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Wie umgehen mit AgAG? Jugendprojekte Vernetzung in Rostock

Einleitung

In den vergangenen Jahren haben sich Antifa-Gruppen immer wieder gefragt, ob es nicht auch sinnvoll und notwendig ist, die Arbeit in Jugendfreizeitstätten mit rechtsorientierten Jugendlichen kritisch zu beeinflussen. Im folgenden Beitrag möchten wir die sich im Rahmen einer Projektevernetzung ergebenen Eingriffsmöglichkeiten aufzeigen. Nach der Einführung des bundesweiten »Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt« (AgAG) im Jahr 1992, entstand in Rostock das AgAG1 -Projekteplenum. Die Entwicklung einer sich an demokratischen Grundsätzen orientierenden Jugendprojektelandschaft war in Rostock wesentlich mit der Umsetzung des heiß diskutierten AgAG-Programms verbunden.

  • 1"Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt", Jugendförderprogramm des Bundes, später mit Beteiligung von Ländern und Kommunen, mit dem Ziel, Jugendfreizeitprojekte in Brennpunktregionen zur Gewaltprävention aufzubauen. AgAG war die »offizielle« Antwort der Bundesregierung auf die rassistische Pogromwelle Anfang der 1990er Jahre.

Für die einen "Blood & Honour" Aktivisten aus Rostock beim "Rudolf Heß Marsch" in Dänemark, für die anderen die "jugendlichen" Schützlinge "Olli" (rechts) und "Zappi" (mitte) aus dem Jugendclub MAX.

Mit dem Start von AgAG in den fünf neuen Bundesländern begann eine Diskussion darüber, wie die nicht unerheblichen finanziellen Mittel für Projekte im Jugendfreizeitbereich sinnvoll verwendet werden könnten. Die programmatische Umsetzung durch die jeweils zuständige Landesverwaltung beinhaltete zunächst die Benennung von Förderschwerpunkten, darunter auch die Stadt und der Landkreis Rostock.

Neben der Projektförderung gehörte zum AgAG-Programm auch die Durchführung einer fachlichen Begleitung. In Mecklenburg-Vorpommern ist dazu das "Institut für Soziale Praxis Hamburg" engagiert worden. Jeder Förderregion wurde ein Projektberater beigeordnet. Diese übernahmen neben der direkten Projektberatung und der Vermittlungstätigkeit zwischen Projekten und Behörden von sich aus zunehmend auch strukturbildende Aufgaben. Zunächst erstritten sie sich in Diskussionen mit dem zuständigen Bundesministerium und der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern einen Spielraum bei der konzeptionellen Umsetzung der zwar tendenziösen, aber doch schwammigen Richtlinien des AgAG-Programms. Ihr Ziel war es, von Beginn an eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Projektansätze in eine AgAG-Förderung miteinzubeziehen. Damit erhielten etliche aus basisdemokratischen Initiativen entstandene oder sich regional entwickelnde, noch junge Träger der freien Jugendhilfe die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Als besondere Beispiele können die großzügige Förderung eines Vereins für alternative Behindertenfreizeitgestaltung (BAF), das Jugendalternativzentrum JAZ und die vietnamesische Begegnungsstätte »Dien Hong« in Rostock-Lichtenhagen angeführt werden.

Infolgedessen wurden in Mecklenburg-Vorpommern zahlenmäßig mehr Projekte im Rahmen von AgAG gefördert als in den übrigen neuen Bundesländern zusammen. Zum Vergleich sei angemerkt, daß in Brandenburg mit der Begründung, die Gelder direkt in die Projekte geben zu wollen, fast vollständig auf eine projektbegleitende Beratung verzichtet worden ist. In Sachsen wurde diese von einem kirchlichen Träger mit der Absicht realisiert, einzelne mittelintensive Modellprojekte in Brennpunktregionen zu schaffen. Auf diese Weise konnten Zentren entstehen, die in der Anlage und ihrem Etat überdimensioniert waren, und in denen häufig unerfahrene oder überforderte SozialarbeiterInnen nicht verhindern konnten oder wollten, daß rechte Jugendcliquen die Einrichtungen für sich vereinnahmten.

Das stadtweite Projekteplenum

In einem zweiten Schritt ist in Rostock versucht worden, die aus dem AgAG-Topf geförderten Projekte in regelmäßig stattfindenden Treffen zusammenzuführen. Die Beratungsfunktion des AgAG-Programms sowie der Gedanke des Aufbaus einer vielfältigen Jugendhilfestruktur sollte durch ein basisdemokratisches Gremium der Förderungsadressaten ergänzt bzw. befördert werden. Ausgangspunkt dafür war die von einigen formulierte Forderung nach einem Mitspracherecht bei der Mittelvergabe und das Bedürfnis nach fachlichem Austausch. Etwa 20-30 Projekte der offenen Jugendfreizeitarbeit treffen sich seit Mitte 1992 einmal im Monat. Im Laufe der Zeit ist in Absprache mit dem zuständigen Bundesministerium und mit Landes- und Kommunalverwaltung sowie dem Jugendhilfeausschuß vereinbart worden, daß ein Teil der AgAG-Mittel in Höhe von 100.000 DM vom Projekteplenum in eigener Entscheidung vergeben wird. Darüber hinaus wurde für den anderen Teil der Mittel dem Projekteplenum eingeräumt, Anträge zu befürworten oder abzulehnen. Diese Mitspracherechte sind damit begründet worden, daß die am Plenum beteiligten Projektmitarbeiterinnen die »Experten vor Ort« sind und eine Mittelbedürftigkeit am ehesten einschätzen können.

