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Zehn Jahre – (k)ein Grund zum Feiern

Einleitung

Seit zehn Jahren erscheint das Antifaschistische Infoblatt und seit zehn Jahren wachsen auch die Gründe dafür. Die Formierungsversuche des Neofaschismus und die Ausbreitung des Rassismus mit einer breiten Basisbewegung zu bekämpfen, bevor sie Fuß gefasst haben, konnte uns nicht gelingen. Gegen den Rechtsruck von Regierenden und Meinungsmachern, gegen die Profitsucht der Konzerne waren wir zu wenige - das ist kein Grund zum Feiern. Große Erfolge sind selten geworden, aber beharrlich bleibt die antifaschistische Bewegung Stachel im Fleisch, unbequem und laut, streitbar und lebensfroh. Während viele resignieren, gibt es sie immer noch, die Bunten, die Quertreiber, diejenigen, die sich nicht dem Zeitgeist anpassen wollen - das ist ein Grund zum Feiern.

Wir repräsentieren zwar nicht die gesamte antifaschistische Bewegung, doch es gibt viele, denen wir uns verbunden fühlen. Ob sie innerhalb der Gewerkschaften arbeiten, den Kirchen, bürgerlichen Parteien, linken Parteien und Gruppen, autonomen Zusammenhängen oder für einen revolutionären Antifaschismus streiten: Wir meinen, daß wir noch zu wenige sind, die den Kampf führen, und daß wir immer wieder Wege suchen müssen, uns zu verständigen, um zusammen Widerstand zu leisten.

Ganz besonders am Herzen liegt uns an dieser Stelle einen Gruß an unsere Schwester in Kiel, die Antifaschistische Zeitung ATZE, zu senden, die mittlerweile mit der Antifaschistischen Zeitung aus Lübeck zur »Enough is Enough« fusioniert hat. Die ATZE und wir haben das gleiche Alter und sehr viel gemeinsam, unter anderem die Entwicklung der internationalen Antifa-Arbeit, die die Kieler GenossInnen beispielhaft mit den dänischen Antifas aufgebaut haben.

Ein Schwerpunkt des AIB liegt seit seinem Bestehen auf der Untersuchung von neonazistischen bis hin zu extrem-konservativen Organisationen, deren Protagonisten und ihrem Gedankengut. Die genaue Betrachtung halten wir für so wichtig, daß wir ihr viel Raum in der Zeitung einräumen. Die von den AutorInnen aufbereiteten Informationen sollen antifaschistische Initiativen unterstützen und Fakten zur Einschätzung der realen Situation beisteuern. Fakten zählen noch immer zu den stärksten Argumenten einer Bewegung, unerläßlich für die Überzeugungsarbeit und ihre Glaubwürdigkeit.

Bei kaum einem anderen gesellschaftlichen Thema liegen Lächerlichkeit und Schrecken so eng beieinander, wie beim sogenannten Rechtsextremismus. Wie schon die Linken in der Weimarer Republik sich über die reinrassigen blonden kerngesunden Deutschen Hitler und Goebbels oder die tölpelhafte Pompösität des dicken Görings amüsieren konnten, so könnten wir das heute auch tun. Hin und wieder tun wir das auch, nur sind wir heute um eine Erfahrung klüger: Große Lächerlichkeit bringt beizeiten durchaus großen Schrecken hervor. Neofaschismus und Neokonservatismus sind heute genausowenig logisch wie es ihre Vorgänger waren; es ist eine Zumutung der besonderen Art, sich durch Bände von Neonazi-Publikationen und Unterlagen über extrem rechte Organisationen durchzukämpfen, zu versuchen, den dort fabrizierten Schwachsinn nachzuvollziehen, zu ergründen, wo deren gesellschaftliche Relevanz liegt, die offensichtlich vorhanden ist.

Bei unseren Reportagen betreten wir oft Neuland, behandeln Themen, die noch nicht behandelt worden sind. Dazu verwenden wir selbstverständlich viele Quellen. Diese Arbeit ist wie das Zusammensetzen eines Puzzles, das sich fortlaufend verändert, denn viele Faktoren sind notwendig für das Eintreten oder Ausbleiben einer gesellschaftlichen Entwicklung. Sei es nun die aktuelle Politik der Herrschenden, deren Schürung des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit, die Funktionalisierung der extremen Rechten, polizeiliches Vorgehen oder Gewährenlassen neonazistischer Organisationen, die Entwicklung der sozialen Situation, die Befindlichkeit der Bevölkerung, das soziale Umfeld, in dem Immigrantinnen und Flüchtlinge leben, bzw. isoliert werden und nicht zuletzt das soziale Umfeld der Rechten, deren innere Struktur, ihre Konkurrenzen oder Bindungen untereinander oder auch die Stärke einer antifaschistischen Bewegung vor Ort.

