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Von sandj, Dienern und Sklaven

Hannes Bode (Gastbeitrag)
Einleitung

Nimmt man den »Nahen Osten« als peripheren Teil des globalen kapitalistischen Zusammenhangs wahr, und betrachtet die dortigen Gesellschaften mit einem ähnlich differenzierten Blick wie die europäischen, treten soziale Beziehungen und Hierarchien, Machtstrukturen und Ideologien in den Blick, während sich zutiefst ideologische Kategorien wie Ethnie, Nation und Religion auflösen. Das zeigt sich auch an einem selten thematisierten und vielen unbekannten The­ma – dem Rassismus.

Bild: flickr.com/masser/M Asser/CC BY SA 2.0

Die berühmte libanesische Popsängerin Haifa Wehbe singt in einem Lied-Refrain vom »nubischen Affen«.

Noch heute gebräuchliche arabische Wörter zur Bezeichnung von Menschen »schwarzer Hautfarbe« sind khadem und ‘abed, Diener oder Sklave. Insbesondere nicht-arabische afrikanische refugees werden in der Region für die am schlechtesten bezahlten und am wenigsten anerkannten Arbeiten rekrutiert, was die ihnen entgegenschlagende Verachtung eben­so perpetuiert, wie ihre soziale Lage. In den arabischen Mehrheitsgesellschaften werden sie zur gleichen Zeit als dreckig, faul und arbeitsscheu, als deviant und »anders« apostrophiert – der bekannte wechselseitige Zusammenhang von Diskriminierung und diese legitimierender rassistischer Ideologie. Ein Beispiel ist die Behandlung von vollkommen entrechteten sudanesischen und eritreischen refugees in Ägypten, wo sie in der Öffentlichkeit regelmäßig beleidigt, betatscht, mit Obst, Gemüse oder Steinen beworfen werden,  wo sie von den Sicherheitskräften schikaniert und misshandelt werden, im Sinai manchmal sogar Menschenhändlern und Kidnappern in die Hände fallen oder an der Grenze von Soldaten erschossen und verscharrt werden. Sind sie Mädchen oder Frauen, werden sie häufig auch als zu ge- oder missbrauchendes Sexualobjekt betrachtet.

Ein anderes ist der Refrain vom »nubischen Affen« in einem Lied der berühmten Popsängerin Haifa Wehbe, der lediglich zu Protesten der marginalisierten ägyptischen Nubier führte. Sie sind Nachkommen einer seit langen Zeiten in der Region siedelnden Grup­pe, die während der Kolonialzeit, der Herrschaft Nassers, Sadats sowie Mubaraks und bis heute Opfer staatlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung ist. Und auch den meisten Irakern gelten diejenigen ihrer im Süd­irak lebenden Landsleute, die »schwar­zer Hautfarbe« sind, als andersartig und nicht ebenbürtig.  Die Bedeutung tribaler Kriterien für den sozialen Status innerhalb der Gesellschaft und die dafür zentrale Abstammungsideologie (nasab), sowie die von städtischen arabischen Eliten konstruierte Ideologie des arabischen Nationalismus sind hierbei nicht nur für den Irak, sondern für die gesamte Region zu berücksichtigen.

Die negative Stereotypisierung von »Schwarzen« hat dabei eine lange Tradition. Schon die berühmten persischen und arabischen Autoren des »Mittelalters«, etwa Al Djahiz, Ibn Sina oder später Ibn Khaldun, sahen in »Schwarzen« – deren Hautfarbe sie mit dem heißen afrikanischen Klima erklärten – wilde Tiere und geborene Sklaven von minderer Intelligenz. Auch in zahlreichen religiösen Überlieferungen wird ihre Minderwertigkeit und ihre Bestimmung zur Sklaverei tradiert. Gleiches gilt für den Iran, wo aber vermeintlich zivilisierte »Perser« bzw. »Arier« zugleich auch auf Araber hinabschauen, die sie als Wüstenbewohner und unkultivierte Barbaren bezeichnen.

