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Antifaschismus – eine Gefahr für das Ansehen Deutschlands?

Maxi Schneider (Gastbeitrag)
Einleitung

Auch der Bundesvorsitzender der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA), Florian Gutsche, wollte am 25. Februar 2023 in Sofia (Bulgarien) gegen den NS-verherrlichenden "Lukov-Marsch" demonstrieren. Doch dazu kam es nicht. Einen Tag vor den geplanten Protesten war der Berliner Antifaschist in Deutschland zur Fahndung ausgeschrieben worden. Am Flughafen hinderte ihn dann die Bundespolizei an der Ausreise. Begründung: er sei eine Gefahr für das „Ansehen der Bundesrepublik“. 

Slogan "Stop Nazi glorification" auf Transparent in Sofia

Antifaschistischer Protest in Sofia (Bulgarien).

Als Florian Gutsche (VVN-BdA) am 24. Februar 2023 vom Flughafen Berlin-Brandenburg nach Bulgarien reisen wollte, um an Protesten gegen den "Lukov-Marsch"1
teilzunehmen, wurde er bei der Passkontrolle von Bundespolizist*innen beiseite genommen. 

Zwei Stunden hielten die Beamt*innen den 34-jährigen fest, befragten ihn und durchsuchten seinen Rucksack. Mit dem Hinweis, dass man ihn bei Zuwiderhandlung „in Gewahrsam nehmen“ und strafrechtlich verfolgen werde, wurde er mit einer sechsseitigen Ausreiseuntersagung entlassen. Den Personalausweis behielten die Behörden für das Wochenende ein.

Bei der eingeleiteten Fahndung nach Gutsche berief sich die Bundespolizei auf eine Festnahme im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration mit einem besetzten Haus im Jahr 2011. Der anschließende Prozess endete mit einem Freispruch in allen Punkten. Dieses Vorgehen zeigt, wie sich die Polizei in ihrem unbedingten Verfolgungswillen gegenüber aktiven Antifaschist*innen selbst über ein ergangenes Urteil hinwegsetzt.

Begründung des Ausreiseverbots

Das Ausreiseverbot wurde im Rahmen des Passgesetzes erlassen und galt für jegliche Auslandsreisen. Die Verfügung war damit begründet, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass Gutsche sich am Rande der Proteste an gewalttätigen Auseinandersetzungen beteilige. Die Teilnahme an der Veranstaltung könne „das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland erheblich schädigen“.2
In dem Bescheid für die Ausreiseuntersagung wird er als Person mit „linksextremer Ideologie“ bezeichnet. Es sei zu befürchten, dass er sich „weiter radikalisieren“ und in der Szene „weiter vernetzen könnte“.3

Offensichtlich zielte die deutsche Polizei mit dieser Aktion darauf ab, Antifa-Proteste nun auch im Ausland zu kriminalisieren und zu behindern. Die VVN-BdA stellte hingegen klar: „Nicht der Protest gegen Neonazi-Veranstaltungen ist ein Problem, sondern die offene und unerhörte Glorifizierung von Waffen-SS und einheimischer mörderischer antisemitischer Freiwilligenverbände in Osteuropa.“4

Klage der "Gesellschaft für Freiheitsrechte" (GFF) und der VVN-BdA

Am 5. Juli 2023 erhob die VVN-BdA gemeinsam mit der GFF Klage am Verwaltungsgericht Berlin. Die beiden Verbände werfen der Bundespolizei einen massiven Eingriff in die Versammlungsfreiheit vor.5
Ziel ist es, gerichtlich festzuhalten, dass das Ausreiseverbot rechtswidrig war und die Regelung aus dem Passgesetz für diese Einschränkung zu unbestimmt ist.

Völlig unklar ist, wann genau eine Gefahr für das „Ansehen Deutschlands“ vorliegen soll. Laut GFF wären für die Verhinderung einer Versammlungsteilnahme konkrete Anhaltspunkte dafür nötig, dass die Person im Ausland schwere Straftaten begehen wird. Eine Klärung der grundrechtlichen Anforderungen an Ausreiseverbote zur Hinderung an Protesten ist überfällig, um das Recht auf Versammlungsfreiheit auch im Ausland zu gewährleisten. Mit einer Entscheidung ist frühestens in einem Jahr zu rechnen. Die Klage steht in einer Linie mit anderen Verfahren der GFF zum Schutz der Versammlungsfreiheit: Die GFF will der Tendenz in Rechtsprechung und Gesetzgebung entgegenwirken, Proteste als Gefahr zu verstehen, die es abzuwehren gilt.