An die Möglichkeit, über eine Teilnahme am Plenum auch für eigene Projekte und Maßnahmen mit Jugendlichen relativ unbürokratisch Gelder erhalten zu können, ist die Bereitschaft zu einem fachlichen Austausch im Plenum geknüpft worden. Dieser beinhaltet, sich gegenseitig vorzustellen, Entwicklungen nachvollziehen zu können, Projekte und Maßnahmen in ihren Wirkungen zu reflektieren. Für Beschlüsse über Mittelbewilligungen sind gemeinsame Regeln auf der Basis des Konsensprinzips entwickelt worden. Die verwaltungstechnische Begleitung wird von einer Person aus dem Jugendamt gewährleistet.

Trotz der oft schwierigen Auseinandersetzung zwischen einzelnen Projekten ist ein Raum für gegenseitiges Verständnis und Vertrauen entstanden. Gemeinsame Projekte wurden durchgeführt, die Arbeit in einzelnen Stadtteilen oft abgestimmt, auf Fachtagungen zu verschiedensten Themen (Rechtsextremismus, Drogen, Selbstevaluation) konnten Tips und Erfahrungen ausgetauscht werden.

Sogar eigene Vorstellungen zu den Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Jugendarbeit in der Stadt konnten politisch durchgesetzt werden. Die Koppelung von fachlichem Diskurs und Mittelvergabe ermöglichte eine qualitative Selbstkontrolle, die durch die Verwaltung im Rahmen der Fachaufsicht nicht geleistet werden kann. Darüberhinaus sind durch das Plenum fachliche Standards für die qualitative Bewertung von Jugendarbeit entwickelt worden.

Im Rahmen einer solchen Zusammenarbeit war es auch möglich, grundlegende Vereinbarungen über den Umgang mit rechten Jugendlichen in Jugendzentren zu treffen.

Auseinandersetzung oder Ausgrenzung?

Im Rahmen des gegenseitigen Austausches von Informationen wurde offensichtlich, wie rechte Jugendgruppen sich genau in die Klubs orientieren, in denen ihnen am meisten Freiraum beim Ausleben ihrer Vorstellungen gelassen wurde. Dabei spielt es nicht unbedingt eine Rolle, in welchem Stadtteil sich der Klub befindet. Um einen Klub für sich zu haben, sind sie auch bereit, in andere Teile der Stadt zu fahren. Während sich das rechte Klientel den Zentren entzieht, in denen die klare Positionierung gegen rechte Positionen zum Konzept dazugehört, wird in einem Klub mit größerem »Entgegenkommen« ein sozialarbeiterisches Wirken allein schon wegen der Anzahl an rechten Jugendlichen unmöglich. Unter anderem diese Erfahrung war Ursprung für die Einsicht, daß es notwendig ist, Jugendprojekte untereinander konzeptionell abzustimmen und eine einheitliche Position im Umgang mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen zu vereinbaren.

In den vom AgAG-Plenum entwickelten Standards zur Bewertung einzelner Projekte heißt es dazu: »Die Projektmitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Aufgabe, sich mit jeglichen Artikulationen, Dokumentationen und Betätigungen von extremistischen, menschenverachtenden Positionen, Gruppierungen und Organisationen klar und deutlich auseinanderzusetzen. Diese dürfen entsprechend den Grundregeln des AgAG-Programms kein Platz in AgAG-Projekten haben.« 

Oft wurde in den Diskussionen behauptet, daß die meisten Jugendlichen sogenannte »Normale« seien. Diese Feststellung war durchaus richtig. Doch eine genügende Aufmerksamkeit vorausgesetzt, begegnen nahezu jedem bei der alltäglichen Arbeit mit Jugendlichen Hinweise, Anzeichen u.a. für das Vorhandensein oder die Herausbildung von rechtstendenziösem Denken, rechter Ideologie oder rechtsorganisatorische Strukturen. Gerade SozialarbeiterInnen, die mit rechtsorientierten Jugendlichen arbeiten, müssen entsprechende Anzeichen und Hinweise aber auch erkennen wollen.

