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Von einer Antifa-Demonstration in Ilmenau und über das Vermummungsverbot

Autonome Antifa (M) - Göttingen (Gastbeitrag)
Einleitung

Am 4. April 1992 demonstrierten in Ilmenau ca. 600 Menschen gegen den ständig wachsenden Neonazi-Terror. Mobilisiert zu dieser Demonstration hatte die "Autonome Antifa Südthüringen". Den Ilmenauern sollte gezeigt werden, daß es auch eine starke antifaschistische Kraft in Südthüringen gibt, die den Neonazis etwas entgegensetzt.

Symbolbild. Quelle: linksunten.indymedia.org; CC BY-NC-SA 2.0 DE

Die uns geschilderte Situation stellte sich so dar, daß es derzeit nicht mehr möglich ist, sich sicher in Ilmenau zu bewegen; jederzeit kann mit einem Überfall von Neonazis gerechnet werden, so daß sich mittlerweile sogar einst überzeugte PazifistInnen bewaffnen, wenn sie ihr Haus verlassen. Die Neonazis ließen verlautbaren, sie würden eine große Gegendemonstration zu gleicher Zeit am gleichen Ort organisieren. Schätzungen der AntifaschistInnen aus Ilmenau beliefen sich auf etwa je 300 TeilnehmerInnen für beide Demonstrationen. Einer möglichen Konfrontation mit den Neonazis würden sie nicht aus dem Wege gehen. Über das voraussichtliche Verhalten der Polizei war nichts zu erfahren.

Für uns war klar, daß wir die Leute in Ilmenau auf ihrer Demonstration unterstützen werden und fuhren hin. Dort war dann von Neonazis nichts zu sehen; es hieß, die Polizei würde die Neonazis an die angemeldete Antifa-Demonstration nicht herankommen lassen. Dafür reagierte das "Neue Forum" um so panischer, hielt um 13.00 Uhr, also eine Stunde vor der Demonstration, ein Friedensgebet ab und warnte alle Menschen davor, auf die Demonstration zu gehen. Schon im vorhinein wurde gegen die Demonstration gehetzt. »Linke Chaoten« wären »prügelgeil« hieß es, mensch solle der Demonstration fernbleiben.

Es sollte jedenfalls anders kommen: 600 Menschen ließen sich nicht beirren und demonstrierten friedlich über zwei Stunden. Die Antifa-Demonstration sollte durch lockeres Spalier begleitet werden. Wir wollten auf jeden Fall maskiert und behelmt gehen. Eine Forderung der VeranstalterInnen an die TeilnehmerInnen war, keine Schäden während der Demonstration anzurichten, was wir selbstverständlich akzeptierten. Vermummung und Behelmung erfüllt für uns eine schützende Funktion und soll unsere grundsätzliche Bereitschaft zur Militanz dokumentieren. Und dieses Recht wollten wir trotz staatlichen Verbots für uns in Anspruch nehmen.

Wir unterbreiteten dem Einsatzleiter der Polizei unsere Argumente, wiesen ihn darauf hin, daß ein Vorgehen gegen Maskierung die Situation unnötig eskalieren würde. Er wies darauf hin, daß wir eine Straftat begingen, wir entgegneten, daß wüßten wir, meinten aber, daß ja auch anders mit diesen Dingen umgegangen werden könne. Die Demonstration hat uns Spaß gemacht, wir haben noch eine Rede gehalten und ansonsten die Aufbruchstimmung in der Ex-DDR genossen. Die Neonazis waren mit etwa 100 Leuten nach Ilmenau gekommen, also weniger als erwartet. Sie wurden nach unseren Informationen von der Polizei von der Demonstration ferngehalten und hielten sich in einem anderen Stadtteil auf. Nach der Demonstration kam es noch zu kleineren Auseinandersetzungen mit Neonazis.

„Ist Vermummung bald straffrei?“

Unter dieser Überschrift erschien am 27. März 1992 ein Artikel im Göttinger Tageblatt, in dem sich der SPD- Landtagsabgeordnete Thomas Opperrnann für die Aufhebung der Maskierung als Straftatbestand einsetzt, schließlich sei »das Vermummungsverbot ein strafrechtlicher Flop«. »Von den insgesamt 186 Verfahren in Niedersachsen mündete kein einziges in einen Prozeß«. »Möglicherweise wird es eine Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz geben, die Vermummung nicht mehr per Strafverfahren sondern als Ordnungswidrigkeit zu ahnden

Das Vermummungsverbot ist ein Polizeistaatsgesetz und muß daher weg. Seit Inkrafttreten des Vermummungsverbots am 1. Juni 1989 wurde immer wieder versucht Vermummung auf Demonstrationen durchzusetzen und dies auch begründet; zuletzt auf der Silvesterdemonstration 1991/1992 in Göttingen, wo, wie angekündigt, maskiert und behelmt demonstriert wurde, ohne daß auch nur, wie ebenfalls angekündigt, eine Scheibe zu Bruch ging. In diesem Falle wollten wir das so. Die Polizei hielt sich zurück. Unter anderem vor diesem konkreten Hintergrund ist der Oppermannsche Einwurf zu sehen.