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Das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“

Einleitung

Im Sommer 2021 eröffnete in Berlin das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“

Foto: Christian Ditsch

Erika Steinbach beim "Tag der Heimat" des "Bundes der Vertriebenen" in Berlin am 22. August 2009.

Die deutschen Pläne ganz Europa zu besetzen und einen Rassestaat zu errichten, sorgten in ganz Europa für unermessliches Leid. Allein auf dem Gebiet der Sowjetunion starben durch den deutschen Vernichtungskrieg 27 Millionen Menschen. Zwei Millionen weitere wurden versklavt und kamen als Zwangsarbeiter nach Deutschland. Hierbei bezog das "Deutsche Reich" die deutschen Minderheiten in den unterschiedlichen Staaten in Osteuropa strategisch in seine Großraumpläne mit ein. Die deutschen Absichten scheiterten im Mai 1945 an der Roten Armee und den westlichen Alliierten. Deutschland wurde besetzt und geteilt. Besonders in Osteuropa wurden durch neue Verträge wie dem Potsdamer Abkommen Grenzen neu gezogen, Bevölkerungen vertrieben und neu angesiedelt. Polen verlor über ein Drittel seines Gebiets im Osten an die Sowjetunion - und erhielt dafür als Ausgleich Gebiete des ehemaligen "Deutschen Reiches" im Westen und Norden.

Viele Angehörige der deutschen Minderheit waren durch die „Heim ins Reich“ Politik des NS-Staats umgesiedelt worden, viele andere flohen in den letzten Kriegsmonaten vor der nahenden Roten Armee Richtung Westen. Viele, aber natürlich nicht alle Angehörige der deutschen Minderheiten, hatten vor und nach dem Einmarsch der Wehrmacht die NS-Politik unterstützt und eine Eingliederung ihrer Gebiete an das Deutsche Reich und eine herausgehobenere Behandlung der „rassisch höherwertigen“ Deutschen gefordert. Nun zahlten sie alle den Preis.

Cosa Nostra auf Sudetendeutsch

Insgesamt mussten ca. 12 Millionen Deutsche die Gebiete in Polen, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion verlassen. Sie wurden in Ost- und Westdeutschland neu angesiedelt und organisierten sich in Westdeutschland in sogenannten „Vertriebenenverbänden“ oder „Landsmannschaften“. Etwa 16 Prozent der Bevölkerung der BRD galten 1950 als „Vertriebene“. In der DDR waren diese Vereinigungen verboten. Angehörige der Vertriebenenverbände waren in den folgenden Jahren in der Politik der Bundesrepublik stark vertreten. Außenpolitische Entscheidungen konnten bis in die 1960er Jahre hinein nicht ohne Rücksicht auf die Vertriebenenverbände getroffen werden. Nicht reine Brauchtumspflege oder eine „humanistische“ Grundhaltung waren der Motor dieser Verbände. Vielmehr war es das Bedürfnis, für deren Mitglieder das meiste rauszuholen, oft gepaart mit dem Wunsch nach "Rache" und Rückkehr.

Gleichzeitig bildeten die von ehemaligen NS-Anhängern geführten Vertriebenenverbände ein Scharnier, um ehemalige Kameraden in der öffentlichen Verwaltung der BRD unterzubringen. Cosa Nostra – auf Sudetendeutsch. Noch heute erhalten die Vertriebenenverbände 16 Millionen Euro jährlich vom Bund, aufgestockt mit Mitteln aus den Ländern und den Kommunen.

Wie viele Nullen hat der „Bund der Vertriebenen“ ?

Diese Frage stellt regelmäßig der Historiker Erich Später. Der BdV behauptet regelmäßig, er verfüge mit 1,3 Millionen Mitgliedern über mehr Mitglieder, als alle großen politischen Parteien zusammen. Die tatsächliche Zahl dürfte aber mit ca. 25.000, maximal 550.000 Mitgliedern, weit darunterliegen. Außerdem gelten beim BdV nicht nur jene als Vertriebene, die in den Jahren 1945/1946 die Länder Osteuropas verlassen mussten, sondern auch deren Kinder und Enkelkinder. Der Vertriebenenstatus ist also vererbbar. Doch der verlorene Weltkrieg, die Teilung Deutschlands und der Kalte Krieg setzten Fakten, die auch die Vertriebenenverbände, trotz aller Agitation, nicht ändern konnten. Spätestens mit den Ostverträgen 1972 unter Willy Brandt war der Stern der Vertriebenenverbände kontinuierlich am sinken. Die Verträge unter SPD und FDP erklärten die Unverletzlichkeit der Grenzen – die CDU bezeichnete dieses Abkommen als „Ausverkauf deutscher Interessen“.

Ein "Dokumentationszentrum" wird eröffnet

In Deutschland gibt es im Jahr 2021 bereits mehr als 1.500 Denkmäler, die an die deutschen Heimatvertriebenen erinnern – davon allein in Bayern 278 und in Hessen 202. Nun, über 75 Jahre nach den Fluchten, Umsiedlungen und Vertreibungen, eröffnete im Juni 2021 das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ in Berlin. Wie konnte das gelingen?

Im Jahr 2000 gründete sich die „Stiftung gegen Vertreibung“, um einen Gedenkort in Berlin zu errichten. Im Mittelpunkt stand das Erinnern an das Leid der Deutschen. Zwar soll auch generell das Thema „Vertreibung“ in ganz Europa thematisiert werden – denn ohne ein solches Zugeständnis wäre ein solches Projekt geschichtspolitisch niemals durchsetzbar gewesen.