Wenn Projekte überwiegend von rechtsorientierten Jugendlichen aufgesucht werden, dann muß auch das »Rechtssein« zum Thema der Auseinandersetzung im Klub gemacht werden. Projekte, in deren Praxis diese Jugendlichen auf Probleme in Arbeit (Schule), Elternhaus und Partnerschaft reduziert werden, laufen Gefahr, funktionalisiert zu werden. Eine oft unterschätzte, aber notwendige Voraussetzung für die Arbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen ist daher eine umfangreiche Auseinandersetzung der Sozialarbeiterln mit Nationalsozialismus, Neofaschismus, eine Kenntnis über aktuelle Strukturen, Strategien und Erscheinungsformen der rechten Szene. Nur dann können Zeichen auch eingeordnet und darauf reagiert werden.

Häufig wurde von SozialarbeiterInnen argumentiert, rechtsorientierte Jugendliche könne man nicht allein lassen, sie hätten schließlich auch eine Menge an Problemen. Wenn sie in dem Klub ausgegrenzt würden, dann erst würden sie sich in viel stärkerem Ausmaß organisieren. In der Auseinandersetzung um den Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen stellte sich dann heraus, daß es nicht sinnvoll ist, einen akzeptierenden Ansatz und einen ausgrenzenden als unvereinbar gegenüberzustellen. Eine Ausgrenzung der Ideen kann
auch auf argumentativer Ebene stattfinden. Und umgekehrt muß Auseinandersetzung oder Akzeptanz nicht heißen, keine Grenzen setzen zu dürfen. Viel wichtiger als der Streit um einen theoretischen Ansatz ist, welches Klima tatsächlich im Jugendklub herrscht. Stößt eine rechte Position auf kritische Fragen? Es geht darum als SozialarbeiterIn klare Positionen gegen rechte Ideen und Aktivitäten der Jugendlichen zu beziehen. Ein sozialpädagogisches Konzept muß so angelegt sein, daß dies auch möglich ist.

Den richtigen Weg wird man nur in einer ständigen selbstkritischen Reflexion der eigenen Arbeit finden, verbunden mit einer permanenten Rückkopplung von außen. Ein zumindest regionaler Austausch von Informationen über Aktivitäten rechtsorientierter Jugendlicher zwischen den Projekten ist notwendig, um Entwicklungsprozesse nachvollziehen zu können. Klar sollte aber sein, daß eine Sozialarbeit mit überzeugten rechten Jugendlichen, geschulten Kadern oder langjährig zur Szene gehörigen Jugendlichen zwecklos ist.1

Sozialarbeiterische Mittel haben ihre Grenzen, wenn sie auf feste Überzeugungen und Glaubensbekenntnisse stoßen. Der Versuch, den einen oder anderen »umzupolen«, erscheint vielleicht lohnenswert. Eine Konsequenz darf dabei aber nicht vergessen werden: Einen Klub für Rechte zu betreiben, bedeutet fast immer auch, keinen Treffpunkt für andere Jugendliche zu haben. Darüberhinaus besteht die Gefahr, in Aziehungskraft auf Jüngere zuzulassen. Einer Ausgrenzung andersdenkender Jugendlicher kann nicht entgegenwirkt werden. Und ungewollt wird zur Verbreitung rechten Gedankenguts beigetragen bzw. eine rechte Grundstimmung
im Umfeld begünstigt.

Einige Projekte rechtfertigen ihr Konzept damit, daß sie eine soziale Kontrolle von rechten Jugendgruppen vornehmen würden, da diese ansonsten noch unkontrollierbarer wären. Das ist aber nicht Aufgabe von Sozialarbeit.

Die Argumentation und die politischen Parolen der extremen Rechten beziehen sich zunehmend auf die soziale Krise. Eine genaue Kenntnis des Lebensumfeldes und ein Aufgreifen sozialer Themen außerhalb eines nationalen Kontextes können zu einem kritischem Denken beitragen. Eine Zusammenarbeit mit MigrantInnengruppen bietet viele Möglichkeiten. Pädagogische Mittel der Erlebnispädagogik, Film, Theater u.a. können bei der Vermittlung humanistischer Werte und Ethik hilfreich sein.

Und das Ergebnis?

Für die Entwicklung des allgemeinen Klimas in einem Stadtteil sind sicherlich viele Faktoren bestimmend. Rückblickend läßt sich jedoch für Rostock feststellen, daß die Arbeit in Jugendklubs sicherlich ihren Anteil daran hat, daß es eine vorherrschende rechte Subkultur hier nicht gibt. Aber gerade in dem Stadtteil, in dem rechtsorientierten Jugendlichen ein Freiraum im Jugendzentrum eingeräumt wird, ist dies auch im Umfeld deutlich spürbar.

  • 1Anmerkung/Nachtrag AIB: Besonders der Jugendlub MAX in Rostock Groß Klein, gilt unter Szenekennern als wichtiger Treffpunkt für Neonazis aus den "Kameradschaften" und dem "Blood & Honour"-Netzwerk.