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"Wer nicht feiert, hat verloren!"

Ein Beitrag der BO „8. Mai“ der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes — Bund der Antifaschistinnen und Antifaschiten (VVN-BdA)
Einleitung

„День Победы1 — Wer nicht feiert, hat verloren!“ Unter diesem Motto veranstaltet die Basisorganisation „8. Mai“ der Berliner VVN-BdA seit acht Jahren ehrenamtlich jährlich am 9. Mai ein nichtkommerzielles Fest zum Tag des Sieges über den deut­schen Faschismus. Unterstützt wird sie dabei von der Antifaschistischen Initiative Moabit (AIM), der Autonomen Antifa Berlin (A2B), Für eine linke Strömung (FelS) organisiert in der Interventionistischen Linken (IL) und dem Kollektiv Zielona Gora. Dieses Fest ist ein wichtiger Teil antifaschistischer Eri­nne­rungsarbeit und strömungsübergrei­fender Zusammenarbeit sowie ein kultu­relles Ge­gen­angebot zum Mainstream. Das Fest ist sehr erfolgreich und wird immer größer. Um es weiter veranstalten zu können, brauchen wir die Unterstützung weiterer antifaschistisch-antirassistischer Gruppen bzw. Gruppierungen der radikalen Linken zur Vorbereitung und Durchführung. Wir rufen deshalb die Leser_innen des AIB, die an dem Fortbestand des Festes interessiert sind, auf, sich aktiv einzubringen.

  • 1 „Tag des Sieges“

Die Bedeutung des 8./9. Mai für die  politische (radikale) Linke

Am 7. Mai 1945 unterzeichnete General­oberst Alfred Jodl im Auftrag des Hitler-Nachfolgers Großadmiral Karl Dönitz die Kapitulationserklärung gegenüber den West-Alliierten der Anti-Hitlerkoalition in Reims, die am 8. Mai in Kraft trat. In der Nacht auf den 9. Mai wurde die Kapitulation endgültig und bedingungslos vor dem Oberkommando der Roten Armee und gleichzeitig vor dem Oberkommando der West-Alliierten der Anti-Hitlerkoalition unterzeichnet. „Der Krieg ist gewonnen, der Sieg ist da“, verkündet General de Gaulle den Frieden.

Für Millionen Menschen, Opfer der nazis­tischen Diktatur, kam die bedingungslose Kapitulation Nazideutschlands  zu spät; für Jüd_innen, Sinti und Roma, Homosexuelle und Zwangsarbeiter_innen. Zu spät aber auch für Kommunist_innen, Anarchist_innen, Sozialdemokrat_innen, Gewerk­schaf­ter_innen, Christ_innen und viele politisch antifaschistisch Denkende und Handelnde. Sie und Millionen alliierter Solda­t_innen, Partisan_innen, Widerstandskämpfer_innen in vielen Ländern mussten für diesen Tag ihr Leben geben. Der 8./9. Mai 1945 ist für  die Überlebenden der Kon­zentrationslager und  Todesmärsche, für die  Jüdinnen und Juden und alle anderen, denen es gelang, sich bis zu diesem Tag dem Zugriff der Nazis zu entziehen, der Tag der Befreiung. Tausende überlebende Buchenwald-Häft­linge leisteten am 19. April 1945, wenige Tage nach ihrer Selbstbefreiung und wenige Tage vor der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands den Schwur von Buchenwald: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Diesem Schwur fühlen sich die VVN-BdA und ihre Mitglieder verpflichtet. Für sie und die politische Linke ist der 8. Mai ein „Tag der Befreiung“ und der 9. Mai ein „Tag des Sieges“.

Der Kampf um die Deutungshoheit

Bis heute bestehen immer noch Bestrebungen zur Umdeutung des 8. Mai. Der 8. Mai sei keine Befreiung, sondern eine „Niederlage“.  In der Bundesrepublik  wird immer wieder behauptet, der Tag sei keine Befrei­ung, weil mit ihm erst „Vertreibung“, „Leid“ und „Elend“ für die Deutschen begann. Wäh­rend die einen versuchen, auf diese Weise aus deutschen TäterInnen „Opfer“ der Alliierten zu machen, wollen andere davon ablenken, dass erst der Sieg der Alliierten das deutsche Morden beendete. Ganz be­sonders geht es aber um die Sowjetunion, die die Hauptlast und maßgebliche Rolle im Kampf gegen Nazi-Deutschland spielte. „Opfermythos“ und Antikommunismus stellen hier einen direkten Zusammenhang dar.

