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Feindbild „Klimakleber“

Lotta Ulrich (Gastbeitrag)
Einleitung

Die Aktivist*innen der „Letzten Generation“ setzen sich seit 2021 mit verschiedenen Mitteln des zivilen Ungehorsams gegen die Klimapolitik der Bundesregierung ein. Dabei sind sie immer wieder massiven Anfeindungen und Angriffen von rechts, aber auch von bürgerlicher Seite ausgesetzt. Das ließ sich zuletzt auch im Juli 2023 in der Hansestadt Stralsund beobachten als ein Lkw-Fahrer massive Gewalt gegen Aktivist*innen einsetzte. 

(Bild: Stefan Müller; climate stuff; CC BY-NC 2.0 Deed)
(Bild: Stefan Müller; climate stuff; CC BY-NC 2.0 Deed)

(Symbolbild aus Berlin, Februar 2023)

Der gesellschaftliche Umgang mit der „Letzten Generation“

Die „Letzte Generation“ wird vor allem mit Straßenblockaden assoziiert, bei denen Klimaaktivist*innen in orangefarbenen Warnwesten Autobahnen oder Straßen versperren, um gegen die Klimakatastrophe zu protestieren. Teilweise befestigen sie ihre Hände mit Sekundenkleber auf dem Asphalt, um ihre Aktionen wirkungsvoller zu gestalten. In politischen und medialen Diskursen werden sie deshalb als „Störenfriede“ oder sogar „Terroristen“ markiert. Abschätzig werden sie oft als „Klimakleber“ bezeichnet, CSU-Bundestagsabgeordneter Alexander Dobrindt meint: „Die Entstehung einer Klima-RAF muss verhindert werden.“1
Dass der Vergleich mit der "Roten Armee Fraktion" (RAF) absurd ist, liegt auf der Hand.

Doch woher kommt der übersteigerte Hass auf Klimaaktivist*innen und warum wird gerade die „Letzte Generation“ zur Zielscheibe? Mit ihrem Protest greifen sie unmittelbar in den Alltag derjenigen ein, die wegen ihnen im Stau stehen müssen. Davon sind die betroffenen Personen häufig genervt, aber die Blockaden sind eine Form des zivilen Ungehorsams, die auf die verheerenden Folgen der Klimakatastrophe aufmerksam machen sollen. Ihr Ziel ist es, dass die Folgen des Klimawandels nicht mehr ignoriert werden können, weder von den verantwortlichen Politiker*innen, noch von den Bürger*innen. Um dieses Ziel zu erreichen, legt die „Letzte Generation“ den Straßenverkehr an einigen wenigen Orten zeitweise lahm.

Dennoch werden die Straßenblockaden häufig nicht als politischer Protest wahrgenommen, sondern als individuelle Angriffe auf das Auto als persönliches Eigentum und die Arbeit. In dieser Logik werden die heftigen Abwehrreaktionen auf die Aktionen der „Letzten Generation“ als Selbstverteidigung begriffen.

Doch der Hass funktioniert auch unabhängig von konkreten Protestaktionen, da die regressive Stimmung in der deutschen Gesellschaft dazu führt, dass sowohl Politik als auch Medien die ablehnende Haltung gegenüber Klimaaktivist*innen befeuern.

In der Realität bedeutet die weit verbreitete Ablehnung gegen die Aktivist*innen und ihren Protest zum einen, dass sie starker Repression ausgesetzt sind. Der Staat versucht ihre Proteste mit juristischen Mitteln zu unterbinden. So wurden beispielsweise im Mai 2023 bundesweit 15 Wohnungen durchsucht, gegen sieben Personen wird wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.2

Zum anderen sind die Aktivist*innen dem Hass eines sehr breiten politischen Spektrums ausgesetzt. Nicht nur für extrem rechte Akteur*innen stellen sie ein Feindbild da, sondern auch für bürgerliche und konservative Stimmen. Der breite gesellschaftliche Rückhalt macht Angriffe auf die „Letzte Generation“ wahrscheinlicher. Vor allem online wird der Hass auf sie geschürt, dieser überträgt sich aber auch ins reale Leben.

Im Internet kursieren immer wieder Videos, die dokumentieren wie Aktivist*innen bedroht, gezerrt, geschlagen oder getreten werden. Die Angriffe wirken in den meisten Fällen spontan und unüberlegt. Autofahrer*innen steigen voller Zorn aus ihren Fahrzeugen, fangen an die Personen in der Blockade wild zu beleidigen und gehen dann auf sie los. Die gesellschaftliche Stimmung des Hasses und der Verachtung führt dazu, dass sich rechte Akteur*innen, die Proteste der „Letzten Generation“ angreifen, als Vollstrecker*innen des „Volkswillens“ inszenieren können. 