In Ländern wie dem Libanon, wo afrikanischen und südasiatischen »Fremdarbeitern« übrigens der Zutritt zu Stränden, Pools oder Sportanlagen verwehrt wird, vor allem aber am Golf hat die Ausbeutung von Billiglohnkräften ungeahnte Ausmaße erreicht. Professionelle Agenturen rekrutieren in afrikanischen und südasiatischen Ländern Frauen für Haushaltstätigkeiten und Männer für den boomenden Baumarkt. Die Golfstaaten und die vom dortigen »Turbokapitalismus« profitierenden einheimischen Bevölkerungen führen dabei die Statistik an, KritikerInnen sprechen zu Recht von modernen Formen der Sklaverei. Ein Beispiel: 95% der Arbeitskräfte der Vereinigten Arabischen Emirate kommen aus dem Ausland, jedeR fünfte der fast drei Millionen ArbeitsmigrantInnen arbeitet im Bausektor – verarmte, kaum ausgebildete Männer vor allem aus den ruralen Gebieten Südasiens, die für die Anstellung bei Job­agenten zunächst Kredite aufnehmen müssen und sich damit sofort in Schuldenabhängigkeit befinden. Entzug der Pässe und Lohnbetrug sind ebenso verbreitet wie Missbrauch – viele weibliche Bedienstete werden von den Hausherren zu sexuellen Dienstleistungen genötigt oder vergewaltigt, weigern oder wehren sie sich dagegen oder gegen die schlechte Behandlung allgemein, können sie gebrochen, unbezahlt und verschuldet vor die Tür gesetzt werden. All das sind von der europäischen Linken meist ignorierte Facetten der globalen kapitalistischen Arbeitsteilung.

Der Massenmord im Sudan ist der brutalste Ausdruck arabischen Rassismus. Darfur ist ein Musterbeispiel für den Prozess der »Rassifizierung« (Terkessidis u.a.). Bereits seit der letzten Hälfte des 19. Jh. strömten zahllose Mitglieder südsudanesischer Stämme als billige Soldaten und Arbeitskräfte gen Norden bzw. Osten, was der nubischen bzw. »sudanarabischen« Elite und kolonialen Akteuren zugute kam. Zudem dominierte hier bis in die Neuzeit der Modus der Sklavenwirtschaft – auf die zentrale Bedeutung des über Jahrhunderte prosperierenden afrikanischen und arabischen Sklavenhandels kann hier nur am Rande verwiesen werden. Die Differenzierung zwischen stärker urbanisierten und wirtschaftlich dominanten ethnisch arabischen »Nordsudanesen« auf der einen, und nicht-arabischen schwarzen sandj aus Darfur und den südlichen Gebieten auf der anderen Seite bestimmte seit der Konstruktion »Sudans« durch koloniale Akteure und arabische Eliten  als zentrale Unterscheidungs- und Ausgrenzungskategorie die Politik der Zentralmacht im Norden, und führte selbst zum Zerfall der sudanischen islamistischen Bewegung entlang ethnischer Linien. Das ist auch der Hintergrund für die bis heute andauernden Morde und Vertreibungen im Sudan, die seit dem Eindringen von durch Libyen bzw. Gaddafi ausgestatteten arabischen Milizen und Stämmen vor dem Hintergrund der Tschad-Kriege im Kampf um Raum und Ressourcen eskalierten. Der Konflikt verlief entlang ethnischer Linien und war geprägt von rassistischen Strategien ethnischer Säuberung und sexueller Dominanz.

Insbesondere die Behauptungen des arabischen Nationalismus werden angesichts dieser Realitäten als Legitimationsideologie zur Verschleierung realer Ungleichheiten entlarvt. Dass die hierbei wirkmächtigen ethnischen Grenzziehungen quer zu religiösen verlaufen, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Überschneidungen ergeben können, und etwa arabischer Nationalismus und Islamismus bisweilen paradoxe Hybride ergeben können. Die Frage nach dem politischen Islam als moderner Krisenbewältigungsideologie und der Rolle ethnoreligiöser Identitäten im Nahen Osten konnte hier aber nicht behandelt werden.