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»Massenkontrolle aller Afrikaner in Dessau wegen Drogen!«

Mario Bialek
Einleitung

Nach einer Razzia der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost vom 16. Dezember 2009 (siehe AIB 86) hat die Behörde mittlerweile mit den brisanten Nachwirkungen des Einsatzes zu kämpfen. Den Großeinsatz gegen Betäubungsmittelkriminalität in der Dessauer Innenstadt bewertete die zuständige Polizeidirektion im Anschluss als erfolgreich. Zahlreiche Identitätsfeststellungen und auch ein paar Drogenfunde hatte die Ermittlungsbehörde zu vermelden. Monate später scheint das Ergebnis weit zwiespältiger zu sein als von der Behörde erwartet. 

»Die polizeilichen Maßnahmen haben sich mithin nicht gegen die Inhaber des Tele-Cafés gerichtet«, verkündeten Polizeidirektion und Staatsanwaltschaft am nächsten Tag in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Damit reagierten sie prompt auf den Protest antirassistischer Initiativen gegen die Durchsuchung des Tele-Cafés.  Offenkundig um gleichlautenden Vorwürfen entgegenzuwirken, verwehren sich die Ladenbetreiber_innen seit längerer Zeit gegen den Handel mit Drogen im eigenen Umfeld. Das war der Polizei bekannt. Der Laden blieb dennoch stets in ihrem Fokus.

Das Tele-Café ist ein Treffpunkt der afrikanischen Community und der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh«. Mouctar Bah, der die Initiative mit anderen Unterstützer_innen gründete, nachdem Oury Jalloh am 07. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle, an allen Gliedmaßen gefesselt verbrannte, war ursprünglich Betreiber des Ladens. Der Tod Jallohs ist bis heute nicht aufgeklärt. Mouctar Bah aber war auf Initiative des Ordnungsamtes im Jahr 2007 die Gewerbeerlaubnis entzogen worden, so dass der Treffpunkt vor der Schließung stand. Nach Übernahme der Geschäfte durch die Deutsch-Afrikanische Initiative ist Bah nun Angestellter.

Im Juli 2009 war öffentlich angekündigt worden, dass Mouctar Bah für sein Engagement zur Aufklärung der Todesumstände Oury Jallohs von der Internationalen Liga für Menschenrechte mit einem Menschenrechtspreis ausgezeichnet werden sollte. Kurz darauf stand die Polizei zur ersten Hausdurchsuchung vor der Tür. Gefunden wurde nichts. Die angeführten Gründe für die Durchsuchung bestätigten sich nicht. Drei Tage nach der öffentlichen Verleihung des Preises im Dezember 2009 und einen Tag vor dem lang erwarteten Revisionstermin zum Fall Oury Jalloh vor dem Bundesgerichtshof, folgte die nächste Razzia, als die Initiative aus Dessau gerade zur BGH-Verhandlung nach Karlsruhe aufbrechen wollte. Nicht nur die Betroffenen zweifeln daran, dass es sich hierbei um Zufälle handelt.

Nur zur »Vermeidung eines möglichen Beweismittelverlustes« hätten Polizeibeamt_innen, laut offizieller Darstellung, am Nachmittag des 16. Dezember 2009 dann das Tele-Café betreten. Ein Verdächtiger hatte sich dorthin geflüchtet. Dass Polizeibeamt_innen beim Betreten des Ladens Anwesende mit »Hört auf zu fressen!« und »Halt die Fresse!« einschüchterten, sollte nicht der einzige Fehltritt in diesen Stunden bleiben. Alle Anwesenden wurden einer Leibesvisitation unterzogen. Auch die Ladenbetreiber_innen, gegen die sich nach offizieller Darstellung der Behörde zu keinem Zeitpunkt Ermittlungen gerichtet hatten, mussten sich bis auf’s Letzte ausziehen und abtasten lassen. Eine Besucherin wurde zudem samt Kleinkind und Kinderwagen durchsucht. Schränke im Laden wurden inspiziert, Videoaufnahmen gefertigt und ein Polizeihund zur Absuche nach Drogen war eingesetzt worden. Erfolglos. Zudem war den Betroffenen weder vorab ein Tatvorwurf oder eine Begründung für die Maßnahmen mitgeteilt, noch im Nachhinein ein Protokoll für die Durchsuchungen ausgehändigt worden.

