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Zwischen Konkurrenz und Zweckbündnissen

Einleitung

In Berlin / Brandenburg existieren eine ganze Reihe von rechten bis neonazistischen Parteien, Vereinen, Bünden, Kameradschaften und anderen Organisationen. Gerade in den letzten Jahren tauchen geradezu inflationär neue Gruppenbezeichnungen und Zusammenschlüsse auf, die oft so schnell wieder verschwinden wie sie aufgetaucht sind. Diese Entwicklung macht eine neue Tendenz im Bereich neonazistischer Organisierung in der Region Berlin/Brandenburg deutlich: Nicht Organisationen und deren Strategie bestimmen das Auftreten in der Öffentlichkeit und die politischen Schwerpunkte, sondern ein Personenkreis von politischen aktiven Kadern. Deren jeweiligen Interessen, Streitereien, Vorlieben und Lebenssituation prägen die Neonazi-Szene in Berlin/Brandenburg.

Björn W. (4. Reihe, rechts) und Daniel M. (3. Reihe, rechts) demonstrieren 2004 auf dem Rudolf Heß-Marsch in Wunsiedel hinter einem Transparent der Berliner »Kameradschaft Tor«

Wer sich einen Überblick über die diversen rechtsextremistischen Organisationen verschaffen will, bemerkt bald die gnadenlose Zersplitterung, oft sogar feindselige Konkurrenz, der verschiedenen Fraktionen. Diese wird in der Öffentlichkeit meist nur pro Forma durch gelegentliche Absprachen und Zweckbündnisse überdeckt. Auf der anderen Seite werden formale Abgrenzungsbeschlüsse und Ablehnungsbekundungen zwischen verfeindeten Gruppen durch persönliche Freundschaften und Bekanntschaften der Mitglieder und Aktivisten unterlaufen.

Die NPD

Die rechtsextreme Parteien verliert nach wie vor an Mitgliedern. Verantwortlich dafür dürften hier insbesondere andauernde innerparteiliche Streitigkeiten sein. Eine zunehmende strukturelle Schwächung ist nicht zu übersehen. Gerade die NPD hat sich von der Spaltung eines gemeinsamen Landesverbandes Berlin/Brandenburg in zwei getrennte Landesverbände im April 2003 noch nicht erholt. Als Trennungsgrund wurden nach außen hin die »unterschiedlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in beiden Bundesländern« angegeben. Intern dürfte je­doch auch hier eine Mischung aus privaten Animositäten und politischen Differenzen ausschlaggebend gewesen sein. Vorsitzender der Brandenburger NPD wurde der Brandenburger Mario Schulz. Im Berliner Landesverband übernahm Albrecht Reither die Führung. Allein die beiden Vorsitzenden der neuen Landesverbände warfen ihren Posten nach einigen Monaten wieder hin. Mario Schulz aus politischen Gründen (siehe AIB 62, »Die NPD in der Krise«) und Albrecht Reither aus »beruflichen und gesundheitlichen Gründen«.

Nun führt in Brandenburg der zugezogene Klaus Beier die NPD und in Berlin rückte Georg Wilhelm Magnus nach. Doch das Personalkarussell drehte sich weiter und aktuell tritt Claus Schade als Landesvorsitzender auf. Im Berliner Landesverband ist nach der Trennung zunehmend eine neonazistische und aktionistischere Ausrichtung einzelner Partei-Aktivisten zu beobachten. So organisierte der NPD-Kreisvorsitzende von Treptow/Köpenick Eckart Bräuniger im Juni ein Konzert mit »Spreegeschwader« und dem Landser-Sänger Michael Regener auf dem Gelände von Albrecht Reither in Lichtenberg. Im Internet verkündete er: »Das ist u.a. die Art von Parteiarbeit, wie wir sie in der Reichshauptstadt praktizieren.« Der Liedermacher und NPD-Funktionär Jörg Hähnel hat sich nach seinem Zuzug aus Brandenburg zu einem der rührigsten NPD-Funktionäre der Region entwickelt. In seiner Heimatstadt Frankfurt/O. ließ er hierfür allerdings sein NPD-Mandat als Stadtverordneter un­ge­nutzt zurück. In Berlin zeigt er keinerlei Berührungsängste gegenüber Personen aus dem Kameradschafts-Spektrum. Diesem Personenkreis stehen im Landesverband jedoch auch langgediente NPD-Parteisoldaten gegenüber, so dass eine geschlossene Radikalisierung weniger wahrscheinlich erscheint, als dauerhafte parteiinterne Auseinandersetzungen.