Erika Steinbach

Die treibende Kraft hinter der Gründung der Stiftung war Erika Steinbach. Steinbach war von 1998 bis 2014 Präsidentin des „Bundes der Vertriebenen“ und bis 2014 Mitglied der CDU. Sie kam 1943 als Tochter eines Feldwebels zur Welt, der mit der Wehrmacht während der Besetzung Polens in der Nähe von Danzig stationiert wurde. 1945 floh die Mutter mit ihren Kindern vor  der heranrückenden Roten Armee über die Ostsee nach Schleswig-Holstein. Steinbach und ihre Familie lebten zwei Jahre in Polen. Der polnische Außenminister Sikorksi kommentierte daher einmal treffend: Sie „kam mit Hitler in unser Land und mit Hitler musste Sie wieder gehen“.

Was sie aber für die „Heimatvertriebenen“ so wertvoll machte, war ihr rigoroses Eintreten für deren Rechte und ihren Hang zu öffentlichkeitswirksamen Skandalen. So stimmte sie 1991 gegen die Anerkennung der Oder-Neiße Linie, weil damit ein Teil der „Heimat“ abgetrennt werde. 2010 verkündete sie, Polen hätte zuerst seine Armee gegen NS-Deutschland mobilisiert. 2012, die NSDAP sei eigentlich eine linke Partei gewesen und 2014, dass der Koran menschenfeindlich sei. 2005 hatte die Stiftung Erfolg. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD wurde beschlossen ein „sichtbares Zeichen“ zu setzen, um an die Vertreibungen zu erinnern. Erika Steinbach war aber zu umstritten um Teil des neuen Stiftungsrates zu werden. Enttäuscht trat Steinbach aus der CDU aus und näherte sich schnell der AfD an. Seit 2018 ist sie Vorsitzende der AfD-Stiftung „Desiderius- Erasmus“.

Kontextualisieren bis zur Unkenntlichkeit

Der Historiker Erich Später konstatiert, dass das Zentrum letztendlich nicht das Leid der Vertriebenen thematisieren wolle, sondern eine alternative Sicht auf den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus zu etablieren versucht. Nicht mehr die Deutschen als Täter, sondern als Opfer von Vertreibungen darzustellen, sei dabei das eigentliche Ziel. Und genau das ist auch in der Ausstellung erkennbar.

Direkt im gleichen Block wie die „Topographie des Terrors“ gelegen, ist es museumstechnisch up-to-date und architektonisch im derzeit beliebten Neo-Brutalismus. Während es im Erdgeschoss allgemein um das Thema Vertreibung in Europa im 20. Jahrhundert geht, widmet sich der zweite Stock ausschließlich der Vertreibung der Deutschen ab 1945. Pflichtschuldig werden der deutsche Angriffskrieg, die Hungerpläne, der Holocaust, die Einsatzgruppen und viele weitere Verbrechen während des Nationalsozialismus präsentiert – so historisch korrekt, dass es nichts zu kritisieren geben kann. Danach aber, und das macht ca. 80 Prozent der Etage aus, geht es nur noch um die vertriebenen Deutschen.

Dabei werden in den Vitrinen historische Assoziationen subtil eingeflochten, die reine Verharmlosung sind. Ein Beispiel: Präsentiert wird der Aufnäher von Rudi Norbert Florian, den der 10-Jährige in Polen nach 1945 tragen muss. Ein großes „N“ (Niemiecki) soll markieren, dass dieser Deutscher war und ihn so als Menschen zweiter Klasse markieren. Aber: Anders als unter der deutschen Besatzung, wo Millionen von Polen ein „P“ tragen mussten und systematisch zu Sklaven degradiert wurden, war dies in Polen kein systematisches, staatlich orchestriertes Vorgehen gegen Deutsche. Die Besucher werden dennoch, und zwar beabsichtigt, aus der Ausstellung mit dem Gefühl gehen: „Die Deutschen waren schlimm – aber die Polen waren ja auch nicht besser“. Auch die 1950 veröffentlichte „Charta der Heimatvertriebenen“ wird als „neutrales“ Dokument gezeigt und kommentiert. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass von den 30 Funktionären, die diese Charta unterschrieben hatten, 20 eine Vergangenheit in der NSDAP und/oder der SS hatten.

Die Direktorin der Gedenkstätte ist Dr. Gundula Bavendamm. Während sie sich selber politisch unauffällig zeigt, sorgt ihre Familie schon eher für (politisches) Aufsehen. Ihr Vater Dirk Bavendamm hielt Vorträge bei extrem rechten Vereinen wie der „Gesellschaft für freie Publizistik“ (GfP) und der der "Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V." (SWG). Seine Bücher erscheinen in den extrem rechten „Ares“- und „Druffel & Vowinckel“ Verlagen. Ihr Ehemann Sönke Neitzel hat sich als Militär-Historiker einen Namen gemacht. Sein Buch "Deutsche Krieger" wurde in einer Rezension mit den Worten: "Sein Buch ist eine politische Streitschrift und hat mit Wissenschaft und seriöser Militärgeschichte nichts zu tun. Es ist ein Plädoyer für eine offensiv-aggressive Politik. Wohin die führt, dürfte hinreichend bekannt sein." kommentiert.1

Das Denkmal ist kein trommelschlagender Geschichtsrevisionismus. Mittelfristig wird es aber sehr effektiv seinen Teil dazu beitragen, die singulären deutschen Verbrechen solange zu kontextualisieren, bis sie nicht mehr zu erkennen sind.

  • 1nd-online.de: "Loblied auf den archaischen Kämpfer. Vom Tankwart und Militärhistoriker und intellektuellen Krieger - das Beispiel Sönke Neitzel" von Johannes Klotz, 11.02.2021.