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Zwischen Wortergreifung und Militanz

Einleitung

Einer aktuellen Studie des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz zufolge kommen in Berlin auf 100.000 Einwohner 71 Rechtsextremisten, in Mecklenburg-Vorpommern sind es weniger nämlich genau 70.1 Trotzdem blieb das Wahlergebnis der extrem rechten Parteien in Berlin auf Landesebene erwartungsgemäß eher enttäuschend. Gerade einmal 3,5 Prozent der Wählerstimmen erlangten die Republikaner und die NPD in Berlin zusammen.

  • 1Die in der Leipziger Volkszeitung am 21. August 2006 unter Berufung auf die aktuelle Aufstellung des sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz veröffentlichten Zahlen, lassen leider die zugrunde gelegten Kriterien nicht erkennen. Insgesamt konnte die Studie 39.000 »Neonazis« in Deutschland ermitteln.
Foto: PM Cheung

Der Neonazi Timo Detlef L. beim Angriff auf einen Infostand der Linkspartei.PDS

NPD ohne Überraschungen

Einen nicht unaufwendigen Wahlkampf führte die Berliner NPD, als ein eigentlich personal- und strukturschwacher Landesverband, der noch im August in einem Schreiben seinen Mitgliedern erklärte: »eine geeignete Führungsmannschaft können wir derzeit nicht aufstellen.«1 Zuvor war der NPD-Landesvorsitzende Claus Schade ausgetreten und hatte eine eigene Splitterpartei – die National Konservative Partei (NKP) – ins Leben gerufen. Am Himmel ein Kleinflugzeug mit einem NPD-Banner, Lautsprecherwagen in den Straßen, Schulhof-CDs mit neonazistischer Musik, ein eigenes Internetportal, Wahlplakate, Fernsehspots, Kundgebungen, Infostände und öffentliche Wahlkampfveranstaltungen. Trotz dieses mit Engagement geführten Wahlkampfs waren Sitze im Berliner Abgeordnetenhaus für die NPD-Kandidaten nicht zu erwarten.

Bei der Abgeordnetenhauswahl vor fünf Jahren erreichten die Republikaner 1,3 Prozent, die NPD kam nur auf 0,9 Prozent. Und obwohl Berliner Medien den aggressivsten Wahlkampf seit Kriegsende beschworen, war am Wahlkampf der Berliner NPD nichts wirklich neu, weder die Kandidaten, noch die Themen und auch nicht die Gewalt gegen politische Gegner. Auch in vergangenen Wahlkämpfen kam es zu Übergriffen, jedoch waren hier nicht Parteimitglieder von SPD oder CDU betroffen, sondern junge Menschen aus der Antifaszene, die mediale Empörung hielt sich damals dementsprechend in Grenzen. Die NPD trat mit altbekannten Gesichtern an und ein ausgewiesener Kandidat der freien Kameradschaften fand sich diesmal nicht auf der Wahlliste.2

Zu den gewählten Kandidaten gehört Jan Sturm, ein langhaariger Biker vom Motorradclub »44er Berlin«. Die »44er« distanzierten sich postwendend und trennten sich von ihrem Vereinsmitglied. Der ebenfalls in die BVV gewählte Stadtführer Fritz Liebenow ist nicht nur NPD-Kandidat, nebenher ist er »Vorsitzender der NRPD in Gründung«. Die Neue Reformpartei Deutschlands ist »für die Wiederherstellung der Monarchie. Das Haus der Hohenzollern stellt den König von Preußen und deutschen Kaiser.«3

Ein Zweckbündnis

NPD und Republikaner hatten sich anlässlich der Berlinwahl die Stadtbezirke untereinander aufgeteilt, auf Landesebene, bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus, blieben sie jedoch (beide erfolglose) Konkurrenten.