Für die Polizeidirektion in Dessau-Roßlau ist es nichts Neues, öffentlich in der Kritik zu stehen. Dienstaufsichtsbeschwerden und eine Klage der Betroffenen beim zuständigen Amtsgericht auf Feststellung der Rechtmäßigkeit des Einsatzes, sollten Fakten schaffen. Im Folgemonat war der Fall im Innenausschuss der Landesregierung angekommen. Polizeipräsident Willberg räumte hierbei erstmals ein, dass Teile des Einsatzes nicht rechtmäßig verliefen, und Betroffene vorschnell und unbegründet unter Verdacht gestellt worden waren.

In einer vorliegenden Stellungnahme der Direktion war die Durchsuchung der Mutter samt Kind gerechtfertigt worden, da diese als Konsumentin und Dealerin polizeibekannt sei. Die junge Frau war über diese Informationen schockiert. Später stellte sich heraus, dass derlei Eintragungen im Polizeisystem zu ihrer Person nicht existieren. Er kenne diese Stellungnahme seiner eigenen Behörde nicht, entgegnete Polizeipräsident Willberg bei einer Aussprache mit Betroffenen und Kommunal- und Landtagspolitiker_innen im April. Zwei Führungsbeamte – der Einsatzleiter vom 16. Dezember und der Chef der Kriminalpolizei des Dessau-Roßlauer Reviers – sind mittlerweile versetzt worden. Einen Zusammenhang dementierte die Behörde auf Nachfrage.

Für seine unangemessene Wortwahl habe sich ein Polizeibeamter schriftlich entschuldigt, versicherte Willberg im Innenausschuss – bei den Betroffenen ist eine solche Entschuldigung jedoch bis heute nicht angekommen. In einem Schreiben des Leitenden Oberstaatsanwaltes Bittmann an die Betreiber_innen des Tele-Cafés räumte dieser wiederum ein, dass die gemeinsame Pressemitteilung mit der Polizeidirektion nach der Razzia teilweise auf unrichtigen Informationen seitens der Polizei beruht hätte und er sich dafür entschuldige.

Zwei weitere Betroffene fassten im April den Entschluss, Dienstaufsichtsbeschwerde wegen der Polizeimaßnahmen zu stellen. Den Angaben zufolge hätten Beamt_innen sie mit der Ankündigung: »Massenkontrolle aller Afrikaner in Dessau wegen Drogen!« aufgefordert ein Restaurant zu verlassen, »sonst bekommen sie Ärger«. Unter den Augen von Passant_innen mussten sich beide ohne Strafvorhalt auf offener Straße ausziehen und letztlich erfolglos nach Drogen durchsuchen lassen. Die beiden fordern von der Behörde nun Schmerzensgeld für die rechtswidrigen Durchsuchungen. Dienstaufsichtsbeschwerden bleiben für Betroffene oft das einzige Mittel sich zu wehren – und auch das nur gelegentlich erfolgreich.

Ein anonymer Brief, bleibt in aller Regel ein anonymer Brief, dessen Absender und Glaubwürdigkeit nicht überprüfbar sind. Ein solcher, der im Nachgang beim Kreisverband der Partei »Die Grünen« einging, scheint aber ins Gesamtbild des Einsatzes zu passen. Demnach sei von »Kommando- und Gruppenführern« bereits bei der Einweisung Menschen mit dunkler Hautfarbe Grundrechte abgesprochen worden und die Einsatzkräfte angehalten worden: »mit denen könnt ihr machen was ihr wollt, (…) wir müssen was finden«, damit »die Neger wegkommen.«

Imagekampagnen sind im selbsternannten »Land der Frühaufsteher« und des »Hinguckens!« gefragt und bitter nötig. Ein Untersuchungsausschuss der Landesregierung und zahlreiche kleine und größere Polizeiskandale der letzten Jahre zeigen aber, auch der hierarchische Apparat ist nur ein Spiegelbild der Mehrheitsgesellschaft. Weltoffenheit und interkulturelle Kompetenz lassen sich nicht von oben verordnen. Als der damalige Vizechef der Polizeidirektion Hans-Christoph Glombitza im Februar 2007 engagierte Staatsschutzbeamte bei Ermittlungen gegen Rechts ausbremste und u.a. die Landeskampagne »Hingucken! – Für ein demokratisches, tolerantes Sachsen-Anhalt« mit den Worten diskreditierte: »das ist doch nur für die Galerie«, war die Empörung groß. Heute kommt man nicht umhin, zu glauben dass er recht hatte.