Der "Lukov-Marsch"

General Lukov war ab 1935 bulgarischer Kriegsminister und trieb die antisemitische Gesetzgebung in seinem Land nach dem Vorbild der Nürnberger Gesetze voran. Er war Anführer des faschistischen „Bundes der Nationalen Legionen“ und sorgte dafür, dass sich Bulgarien, das 1941 an der Seite der Achsenmächte in den Zweiten Weltkrieg eintrat, an der rassistischen Vernichtungspolitik der Deutschen aktiv beteiligte. Unter anderem war er Mitorganisator der Deportation von mehr als zehntausend bulgarischen Jüd*innen in das Todeslager Treblinka. Am 13. Februar 1943 wurde Lukov vor seinem Wohnhaus von Partisan*innen angegriffen und von der jüdischen Kommunistin Violeta Yakova erschossen.

Seit 2003 versammeln sich in Sofia Neonazis, um dem Faschisten Hristo Lukov zu gedenken. Der Aufmarsch war jahrelang einer der größten in Europa. Viele der Teilnehmenden trugen in der Vergangenheit Nazi-Uniformen und faschistische Symbole. Bis 2019 lag die Zahl der Teilnehmenden des Fackelmarsches bei rund 1000 Personen.

Hauptorganisator ist die „Bulgarian National Union“ – eine ultrarechte Kleinstpartei, die zwar keinen parlamentarischen Einfluss hat, aber europaweit bestens vernetzt ist. Maßgeblich beteiligt sind außerdem neonazistische Fußball-Ultras und Gruppen wie „Nationaler Widerstand“, die für ihre homofeindlichen Demonstrationen und gewalttätigen Angriffe auf linke Aktivist*innen bekannt sind, die ultranationalistische Partei VRMO sowie der bulgarische Zweig von „Blood & Honour“.

Hinzu kamen alljährlich Neonazi-­Organisationen und extreme Rechte aus Kroatien, Ungarn, Polen, Italien, Spanien, Frankreich, Russland und Schweden. Über Jahre hinweg gab es auch eine relevante Beteiligung aus Deutschland. 2018 traten gut 30 Neonazis aus dem deutschsprachigen Raum mit dem Fronttransparent „Gemeinsam für Europa“ als geschlossener Block auf. 2023 folgten dem Aufruf nur noch circa 400 Neonazis. Anders als in den Jahren vor der Pandemie, war der Aufmarsch dieses Mal nicht nur verboten, sondern fand auch tatsächlich nicht statt. Lediglich 200 Neonazis demonstrierten mittags gegen das Verbot ihres Fackelmarsches mit einem Meer aus Bulgarien-Fahnen. NS-verherrlichende Botschaften waren dabei nicht offen sichtbar.

Der aus antifaschistischer Sicht erfolgreiche Verlauf in diesem Jahr ist das Ergebnis entschlossener Gegenaktivitäten.

Grenzüberschreitender antifaschistischer Protest

Bereits 2017 wollte die Bürgermeisterin von Sofia den Lukov-Marsch verbieten. Dieser Versuch die NS-Verherrlichung zu stoppen, wurde durch die örtliche Polizei unterlaufen, die den Aufmarsch absicherte, anstatt das staatliche Verbot durchzusetzen.

2018 hob der Oberste Gerichtshof das erneut ausgesprochene Verbot der Stadtregierung auf. Im selben Jahr gab es jedoch großen und wirksamen antifaschistischen Widerstand. An diesen Erfolg anknüpfend rief „Antifa Sofia“ Ende 2022 international dazu auf, im Februar zu den Gegenprotesten nach Bulgarien zu kommen. Aufgrund des 20. Jahrestages des Lukov-Marsches rechnete man mit einer großen internationalen Beteiligung aufseiten der Neonazis. Antifaschist*innen aus ganz Europa waren eingeladen, um zu zeigen, „dass eine Welt die auf Solidarität, Respekt und Verantwortung aufgebaut ist, möglich ist.“ So zogen am 25. Februar 2023 etwa 300 Antifaschist*innen durch Sofia – unter ihnen Aktivist*innen aus Slowenien, Mazedonien, Griechenland, Italien, Schweden, Österreich und Deutschland. Auch eine kleine Delegation der VVN-BdA war vertreten, wenn auch ohne ihren Vorsitzenden. Die Anwesenheit zahlreicher LGTBIQ-Aktivist*innen in Form einer Mini-Pride – die Teil der angemeldeten Demo war – zog den Zorn einiger Konservativer auf sich, die eigens eine Gegenveranstaltung abhielten, was den Ablauf der antifaschistischen Proteste aber nicht weiter stören konnte.

Es bleibt zu hoffen, dass die Klage der VVN-BdA und der GGF gegen die Bundesrepublik Deutschland in Sachen Ausreiseverbot dazu beitragen kann, internationale Solidarität zu stärken und grenzüberschreitenden Antifaschismus zukünftig vor Kriminalisierung zu schützen.