Das Thema ist nur sachlich abzuhandeln, wenn es im politischen, wirtschaftlichen, sozialen und nicht zuletzt im massenpsychologischen Kontext eingebettet ist. Als antifaschistische Bewegung können wir heute nur wenige dieser Faktoren direkt beeinflussen. Als wir die Herausgabe des Antifaschistischen Infoblattes starteten, waren wir der festen Überzeugung, daß es uns gelingen würde, die Rechtsentwicklung mit einer starken Basisbewegung zu stoppen. Nur die wenigsten hätten sich damals eine Welt vorstellen können, wie sie heute ist. Spätestens nach den Pogromen 1991/1992, der unverfrorenen Schürung des Rassismus und Förderung des Neofaschismus durch die Regierenden in diesem Land wurde die Schwäche der fortschrittlichen Kräfte in dieser Gesellschaft offenkundig, diese Entwicklung aus eigener Kraft stoppen zu können.

Wir mußten feststellen, daß zwar ein großer Teil der PolitikerInnen und der Bevölkerung in diesem Land nicht unbedingt Abneigung gegen die Inhalte der extremen Rechten hat, aber um so panischer reagiert, wenn sie mit dem Etikett des Neofaschismus in Verbindung gebracht werden. Gemeinden, in denen rassistische Ausschreitungen stattfanden, waren und sind nicht über die Tatsache an sich entsetzt, sondern von der Angst getrieben, daß Investoren oder Touristen ausbleiben könnten. Zahlreiche PolitikerInnen hatten und haben keine inhaltlichen Schwierigkeiten mit ihren Freunden von Rechtsaußen, aber Angst vor Öffent lichkeit, die ihr Zusammenwirken mit ausgewiesenen Neonazis anprangert.

So bestand ein Teil unseres Bestrebens darin, herauszuarbeiten, wer eigentlich in die extreme Rechte eingebunden ist und mit diesen Informationen ein Störfeuer zu entfachen. Eine Zeit lang genügte es immer wieder, einen der zahlreichen neonazistischen Funktionäre der Republikaner zu enttarnen und genüßlich auf die nächste Spaltung zu warten. Auch zur Demaskierung der »Neuen Rechte« konnten wir unseren Teil beitragen, um so auf ihrem Weg zu breiter gesellschaftlicher Akzeptanz Hindernisse aufzubauen und ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Soweit, so gut. Es bleibt wichtig diese Tabuzonen aufrecht zu halten. Deutlich sind aber auch die Grenzen dieser Politik. Uns war von vornherein klar, daß wir durch sie nur Zeit gewinnen können, den Formierungsprozeß der extremen Rechten so lange wie möglich aufzuhalten, eine reine Anti-Nazi-Bewegung ohne weitergehendes politisches Selbstverständnis wird diesen Kampf nicht gewinnen können.

Deutschland ist ein rassistisches Land, seine Regierungen, ob SPD, CDU/CSU oder FDP, ihre Gesetze und ein großer Teil seiner Bevölkerung. Fortschrittliche Kräfte sind in der absoluten Minderheit. Antworten auf die soziale Situation haben weder die Regierenden, noch die Linke; Bedingungen, die für die weitere Entwicklung der extremen Rechte sprechen. Die Herrschenden verunstalten dieses Land immer weiter. Die SPD versucht, die nächsten Wahlen an den Stammtischen zu gewinnen. Ihr machthungriger Populist Gerhard Schröder schürt den Rassismus unter dem Siegel der Inneren Sicherheit. Sein Hamburger Kollege Voscherau vertritt Positionen, die vor acht Jahren die Republikaner vertreten haben. Sie bereiten damit weiter den Boden für eine starke Rechte, die sie vorgeben verhindern zu wollen, indem sie daran arbeiten, den Konsens der Gesellschaft weiter nach rechts zu schieben.