Spitzenkandidat der nahezu nicht mehr existenten Berliner Republikaner war der Düsseldorfer Rechtsanwalt Björn Clemens. Nur einem REP-Kandidaten gelang es in die Bezirksverordnetenversammlung von Pankow einzuziehen. Zumindest auf Bezirksebene erfolgreicher war der NPD-Spitzenkandidat und Parteichef Udo Voigt, gefolgt von der DVU-Funktionärin Manuela Tönhardt (Ehefrau des DVU Landesvorsitzenden Dietmar Tönhardt) und dem Neonazi-Aktivisten Eckart Bräuniger. Der ebenfalls gewählte Liedermacher Jörg Hähnel war bereits in Frankfurt (Oder) einige Jahre Stadtverordneter, sein NPD-Mandat, welches bis Oktober 2003 gegangen wäre, legte er aber bereits im Dezember 2002 freiwillig nieder.4

Republikaner im »Endkampf«

Eine reale Chance in das Abgeordnetenhaus einzuziehen hatten auch die Republikaner nicht, zuletzt schafften sie 1989 mit 7,5 Prozent den Sprung ins Westberliner Abgeordnetenhaus. Die Partei gilt heute als nahezu handlungsunfähig und ist politisch kaum wahrzunehmen. Im aktuellen Berliner Verfassungsschutzbericht finden die Republikaner nach einem entsprechenden Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom April 2006 keine Erwähnung als rechtsextreme Partei mehr. Anlässlich der Abgeordnetenhauswahlen erhielt der Landesvorsitzende Peter Warnst Beistand vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden Björn Clemens, der mit einer grotesk pathetischen Wahlkampfstrategie auf sich aufmerksam machte. Als die Republikaner ausgerechnet im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg einen Wahlstand aufbauten, geschah dies mit der Ankündigung »Wir tragen jetzt den Straßenwahlkampf in das Zentrum von Überfremdung und Multikulti«.

Als der Stand dann erwartungsgemäß umgestoßen wurde, erklärte er nicht ohne Pathos: »Der Kampf hat begonnen und ich bin bereit ihn bis zum Ende zu führen – bis zum Einzug in die BVV Friedrichshain-Kreuzberg!« Im Verlauf des Wahlkampfs zeigte der Landesverband sowohl den Innensenator Ehrhart Körting wegen Volksverhetzung, Verleumdung und übler Nachrede, als auch den SPD-Abgeordneten Stefan Zackenfels wegen Beleidigung und Diebstahls an.4 Zuvor forderte Rechtsanwalt Clemens in einem offenen Brief den Polizeipräsidenten und den Innensenator zur Bereitstellung von Polizeischutz auf, ansonsten hätten Ehrhart Körting und Dieter Glietsch »unter dem Gesichtspunkt der Unterlassungstäterschaft« auch persönlich strafrechtlich zu haften.

Anlässlich der »Anti-Moschee«-Proteste in Pankow-Heinersdorf versuchten die Republikaner dann noch öffentlichkeitswirksam, den CDU-Rechtsaußen-Politiker René Stadtkewitz zu einem Übertritt zu bewegen. Einen sichtbaren Erfolg hatten die gezielten Provokationen der Republikaner nicht, sie blieben bei 0,9 Prozent der Stimmen. Das Wahlergebnis wird von den Republikanern selbstverständlich angefochten.

Wortergreifungsstrategie und Militanz

In diesem Jahr einigten sich alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus – SPD, CDU, Linkspartei-PDS, Grüne und FDP – auf einen gemeinsamen »Aufruf gegen Rechts«. Die Absprache von Republikanern und NPD, bei den Bezirkswahlen nicht gegeneinander anzutreten, wurde als erhebliche Gefahr gedeutet. Sogar Vergleiche mit der Weimarer Republik wurden gezogen, eine Wahrnehmung, die fortan auch die öffentliche Meinung beherrschte.

