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Wider die Antifa der Männer

Jeja Klein (Gastbeitrag)
Einleitung

Schon immer ist die Antifa ein männlich dominiertes Aktionsfeld gewesen. Egal, was einzelne Antifaschisten individuell antreibt – eine männerdominierte Antifa hält die patriarchale Vorherrschaft in linken Kreisen aufrecht. Feminist*innen müssen sich darum in die Antifa einmischen.

Fantifa Hochtransparent im schwarzen Block.
(Screenshot: Youtubestream/WELT)

Feminist*innen müssen sich in die Antifa einbringen.

Das wäre nicht nur ein Angriff auf die linke Männermacht, die seit dem Verrat Johannes Domhövers im "Antifa Ost-Verfahren" neue Aufmerksamkeit erfahren hat. Auch die etablierte Form ritualisierter Abreibungen zwischen Linksradikalen – im Wesentlichen Männern – und Neonazis stärkt kriegerisch-autoritäre Identitätskonzepte, die den Männlichkeitsidealen von Faschist*innen ziemlich nahekommen.

Die Politik der militanten Antifa-Bewegung würde erst richtig effektiv, wenn sie die männerzentrierte Krieger- und Ehrenlogik verlässt – was aber im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass es nicht aufs Maul geben darf.

Ob Faschist*innen Zulauf haben, entscheidet sich in unendlich vielen Bereichen: Sozialpolitik, Kulturpolitik, wirtschaftliche Ungleichheit und vieles mehr. Die Politik der Antifa läuft jedoch meist auf Formen der direkten Konfrontation mit Nazis (Outing, Gegendemo, Schlägereiì) hinaus.

Der Nationalsozialismus ist mit streng organisierter, militärischer Gewalt niedergeschlagen worden. Dass er sich davon langfristig nicht erholen konnte, liegt aber an vielen, eher als „weich“ geltenden politischen Entwicklungen wie etwa der Frauenemanzipation, der sexuellen Aufklärung oder der Tatsache, dass Fantasien von ethnischer Reinheit in einer globalisierten Welt die materielle Grundlage entzogen worden ist. Möchte man es mit dem Faschismus aufnehmen, muss man also das Ineinandergreifen „weicher“ und „harter“ Faktoren berücksichtigen.

Der Backlash nach dem Kampf

Nicht zufällig folgte in den USA auf den Zweiten Weltkrieg eine konservative Restauration der Verhältnisse. Auch in Deutschland wurde mit dem Ende des NS-Regimes nicht an die Liberalisierungstendenzen der Weimarer Republik angeknüpft. Stattdessen ist die Symbolfigur dieser Zeit die Hausfrau. In der Sowjetunion wurde die breite Beteiligung von Rotarmistinnen am Krieg gegen den Natio­nalsozialismus gezielt aus der Erinnerung getilgt.

Kriegerische Auseinandersetzungen führten in der Geschichte zu einer kulturellen Überhöhung von Männern und zum Ausbau ihrer Macht. Auf allen Seiten werden sie als Verteidiger von Nation und Staat gefeiert. Das Opfer, das Einzelne als Soldaten erbracht haben, zahlt sich für sie als Geschlecht aus. Man könnte sagen, Männer haben ein objektives Interesse am Krieg. Dieses Interesse realisiert sich erst auf kollektiver und historischer Ebene – egal, mit welcher Intention ein einzelner Mann für welche Seite in den Krieg zieht.

In wesentlich kleinerem Maßstab gelten solche Mechanismen auch für die neuere Geschichte der Antifa. Neonazi-Strategien liefen immer auf die Ausweitung gewaltsamer Übergriffe hinaus. Es sind vorwiegend Männer, die als rechte Gewalttäter agieren. Zwar traten Antifaschist*innen ihnen in einem anderen Geschlechterverhältnis gegenüber. Doch dort, wo es hart auf hart kam, waren oft fast ausschließlich Männer involviert.

Das spiegelt sich auch in den organisierten Antifa-Strukturen wider: Männer sind deutlich in der Mehrheit und prägen mit ihrer Weltsicht Recherchearbeit, Demonstrationen oder das Geschehen in Kleingruppen. Kultur und Sprache der antifaschistischen Bewegung drehen sich um das Ziel, den Gegner handlungsunfähig zu machen – nicht darum, eine Gesellschaft gegen faschistisches Denken zu immunisieren.

In diesem von Gewalt durchzogenen Politikfeld etablieren sich so auch eine Alltagskultur und Symbole der Abwertung von Faschist*innen, die gleichzeitig auch der Aufwertung kriegerisch orientierter Männlichkeiten dienen – die wiederum mit Weißsein und Hetero­sexualität aufgeladen sind. Und: Worauf die Antifa außerdem angewiesen ist, sind große, kräftige Mitstreiter*innen. Je größer die akute Bedrohung durch Neonazis, desto weniger schaffen es FLINTA, ein Ticket für die nächste Aktion oder das nächste Plenum zu ergattern.