Unter anderem das Konstrukt »Ausländerkriminalität« muß dafür herhalten, obwohl genug Zahlenmaterial beweist, daß von MigrantInnen nicht überproportional viel Kriminalität ausgeht und obwohl es klar ist, das Kriminalität in einer Gesellschaft, in der eine wachsende Anzahl von Menschen an den sozialen Rand gedrängt werden, selbstverständlich und allgemein steigt. Der Weg vom fortschrittlichsten Asylgesetz der Welt, das 1993 abgeschafft wurde, bis zum neuen Asylbewerberleistungsgesetz von 1997 ist zeitlich betrachtet kurz, ansonsten liegen Welten dazwischen. Diese Herrschenden sind eben keinen Deut besser, als die Herrschenden im Mittelalter, etwa die russischen Zaren oder deutschen Fürsten, die dann wenn sie in Bedrängnis gerieten, ein Pogrom an den JüdInnen anzettelten. Sie sind weder willens noch in der Lage, die Verhältnisse zum besseren zu wenden. Sie wollen mächtig bleiben, deshalb schüren sie Rassismus, deshalb brauchen sie hin und wieder - mal mehr mal weniger - Faschisten als Hilfstruppen.

Wie einfach es ist, wenn denn der politische Wille vorhanden ist, Neonazi-Aufmärsche zu stoppen, wurde am Todestag des Hitler Stellvertreters Rudolf Heß in diesem Jahr deutlich. Also können wir heute klarer sehen: Vorher war der politische Wille nicht da, oder andersrum gesagt, es war der politsche Wille vorhanden, die Neonazis zu stärken. Um gegen die Rechtsenwicklung zu kämpfen, brauchen wir einen langen Atem. Fertige Konzepte gibt es nicht, viel muß ausprobiert, Neues erdacht werden. Das ist eine der Hauptschwierigkeiten der fortschrittlichen Bewegungen und gleichzeitig eine der größten Herausforderungen. Dazu ist Kommunkation notwendig, Kommunikation in einer Gesellschaft und in der Linken, in der die Menschen so unterschiedlichen Bedingungen ausgesetzt sind, daß sich die Entwicklung gemeinsamer Ziele und Wege schwierig gestaltet.

Als antifaschistischen Bewegung können wir dazu einiges beitragen. Unser Feind ist sichtbar und er macht vor keinem von uns halt, wenn wir ihn gewähren lassen. Wie schon der Pastor Martin Niemöller, den die Nazis ins KZ sperrten, gesagt hat:  »Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich nicht protestiert; ich war kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestierte.«

Einerseits bleibt es unerläßlich. Bündnispartnerinnen im Kampf gegen Rassismus und Faschismus zu gewinnen. Auch Menschen, zu denen von Seiten der radikalen Linken Widersprüche bestehen mögen, wie zu Gewerkschaften und zu Kirchenkreisen, die genauso ins Visier der Neonazis geraten, wie die Flüchtlinge, die sie beschützen. Jede Seite muß bereit sein, über den eigenen Schatten zu springen und die Gegenüber erstmal unbefangen kennenzulernen und wahrzunehmen. Doch unserer Ansicht nach ist unsere Aufgabe mehr als reine Abwehr. Wir sind der Meinung, daß dieses System an sich der Fehler ist und Herrschende immer wieder zu Mitteln wie Pogromen greifen werden, solange sie die Macht dazu haben.

Doch eine verändernde Bewegung will aufgebaut sein, sie entsteht nicht von heute auf morgen. Deshalb sollten wir für die Entwicklung einer politischen, sozialen und kulturellen Bewegung arbeiten, die neue Basisstrukturen schafft und in der Lage ist, die vielen Menschen, die mit der jetzigen Situation aus ähnlichen Gründen wie wir nicht einverstanden sind, anzusprechen. Das kann heute keine vorrangig revolutionäre Bewegung sein, sondern eine äußerst bunte außerparlamentarische Bewegung, die vor allem eins zum Ziel haben sollte: Erst wenn erfahrbar wird, daß Widerstand möglich ist und sich eine neue Bewegung der Solidarität gegen soziale Kälte und Vereinzelung entwickelt, werden Meilensteine im Kampf gegen Rassismus Faschismus und herrschendes Unrecht gesetzt.

Heute ist nicht aller Tage, wir kommen wieder, keine Frage!