»Wenn man uns keine Plattform in den Medien stellt, wo wir unsere Ansichten kundtun dürfen, dann kommen wir eben auf ihre Plattformen!« lamentierte die NPD daraufhin auf ihrer Internetseite und erklärte, man wolle »verstärkt die Veranstaltungen der Versagerparteien nutzen«, um seine Ansichten zu verbreiten. Dank ihrer gewalttätigen Anhängerschaft schlug die Medieninszenierung jedoch ins komplette Gegenteil um: Neonazis, die zwei SPD-Plakatierer zusammenschlagen, ein attackierter Wahlstand der Linkspartei und gesprengte Veranstaltungen der SPD: Die Öffentlichkeit zeigte sich erstaunt und höchst empört über das dreiste Agieren der Berliner Neonazis.

Dabei war es immer dieselbe Gruppe von 20 bis 30 bekannten Neonazis, welcher es gelang, die öffentliche Wahrnehmung des Wahlkampfes zu prägen. Dabei traten sie geschlossen, einheitlich dunkel gekleidet auf und filmten die Besucher der anderen Parteien, ihre bloße Präsenz wirkte mitunter so einschüchternd, dass Veranstaltungen noch vor Beginn abgesagt wurden. Unter den Störern fanden sich neben den Resten der Berliner Kameradschaftsszene auch NPD-Funktionäre wie Jörg Hähnel. Der Berliner Innensenator kündigte daraufhin an, prüfen zu lassen, ob die Neonazis gegen das Uniformierungsverbot verstoßen hätten und ob die verbotene Kameradschaft BASO noch aktiv sei.

Deren Mitbegründer und ehemaliger Pressesprecher der Berliner NPD René Bethage beteiligte sich am 25. August 2006 an einem Überfall von etwa zehn Neonazis auf einen antifaschistischen Infostand der Linkspartei in Berlin-Rudow. Die Standbetreuer wurden mit Leuchtmunition beschossen und ein Fotograf mit einer Flasche attackiert. Die Neonazis Bethage und Sebastian Kr. ließen sich bei dieser Gelegenheit von der anwesenden Presse mit Reizgas beziehungsweise einem Schlagstock fotografieren.

Zwei Tage später wurde beim Rudower Spinnefest der SPD provokativ ein NPD-Stand aufgebaut und ein Transparent »PDS und Presse lügen« entrollt. Etwa 25 Neonazis, darunter die Angreifer um Bethage – überwiegend im »Black Block«-Stil bekleidet – versuchten das Fest zu dominieren und filmten den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit genauso wie den Innensenator Körting. Unterstützung erhielten sie dabei von NPD-Kandidaten wie Eckart Bräuniger und Mandy Schmidt.

Anfang September verhaftete die Polizei den Neonazi Timo Detlef L., der bereits im Juli 2006 an einem rassistischen Überfall beteiligt gewesen war, bei dem ein 15jähriger Äthiopier schwere Kopfverletzungen erlitten hatte. Der Haftbefehl gegen den 21jährigen war unter der Bedingung ausgesetzt worden, dass er sich künftig von der rechtsextremen Szene fern hält. Sein Porträtfoto auf dem Titelbild des Berliner Kurier beim Angriff auf die Linkspartei dürfte dem nicht entsprochen haben. Als die CDU kurze Zeit später in Rudow ebenfalls von Neonazis bedrängt wurde, wurde ein weiterer Angreifer wiedererkannt und vorläufig festgenommen.

Juristische Kleinkriege

Begeistert dürfte Jörg Hähnel nicht gewesen sein, als er Post vom Landgericht bekam. Dieses hatte in einem Eilverfahren die Verbreitung einer Wahlzeitung der NPD verboten und bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro verhängt. Auf dem Titelbild war das Foto eines Anti-Hartz-IV-Demonstranten abgebildet. Dieser hatte erfolgreich dagegen geklagt. Sein Anwalt erklärte dazu: »der Antragsteller ist überzeugter Antifaschist und steht im unversöhnlichen Gegensatz zu deren rassistischer Hetze«.