Von dieser hegemonialen Deutung der Geschichte in Deutschland will sich bis heute ein großer Teil der deutschen Bevöl­kerung nicht verabschieden. Jedoch grenzen sich Teile der deutschen Eliten mittlerweile davon ab. Exemplarisch hierfür steht die in diesem Jahr wieder viel zitierte Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizäcker aus dem Jahr 1985. Nach der bana­len und nach 40 Jahren recht späten  Feststellung, „der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“  schließt er ausdrücklich an: „Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern“. Jene  Menschen, für die der 8./9.Mai ein freudiger Tag war und ist, werden somit ausgeschlossen, die deutsche Schicksalsgemeinschaft fortgeschrieben.

Das Bekenntnis zur Befreiung und zum Sieg der Alliierten demonstriert die „Läute­rung“ Deutschlands. Nur so lässt sich nach der Befreiung von „zwei Diktaturen“ wieder ungeniert geostrategisch agieren, gerade auch in Osteuropa, wo diese antitotalitaristische Gleichsetzung Staatsdoktrin der meis­ten postsozialistischen Staaten ist.

Das Fest als Teil antifaschistischer (Erinnerungs-)Arbeit

In Konkurrenz zur bestehenden öffentlichen Mainstream-Erinnerung versuchen wir ein breites Spektrum anzuregen, sich Gedanken im Rahmen dieses Anlasses zu machen. Ursprungsidee war und bleibt, ein Angebot für antifaschistische Erinnerungsarbeit zu bie­ten. Für uns ist unser Fest genauso Teil der Widerstandskultur zur Aneignung des öffentlichen Raums wie Demonstrationen und Blockaden es sind. Gegen die offizielle deutsche Gedenkpolitik machen wir die Erin­nerungen der Opfer aber eben auch Be­zwinger_innen des deutschen Faschismus stark.

Wir wollen hierbei nicht nur im eigenen „Saft schmoren“. Wir wollen versuchen nie­drigschwellig Inhalte und Denkanstöße anzubieten, denn wir wissen, dass gesell­schaftliche Veränderungen nur in Zusammenarbeit mit möglichst vielen Kräften erreicht werden können. Unser Fest trägt zur Akzeptanz antifaschistischer Gruppen, de­ren Positionen und Agieren bei. Zentral ist uns das, „Wogegen“ wir sind: Gegen Neo­nazismus und Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus sowie jedweden Sexis­mus. Entsprechend sind auch unsere Erwar­tungshaltung sowie unser Agieren auf dem Fest gegenüber den Gästen. Wir bringen auch klar einen antinationalistischen Standpunkt ein: Solidarität statt Nationalismus!

Da es insbesondere die sowjetischen Vete­ran_innen sind, die unter dem deut­schen Geschichtsrevisionismus und Anti­kommunismus zu leiden haben (siehe z.B. die bis zu diesem Jahr verweigerte Ent­schädigung von sowjetischen Kriegsgefangenen), versuchen wir, sie vor diesem bewussten und gezielten Vergessen zu bewahren. Dabei geht es uns nicht darum, die Befreier_innen zu hierarchisieren, sondern gerade um die Aus­einandersetzung mit der besonderen Funktion der Sowjetunion in der Umdeutung des 8./9. Mai 1945. Das beinhaltete schon in der Vergangenheit auch durchaus Kritik. Uns geht es schließlich nicht um eine unkritische Solidarität mit dem heutigen Russland; genau so wenig wie um ein unkritisches Russland-Bashing. Neben der Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen und Zusammenhängen thematisieren wir auch aktuelle politische Entwicklungen und Ereignisse wie im Baltikum, der Ukraine und Russland und den neofaschistischen und rassistischen Tendenzen dort. Das machen wir bspw. über die jährlich zum Fest erscheinende themenbezogene Bro­schüre sowie über Info-Stände und natürlich mit unseren Zeitzeug_innen. 

Weitermachen?!

Das Fest hat sich nicht nur als Ort des Gedankenaustauschs im Rahmen des ge­meinsamen Feierns unter linken sowie anti­faschistischen und antirassistischen Gruppen entwickelt. Vielmehr kommen von Jahr zu Jahr immer zahlreichere Gäste, darunter sehr viele Menschen aus der russisch­sprachigen Community aus Berlin und ganz Deutschland. Um die sich daraus ergebende organisatorische Aufgabenfülle meistern zu können, aber auch den Balanceakt zwischen dem, durchaus auch gewollten, „Volksfest“-Charakter und einer wirkungsvollen politischen Intervention zu meistern, sind wir — über die beteiligten antifaschistischen Gruppen hinaus — auf weitere Unterstützung aus dem (radikal) linken Spektrum angewiesen.  •

Den genauen Starttermin der Vorberei­tungen könnt ihr anfragen über: VVN-BdA-8.Mai [at] gmx.dehttp://neuntermai.vvn-bda.de