Skip to main content

Terror-Kreis Muldental

Einleitung

Ein brutaler Überfall auf den Fußballverein »Roter Stern Leipzig« gewährt Einblicke in die vielfältige Neonazis- Szene im Leipziger Umland

Knochenbrüche, Prellungen und blutige Nasen – das ist das bittere Ergebnis eines äußerst brutalen Überfalls von etwa fünfzig Neonazis auf Fans des Roten Stern Leipzig e.V. (RSL) am 24. Oktober 2009, im östlich von Leipzig gelegenen Brandis (Landkreis Leipzig). Mit Stahlrohren, Holzknüppeln, Quarzsandhandschuhen und Feuerwerkskörpern waren die Angreifer gezielt auf die angereisten Zuschauer des Bezirksklassenvereins losgegangen. Über den gut dokumentierten Gewaltexzess und das offensichtliche Versagen der Polizei berichteten lokale und bundesweite Medien ausnahmsweise sehr ausführlich.

Neonazis bei der zweiten Angriffswelle am 24. Oktober 2009 in Brandis.

Anders als üblich bei »Fußballrandale« konnte der politische Charakter des Angriffs diesmal, auch dank der offensiven Pressearbeit des RSL, nicht verschwiegen werden. Der Täterkreis schien zunächst schwer fassbar. Es handelte sich um eine Mischung aus einschlägig bekannten Neonazis aus dem früheren Muldentalkreis, erfahrenen Schlägern aus der Freefight-Szene sowie altgedienten und jüngeren rechten Hooligans. Es kann also nicht von einer einheitlichen Organisation oder Gruppe (Ende November 2009 teilte die Polizei mit, dass fünf Verdächtige aus Stadt und Landkreis Leipzig sowie Görlitz festgenommen wurden. Alle sind mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Körperverletzung und des Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole) gesprochen werden. Die Täter verbindet neben der neonazistischen Ideologie und damit dem Hass auf den linken Verein aus dem Leipziger Stadtteil Connewitz vor allem ihr Wohnort: der Muldentalkreis mit der ehemaligen Kreisstadt Wurzen. Man kennt sich weniger von politischen Aktionen, wie es bei den »Freien Kräften« in und um Leipzig der Fall ist, sondern vielmehr durch Cliquen-festigende Freizeitaktivitäten: Fußball, Freefight, NS-Hardcore-Konzerte und Saufen.

»Terror Crew Muldental« und andere Neonazi-Cliquen

Identifiziert wurden mehrere Mitglieder der Neonaziclique »Terror Crew Muldental« (TCM) aus Bennewitz bei Wurzen. Diese Gruppierung ist bisher in der Öffentlichkeit nicht durch politische Aktionen in Erscheinung getreten, dafür durch »nationale Freizeitgestaltung«. Die »Terror Crew« ist aus zwei von Muldentaler Neonazis veranstalteten Fußballturnieren (Motto: »Das System ins Abseits«) zu Pfingsten und am 3. Oktober 2009 in Wurzen als Sieger hervorgegangen. Weitere Mannschaften traten unter Bezeichnungen wie »Wurzener Jungs«, »FN-Delitzsch/Nordsachsen«, »Nationale Sozialisten FN-Muldental«, »Aktionsfront Geringswalde/Colditz«, »Sturm 20« Torgau und »Sturm Grimma« an. Während des Angriffs in Brandis trugen sechs Personen den für die Gruppierung typischen roten Kapuzenpullover mit der Aufschrift »Terror Crew Muldental«. Einer von ihnen: Schweinezüchter Chris R., der im Juni 2009 als Mitglied der NPD für den Bennewitzer Gemeinderat kandidierte. Im Sommer 2009 war er gemeinsam mit anderen Neonazis an einem Überfall auf drei Jugendliche in Wurzen beteiligt, dabei verletzte er einen von ihnen schwer. In seiner Freizeit singt er bei der Neonaziband »Storm of Mind«.1
Neben ihm waren mindestens zwei weitere NPD-Mitglieder an dem Überfall beteiligt.2

Warm Up beim Konzert

Wie groß die neonazistische Szene inklusive ihres Umfeldes im Muldental derzeit ist, war am 1. August 2009 bei einem Konzert im Gewerbegebiet »Lüptitzer Höhe« bei Wurzen zu besichtigen. Bei dieser Party waren etliche der im Oktober am Angriff auf den RSL beteiligten Schläger anwesend. Die Räume dienen normalerweise als Proberaum für die Wurzener NS-Hardcore-Band »Eastside« 3
. Sie trat an diesem Abend zusammen mit Chris R.’s Band »Storm of Mind« und »Inkubation« (Döbeln) auf. Also ein eindeutiges Neonazikonzert, obwohl das Publikum durchaus gemischt war. Ein Mitglied der »Terror Crew« trug stolz ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift »Nazi«, bei anderen prangte »Holocaust« oder »Auch ohne Sonne braun« auf der Brust. Ein weiterer Gast präsentierte am späteren Abend stolz seine Tattoos: Rocco H. Auch er war in Brandis dabei und posierte bei dem Konzert mit etlichen Bandmitgliedern und Besuchern. Er ist bereits seit den frühen 1990er Jahren in der Wurzener Neonaziszene aktiv und war 1994 an brutalen Überfällen auf portugiesische Bauarbeiter und alternative HausbesetzerInnen beteiligt. Aus Leipzig angereist war der Alt-Hooligan und Neonazi Riccardo Sturm. Dieser war in Brandis zusammen mit Gabriel S. einer der wenigen Schläger, die nicht aus dem Muldental stammten 4
. Das Konzert in Lüptitz scheint einer der Orte zu sein, an denen sich die Mischszene konstituiert hat aus deren Reihen die Schläger von Brandis kamen. Rocco H. ist ebenfalls Hooligan und Freefighter. Eine Zeit lang hat er bei den Wurzener »Fighting Fellas« trainiert und ist für sie bei Freefight-Turnieren in den Ring gestiegen. Inzwischen hat diese »Boxgemeinschaft« ihre Aktivitäten nach Leipzig verlagert. Neben Rocco H. waren noch andere Freefighter aus Wurzen und Umgebung (Colditz) bei dem Überfall in Brandis dabei. Die Stadt Wurzen war zeitweise als Teil des Neonazi-Netzwerkes »Freien Netz Nordsachsen« aufgeführt. Auf dessen Internetseite wurde ab 2008 regelmäßig über verschiedene Propagandaaktionen in der Muldestadt wie auch die bereits erwähnten »Nationalen Fußballturniere« berichtet. Dass am 22. November 2009 mit drei JN Stützpunkten in Nordsachsen auch einer für Wurzen/Muldental gegründet wurde, rundet das Bild ab.

  • 1Chris R. wurde später für den Überfall zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Er hatte bei der Tat einen Teleskopschlagstock dabei.
  • 2Der NPD-Kandidat für Brandis, Christian K., wurde für diesen Überfall und andere Straftaten zu drei Jahren Haft verurteilt. Das NPD-Mitglied Frank Sch. wurde wegen dem Überfall zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.
  • 3Schick dekoriert mit einem Lok-Leipzig-Transparent der »Wurzener Jungs«
  • 4Gabriel S. hetzt – gut dokumentiert von den Medien – mit blauer Windjacke und Eckfahne in beiden Händen jemanden quer übers Spielfeld