Ähnliche Mechanismen konnte man während der sogenannten „Flüchtlingskrise“ beobachten. Damals wurde der Hass auf Geflüchtete nicht nur von Rechten geschürt, sondern auch von bürgerlichen Kräften. Rassistische Ressentiments waren nicht nur, aber vor allem in den sozialen Medien allgegenwärtig. Der Zorn entlud sich immer häufiger bei rassistisch motivierten Angriffen auf PoCs und Geflüchtete. Dadurch, dass der Hass in der breiten Gesellschaft verankert war/ ist, konnten sich die Angreifer*innen als Erfüller*innen des vermeintlichen Willens der Gemeinschaft fühlen. Eine solche hasserfüllte gesellschaftliche Atmosphäre, in der klare Feindbilder existieren, macht Angriffe auf die betroffenen Gruppen wahrscheinlicher und führt zu einer erschreckenden Akzeptanz von Gewalt. Selbstjustiz wird dadurch gewissermaßen legitimiert.

Das zeigt sich derzeit vor allem an der Gewalt gegen Klimaaktivist*innen. Aktuell laufen mindestens 142 Verfahren wegen unterschiedlichen Angriffen auf die „Letzte Generation“.

Den meisten Verfahren liegen Körperverletzungen zugrunde (Stand 28.07.2023). Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer weitaus höher ist, da nicht gegen alle Angreifer*innen ermittelt wird. Die Aktivist*innen müssen ständig mit verbalen und körperlichen Attacken rechnen. Fast täglich entlädt sich der Hass gegen sie auf der Straße und im Internet.

Klimaaktivist wird in Stralsund angefahren

Ein trauriger Höhepunkt dieser Gewalt ereignete sich am 12. Juli 2023 in Stralsund als sechs Aktivist*innen den Heinrich-Heine-Ring blockierten. Ein Handyvideo zeigt wie der 41- jährige Lkw-Fahrer Torsten H. wutentbrannt aus seinem Lkw steigt und zunächst versucht zwei Personen gewaltsam aus der Blockade zu zerren, um seinem Lkw den Weg frei zu räumen. Nachdem er eine*r der Aktivst*innen Schläge angedroht hat, steigt er wieder in sein Fahrzeug. Er fährt an und schiebt einen der Aktivisten mit dem Lkw etwa einen halben Meter vor sich her. Noch am selben Tag stellte sich Torsten H. der Polizei Grimmen, nachdem er zur Fahndung ausgeschrieben worden war. Sein Führerschein wurde erst einmal eingezogen und sein Arbeitgeber stellte ihn vorerst frei. Gegen ihn wird wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr ermittelt.

Welle der Unterstützung

Das Video von der Tat verbreitete sich rasant im Internet, doch statt empörter Reaktionen über die enthemmte Gewalt wird der Lkw-Fahrer in den sozialen Netzwerken teilweise als Held gefeiert. In einem Artikel auf der Website von NiUS (dem neuen Medienprojekt von Julian Reichelt) wird die Aktion des Lkw-Fahrers verharmlost und als Hilferuf bezeichnet.3

Viele Kommentarspalten werden von Hasskommentaren, die sich gegen die Aktivist*innen richten, überschwemmt. Es werden weitere Gewaltfantasien ausgetauscht. Es scheint als könnten die Kommentator*innen nicht genug bekommen von der Gewalt.

Die Unterstützung für den Angreifer ist aber auch praktischer Natur. Die rechtspopulistische Partei „Bürger für Stralsund“ nannte Torsten H. den „König der Herzen“ und startete bereits zwei Tage später eine Spendenaktion, um seine Anwalts- und Gerichtskosten, sowie den Lohnausfall zu decken. Seit dem Aufruf wurden 23.000€ auf das Konto seines4
Rechtsanwalts Dirk Lüder eingezahlt (Stand 28.08.2023). Auch die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ startete eine Spendenaktion für den Fahrer und sammelte innerhalb weniger Tage 25.000 EUR für ihn.4

Die Bereitschaft, welche an den Tag gelegt wird, um einen Unbekannten zu unterstützen, der einen jungen Mann angefahren hat und Gewalt gegen weitere Personen ausgeübt hat, ist enorm. Solche öffentlichen Solidaritätsbekundungen können Nachahmer*innen dazu ermutigen ebenso gegen unliebsamen Protest vorzugehen, da sie sich sicher sein können, dass sie ebenfalls Unterstützung erhalten würden.