Der Wahlkampf der NPD in der Hauptstadt zeichne sich durch Behinderungen von Seiten der Behörden und der Gerichte aus, beklagte sich die Partei nicht ohne Grund. Sie hatte bei allen zwölf Bezirksämtern die Überlassung von städtischen Räumlichkeiten beantragt, doch nur in den Bezirken Tempelhof und Schöneberg konnten Versammlungen durchgeführt werden. Klagen bei den in solchen Fällen zuständigen Zivilgerichten blieben erfolglos, bei diesen Gerichten gelte das Bürgerliche Gesetzbuch und kein öffentliches Recht.
Auch Klagen gegen die ablehnende Haltung der Bezirksämter Treptow-Köpenick, Friedrichshain-Kreuzberg und Reinickendorf beim Verwaltungsgericht blieben erfolglos, da die NPD angegeben hätte, keine Mietverträge abschließen zu wollen.

Die Bezirksämter für Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg beschlossen vorab, prinzipiell keine Wahlveranstaltungen in bezirkseigenen Räumen stattfinden zu lassen. Selbst der geplante NPD-Wahlkampfabschluss am 15. September 2006 im Ernst-Reuter-Saal des Rathaus Reinickendorf mit Udo Voigt, Eckart Bräuniger und dem Mitarbeiter der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Andreas Storr, scheiterte am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg: Keine Partei dürfe in den letzten zwei Wahlkampfwochen die Räume des Rathauses für öffentliche Veranstaltungen nutzen, hieß es dort.

Fazit

Der Nichteinzug der NPD ins Abgeordnetenhaus ist kein Signal zur Entwarnung. Mit dieser Option hatte niemand ernsthaft gerechnet und er war auch nicht das wirkliche Ziel der NPD. Vielmehr dürfte die NPD nach dem Einzug in die verschiedenen BVVs primär das Ziel verfolgen, einen wirklichen Landesverband aufzubauen und ihre Personaldecke zu festigen. Ihren eigenen Angaben nach kommt Berlin eine Schlüsselposition beim Kampf um die Parlamente zu.

Entscheidend wird sein, ob es der NPD gelingen wird, sich auf Bezirksebene als oppositionelle Kraft zu beweisen und neue Mitglieder zu gewinnen. Für AntifaschistInnen sollte sich an dieser Stelle die Frage nach einer neuen Strategie stellen. Da sich bisher an den wenigen Kadern abgearbeitet wurde, wurde das jugendkulturelle Milieu, aus dem sich die Klientel von Kameradschaften und NPD in Berlin hauptsächlich speist, eher vernachlässigt. In Berlin haben wir es nicht mit einer straff geführten Kaderpartei zu tun, sondern vielmehr mit einer Jugendbewegung, für die politische Inhalte kaum eine Rolle spielen.

Vielmehr geht es um Lifestyle und Protest. Dies zeigt sich vor allem daran, dass es kaum NPD-Wahlkampfinhalte gab, die eine Verbindung zu Jugendlichen hatten. Vielmehr scheint sich in vielen Ostberliner Kiezen ein Lebensgefühl eingestellt zu haben, das eindeutig extrem rechts ist, ohne sich selbst jedoch als ein solches zu begreifen. In dieser Lebenswelt spielen maximal noch ideologische Fragmente wie Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus eine Rolle. Wichtiger ist vielmehr die Verknüpfung dieser Elemente mit einer Erlebniswelt und dem entsprechenden Lifestyle. So ist die NPD in diesen Bezirken maximal Ausdruck und Nutznießer dieser Stimmung,  keinesfalls aber Initiator. Mit den entsprechenden Mitteln und Optionen, die der Partei durch den Wahlerfolg zustehen, werden sie versuchen, diese Alltagskultur zu stärken und auf Dauer mit der Partei zu verbinden.
 

  • 1NPD-Landesverband Berlin, An alle Mitglieder des NPD-KV Berlin 5, Stella Palau i.A. des Landesvorstandes Berlin, 7. August 2006.
  • 2Mit der Arzthelferin Michaela Zanker war jedoch eine führende Aktivistin der neonazistischen Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF) für die NPD ins Rennen geschickt worden.
  • 3www.nrpd.de /4466.html
  • 4 a b Amtsblatt für die Stadt Frankfurt (Oder), Jahrgang 14, Nr. 2