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Zur AusländerInnenpolitik des Westberliner Senats

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1202-010 / Settnik, Bernd / CC-BY-SA 3.0

Der SPD-Bürgermeister Walter Momper diskutiert vor seinem Wahllokal in Berlin-Kreuzberg mit DemonstrantInnen für das kommunale Ausländerwahlrecht.

Rot-Grüner "Fortschritt" im Rückwärtsgang

Eine neue Linie in der Ausländer und Flüchtlingspolitik wollte der SPD/AL Senat1 nach der Wahl im  Januar in Westberlin durchsetzen. Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen diente als Grundlage für eine Dienstanweisung vom 20. Juni 1989 an die Ausländerbehörde. Darin wurde die aufenthaltsrechtliche Situation von ehemaligen AsylantragstellerInnen und von AusländerInnen ohne Rückkehrmöglichkeiten geregelt. Diese Weisung versprach einem Teil der Flüchtlinge eine gewisse Lebensperspektive und eine Verbesserung ihrer katastrophalen Lebenssituation. Sie blieb allerdings weit hinter den Versprechungen der AL nach generellem Bleiberecht bzw. Abschiebestopp zurück. Zweifellos aber war diese Neuregelung ein Fortschritt gegenüber der Praxis des alten CDU/FDP-Senats, dessen Politik von Abschiebung und Schikane geprägt war. Ab jetzt sollten AusländerInnen aus dem Iran, Libanon, Afghanistan, Äthiopien und Sri Lanka sowie KurdInnen und PalästinenserInnen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Ebenso sollte den Frauen, die wegen ihres Geschlechts im Herkunftsland verfolgt waren, der Aufenthalt gesichert werden.

Nach Bekanntwerden der Weisung überschlugen sich die rechten Parteien mit ihrer Hetzpropaganda. Die „Republikaner“ (REPs) und die CDU begannen Unterschriftensammlungen für ein Volksbegehren für Neuwahlen. Das CDU- Konstrukt "Mekka für Straftäter in Westberlin" griffen Teile der Medien in groß aufgemachten Schlagzeilen begierig auf. Ekkehard Wruck, der ausländerpolitische Sprecher der CDU rief die Behörde zum Boykott der Weisung auf. Die SPD machte sogleich einen Rückzieher. Walter Momper (SPD) versprach eine Kurzlebigkeit der Weisung, da der angekündigte neue Ausländererlass diese Regelung hinfällig werden lässt. Mit dieser angeheizten Stimmung im Rücken ging die Ausländerbehörde in die Offensive. In zwei Schreiben an die Senatsinnenverwaltung warnte sie vor "Ausländerfluten" und drängte zu Verschärfungen und Einschränkungen. Das daraufhin stattfindende Gespräch zwischen Behörde und Senatsinnenverwaltung hatte als Ergebnis interne Anweisungen, die die aktuelle Regelung außer Kraft setzten. Anstatt sich der Behörde entgegenzustellen und die Einmischung in politische  Kompetenzen zurückzuweisen, wurden ihre "Anregungen" bereitwillig aufgenommen.

Daraufhin hagelte es Abschiebungsandrohungen und Ausreiseaufforderungen an Flüchtlinge aus allen Ländern, die im Vertrauen auf den SPD/ AL Senat ihre Asylanträge zurückgenommen haben. Schutz vor Abschiebungen versprach Staatssekretär Detlef Borrmann (SPD), der jeder Abschiebung persönlich zustimmt. Aus dem Recht auf Aufenthalt wurde die Möglichkeit der Gnadengewährung eines Staatssekretärs. Der Koalitionspartner AL erfuhr anfangs nur inoffiziell von der Entwertung der Flüchtlingsweisung. Aber statt die daraufhin einsetzenden Protestaktionen von Flüchtlingsinitiativen und Rechtsanwälten zu unterstützen, wurde von der AL versucht jegliches öffentliches Interesse abzuwürgen. Falschmeldungen und verfrühte Entwarnungen hatten insgesamt demobilisierenden Charakter. Fast alle Beratungsstellen und auch viele Flüchtlinge, hatten Vertrauen in die Scheinverhandlungen zwischen AL und SPD. Diese Beschwichtigungsversuche hatten den Effekt, das sich die meisten abwartend verhielten.