Insgesamt lässt sich daher feststellen, dass vom Berliner Landesverband kaum noch Impulse ausgehen. Dies dürfte mit dem Austritt von Rene Bethage im September 2003 zu tun haben. Einer Zeitung erklärte er zu seinem Schritt: »Die NPD hat den Fehler gemacht, alles von oben nach unten durchzudrücken. Aber wenn man keine funktionierende Basis hat, klappt es eben nicht.« Seine »Basis«, das sind nun Jugendliche aus Treptow mit denen er die »Berliner Alternative Süd-Ost« gründete (s.u.). Bethage war der »Demonstrations-Motor« der Berliner NPD. Mit seinem Übertritt in die Berliner Kameradschafts-Szene (s.u.) ist dank ihm dort eine deutliche Zunahme von öffentlichkeitswirksamen Auftritten zu verzeichnen. Die wenigen öffentlichkeitswirksame Aktionen der NPD in Berlin werden meist von den Funktionären der NPD-Bundeszentrale in Köpenick und einer Hand voll Aktivisten der Berliner Kreisverbände getragen.

Die Kameradschaftsszene

Für den Bereich der Kameradschaftsszene zeichnet sich ein deutlicher Zulauf ab. Ein Grund hierfür sind die zunehmenden Aktivitäten und die neue Dynamik der Berliner Kameradschaften sein. Nach Jahren der Stagnation tritt die Berliner Kameradschaftsszene wieder durch eigenständige und öffentlichkeitswirksame Aktio­nen in Erscheinung. Die alte Kameradschaftsstruktur um Oliver Schwei­gert in Berlin und Gordon Reinholz in Brandenburg unter dem Label »Aktionsbüro Mitteldeutschland – Nationaler Widerstand Berlin/Brandenburg« hat durch die hyperaktiven Zusammenschlüsse um die »Kameradschaft Tor« aus Lichtenberg und die »Autonomen Nationalisten Berlin« in Berlin und den Märkischen Heimatschutz in Brandenburg einen neuen Aufschwung bekommen. Hinzu kamen eine Reihe von Neugründungen.

Vor allem die »Berliner Alternative Süd-Ost« brachte eine neue Dynamik in die Szene. Treibende Kraft der »Berliner Alternative Süd-Ost« dürfte der ehemalige NPD-Vorsitzende des Kreisverbandes Treptow-Köpenick, Rene Bethage, sein. Die Gruppe von etwa 15 Jugendlichen aus dem Bezirk versucht aktuell an ein eigenes Jugendzentrum zu gelangen. Mittlerweile hat sich das Projekt zu einer Kampagne der gesamten Kameradschafts-Szene mit wiederholten Kundgebungen und symbolischen Hausbesetzungen entwickelt. Hauptakteur auf der Strasse ist neben der BASO vor allem das 2002 von Berliner Kameradschaftsaktivisten gegründete Projekt der »Autonomen Nationalisten Berlin« (ANB). Die ANB führt in der Öffentlichkeit vor allem einen eher lächerlichen Etikettaufkleber-Kleinkrieg im Nordosten von Berlin.

Intern hat sich die ANB zusammen mit der Kameradschaft Tor um Björn W. dem Kampf gegen die »Antifa« verschrieben und propagieren verbalradikal ein gewaltsames Vorgehen gegen politische Gegner. Nicht zu trennen ist die Berliner Kameradschaftsszene von den Brandenburger Aktivisten des MHS um Gordon Reinholz, die bei fast jeder Berliner Kameradschaftsaktion präsent sind. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich im Berlin-Brandenburger-Kameradschaftsmilieu ein Personenkreis als Führungsszene herauszubilden scheint, der zunehmend bündnisfähig und handlungsfähig ist. Wie lange dieser Prozess jedoch an­dau­­ern wird, ohne dass es zu den üblichen Machtkämpfen, Szene-Austritten und Streitereien kommt, bleibt abzuwarten. Auch ob das Abkupfern linker Symbole, Aktionsformen und autonomer Politik durch die führenden Aktivisten der Kameradschaften dauerhaft ohne Konflikte mit der durch Rechtsrock und Naziskinheadkult geprägten Basis verläuft ist fraglich.

Fazit

Trotz der ständigen Umbrüche und unzähligen Konflikte existiert in Berlin nach wie vor eine aktive und handlungsfähige Neonazi-Szene mit wachsendem Potential. Gruppen und Personen die von der politischen Bildfläche verschwinden, werden durch neue ersetzt. Andere die dabei bleiben treffen auf eine Reihe von Funktionären und Aktivisten, welche z.T. schon seit Jahrzehnten in der Szene agieren, ohne sich dabei ständig in der Öffentlichkeit in den Vordergrund drängeln zu müssen. Die Szene ist in der Lage sich selbst ständig neu zu reproduzieren und Verluste und Rückschläge auszugleichen. In der Lage relevanten gesellschaftlichen Einfluss auszuüben ist sie nicht.