Maskulines, dominantes Gehabe gilt in Antifa-Kreisen oft als schiere Notwendigkeit im Angesicht eines gewaltaffinen politischen Gegners. Es wird darum nicht als Kennzeichen einer patriarchalen und damit rechten Persönlichkeit gedeutet und kann daher in Antifa-Cliquen reproduziert werden, ohne auf größere Kritik zu stoßen. „Wenigstens ist er auf der richtigen Seite“ ist ein häufig gehörter Ausspruch über solche Genossen. Vor allem Frauen müssen dagegen auf Herz und Nieren geprüfte 100-Prozent-Antifaschistinnen sein, die organisatorische Aufgaben übernehmen, damit man sie als wertvolle Mitstreiterinnen anerkennt.

Die Antifa als Schmiede von Persönlichkeiten

Da sich die organisierte Antifa-Arbeit oft im Graufeld der Legalität abspielt, ist sie auf Klandestinität, Informationshierarchien und strikte Zugehörigkeiten angewiesen. Durch solche Aktivitäten entstehen unter den Aktivist*innen Vertrauen, freundschaftliche Bindung und ein Habitus, aus dem sich auch nach der aktiven Antifa-Zeit noch kulturelles Kapital schlagen lässt.

Um in die Fähigkeiten und Erfahrungswerte anderer Antifaschist*innen eingeweiht zu werden, bedarf es jedoch einer gewissen Vertrauenswürdigkeit, die zunächst mittels Expertise demonstriert werden muss. Expertise aber ist geschlechtlich kodiert: Jungs lernen von früh auf, dass sie Anerkennung für Expertenwissen bekommen. Bei Mädchen steht großes Sachinteresse für unweibliche Schrulligkeit. Es ist nicht leicht, sich aus dieser Sozialisation herauszuarbeiten und den sozialen Preis zu zahlen.

Die effektivsten Antifa-Gruppen agieren in ihren jeweiligen Szene-Kreisen oft als innerlinke Avantgarde. Informationen werden an die organisierten Antifas weitergereicht, weil ihnen das entsprechende Vertrauen entgegengebracht wird, damit etwas Sinnvolles anzustellen. Umgekehrt verleiht die Zugehörigkeit zu einer der örtlichen Antifa-Gruppen den Worten einer Person Gewicht.

Weil gesellschaftstheoretisches Wissen unmittelbar auf das eigene Praxisfeld anwendbar ist, erschließen sich junge, organisierte Antifas über eine Faschismusanalyse oft schneller eine umfassende Gesellschaftskritik: Wie hängen etwa Kapitalismus und Faschismus zusammen?

Die in der Szene betriebenen Kampfsportgruppen führen ebenfalls dazu, dass mit gesteigertem Selbstbewusstsein auftreten kann, wer es geschafft hat, in den Kreis der lokalen Antifa-Strukturen aufgenommen zu werden. Und da die Gruppen als Durchlauferhitzer zur Rekrutierung tragender Persönlichkeiten der Linken fungieren, würden junge FLINTA von diesen Erfahrungen profitieren.

Das Wagnis eingehen, zu kämpfen

Dass linke Männer der notwendigen feministischen Kritik an Szene-Strukturen so ausdauernden Widerstand entgegenbringen, liegt auch daran, dass viele linke Räume de facto als Schutzräume für Männer funktionieren. Die autonomen Zentren in der Provinz beherbergen jedenfalls einen Gutteil Männer, deren Ex-Partnerinnen nur noch schwer Anschluss an Strukturen finden, während sie selber aufgrund drohender Neonazigefahr als unentbehrlich gelten. Das heißt umgekehrt auch, dass die Nazigefahr und die regelmäßigen Hauereien zwischen Neonazis und Linken unentbehrlich für bestimmte linke Männer sind.

Es ist im Interesse von FLINTA-Personen, Antifa-Gruppen ohne Cis-Männer zu gründen und sich in bestehende Strukturen einzumischen. Etablierte, radikalfeministische Antifa-Gruppen würden selbstbewusst auftreten, die Zusammenarbeit mit antifeministischen Gruppen verweigern und deren Ausgrenzung aus der Antifa-Szene betreiben.

FLINTA sollten sich auch in Sportgruppen zur Selbstverteidigung einbringen oder, besser noch, eigene Gruppen anleiten. Weniger von der Gewaltdrohung durch Faschist*innen im Bewegungsradius eingeschränkt, weniger auf den Schutz durch Männer angewiesen zu sein, hilft bei der Eigenständigkeit. Es würde auch dazu ermächtigen, sich sinnvoll in körperliche Auseinandersetzungen mit Neonazis einzubringen – Eine Militanz, die entweder maximal defensiv oder maximal offensiv vorgeht und sich nicht im Männlichkeitstheater dazwischen verfängt.

Unrecht haben die Autor*innen aus AIB Nr. 138 („Warum wir einen queerfeministischen Antifaschismus brauchen“)1
allerdings, wenn sie dort schon „Verrat“ sehen, wo unreflektierte patriarchaleVerhaltensweisen gezeigt werden.

Selbst unter erklärten Feministinnen wird sexuelle Gewalt ausgeübt, auch in FLINTA-Gruppen kommt es zu heftigen Zerwürfnissen. Das Morgen können auch wir nicht kurzerhand vorwegnehmen. Kämpfen bedeutet also nicht nur die Unsicherheit zu ertragen, dass man verletzt werden wird – sondern auch die, im Nachhinein zu erfahren, wie unfertig man selbst noch am Anfang war. Verräter aber jagt, wer sich dieser Unsicherheit nicht stellen mag.