Jedoch bildete sich ein Bündnis von Einzelpersonen, Beratungsstellen und Rechtsanwälten, die erkannten, das es notwendig ist, sich außerhalb der AL zu organisieren. In verschiedenen Aktionen versuchte das Bündnis auf die Machenschaften um die Weisung aufmerksam zu machen. Als die endgültige Bruchlandung der Weisung nicht mehr zu verheimlichen war, drang kein Wörtchen der Selbstkritik, geschweige denn ein Überdenken der letzten Zeit in die Öffentlichkeit. Die AL scheute sich noch nicht mal ein Flugblatt in Umlauf zu geben, in dem Westberlin als Stadt der offenen Grenzen gepriesen wird in der außereuropäischen Flüchtlinge Schutz vor Verfolgung und Not hätten. Ganz zur Farce und Bankrotterklärung wurde der AL-Aufruf, indem die Beratungsstellen angehalten werden, Flüchtlinge zur Ausländerbehörde zu begleiten, um sie dort vor den üblen Praktiken zu schützen. Nun soll auf dem Rücken der Beratungsstellen eine verfehlte Politik ausgetragen werden.

Der Basis wird der Rückschritt in der Flüchtlingspolitik, der Bruch mit dem Koalitionvereinbarungen, dem Abweichen von Standpunkten und früheren Forderungen als Notwendigkeit für den Erhalt der Koalition verkauft. Für die SPD ist es nun ein leichtes ihre eigene Politik durchzuziehen. Das zeigt sich an dem von der SPD ausgearbeiteten Ausländererlass, der der AL als fertiger Entwurf präsentiert wurde. Am 7. Dezember 1989 wurde von Erich Pätzold (SPD) eigenmächtig eine neue Flüchtlingsweisung in Kraft gesetzt, die dem neuen Ausländererlass entnommen ist. In dieser Regelung sind eine Menge Verschärfungen enthalten. Nicht aus dem Libanon stammende PalästinenserInnen haben kein Aufenthaltsrecht mehr. Sri Lanka: Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis beschränkt sich nur noch auf TamilInnen. KurdInnen aus der Türkei und Syrien müssen jetzt eine individuelle Verfolgung nachweisen; also belegen, das speziell sie bei Bombardements ermordet werden sollten. Frauen müssen ihre geschlechtsspezifische Verfolgung wieder im einzelnen darlegen, können sich allerdings bei der Ausländerbehörde durch eine Frau ihres Vertrauens vertreten lassen. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wurde an einen bestimmten Zweck gebunden; d.h. wenn die Senatsinnenverwaltung befindet, das der Abschiebestopp in ein Land hinfällig ist, wird die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt bzw. nicht verlängert. Die Leute werden dann abgeschoben.

Die Bilanz nach acht Monaten rot-grüner AusländerInnenpolitik ist niederschmetternd. Der Ausländerbehörde wird weiterhin freie Hand gelassen, der Abschiebeknast ist wieder voll belegt, die „Arbeitsgruppe gezielte Ausländerüberwachung“ („AGA“)2 schnüffelt weiterhin in Ehebetten rum, das Wahlrecht für EmigrantInnen verschwand ebenso wie das Antirassismus-Ressort in der Versenkung. Die allgemeine Konzentration auf die "Deutschlanddiskussion" und die damit verbundene nationalistische Stimmung wird vom AL/SPD Senat ausgenützt, um drastische Maßnahmen gegen die hier lebenden EmigrantInnen und Flüchtlinge zu ergreifen. Während auf der einen Seite die Reisefreiheit von DDR Bürgern bejubelt wird, werden auf der anderen Seite die Mauern für Flüchtlinge immer höher gezogen, werden sie mittels Gesetze und Hetze weiter ausgegrenzt, wird ihnen unmissverständlich klargemacht, da sie den Platz für die „Blutgruppe Deutsch“ zu räumen haben.

  • 1Am 16. März 1989 löste der von der SPD und der Alternativen Liste (AL) gebildete Senat unter Führung des Bürgermeisters Walter Momper (SPD) die CDU-FDP-Koalition ab.
  • 2Der Grundstein dieser polizeilichen Sondereinheit zur „Bearbeitung von Ausländerangelegenheiten“ wurde 1971 in der damaligen Polizeiinspektion Wedding mit drei Beamten gelegt. Schnell wurde das Modell auch auf die anderen Berliner Bezirke ausgedehnt und 1979 schließlich ein eigener Ermittlungstrupp mit Koordinierungsfunktion bei der Landespolizeidirektion eingerichtet. Vgl. Kleine Anfrage Nr. 1489 der ALTERNATIVEN LISTE v. 19.2.1986