeitsarbeit. Dass auch letzteres wichtig ist, damit ersteres funktionieren kann, ist allen klar, nur sehen wir uns außer Stande, in so einem Rahmen dahin vorzudringen. 

Die Ausgangslage für uns ist, dass in linken Strukturen Übergriffe und Grenzverletzungen stattfinden, auf die kollektiv reagiert werden muss. Da diese Vorfälle oft uneindeutig sind und eine Positionierung wegen eigener Involviertheit nicht so einfach erscheint, ist es gut Strategien zu kennen, um Eindeutigkeit und Handlungsfähigkeit herzustellen. Deshalb wurde ein Grundlagenworkshop von "b-aware" durchgeführt und Awareness-Situationen in Rollenspielen geübt.

Fazit

Beide Workshops waren sicherlich wertvoll für die Gruppen, die daran teilgenommen haben und werden dabei helfen in der Supportarbeit handlungssicherer zu werden. Sicherlich wird auch der Vorbereitungskreis noch einmal darüber diskutieren, wie der schwindenden Teilnehmerzahl begegnet werden kann. 

Aber mal ehrlich: Es gibt mittlerweile eine Fülle von Angeboten (Podcasts, Workshops, Aktionen, Zines, Beratungsangebote, kurze und dicke Bücher), die sich offen an die Breite der Bewegung richten. Doch wenn die Nachfrage nach diesen Angeboten ähnlichen Konjunkturen unterliegt wie bei den beschriebenen Männlichkeitstreffen, sollte über konfrontativere Strategien nachgedacht werden, um Dringlichkeit zu erzeugen. Zu fragen ist auch, wer Angebote bereitstellt, wer als Konsument auftritt und aus welcher Perspektive sich dem Thema genähert wird. Ist die eigene Betroffenheit Ausgangspunkt, die Solidarität im Kampf gegen Unterdrückung oder die Vorwürfe, die einem gemacht wurden? Das ist nicht nur für die Motivation entscheidend, sondern auch für die Analyse des gesellschaftlichen Zusammenhangs und den Problemen, vor denen wir stehen.

Oder anders: Haben jetzt wirklich alle gecheckt, dass Patriarchat ein Problem ist und sich nicht von alleine abschafft?

Wahrnehmbarer geworden sind hingegen aufwändigere Aufarbeitungsprozesse nach Fällen von sexualisierter Gewalt in Bündnissen, auf Wagenplätzen, in Hausprojekten, Partylocations und auch Gruppen, weil viel offener bzw. offensiver (z.B. in Outcalls) darüber gesprochen und Wissen über den Umgang geteilt wird. Auch wenn das für die Beteiligten oft sehr schmerzvolle Phasen sind, möchten wir dafür werben, nicht nachzugeben. Wir denken auch, dass die vermehrte Hinwendung zu fantifa-Themen (z.B. Frauen im Widerstand, Kämpfe gegen Femizide, Thematisierung des Patriarchats als konstitutiv für den Faschismus) und die Überlegungen zu feministischer Militanz9
ein gutes Schutzschild gegen patriarchale Tendenzen in den eigenen Reihen sein kann. Das alles zusammen wird den Unterschied machen, auch wenn es schleppend vorangeht.