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Von der Quotenforderung zum nationalen Pop

Martin Büsser
Einleitung

Kurz nach dem Mauerfall begann Deutschland, seine hässliche Fratze wieder offen zu zeigen. Anfang der 1990er verging keine Woche ohne rechtsradikale Brandanschläge auf Wohnheime und geschändete jüdische Friedhöfe. In diesem Zusammenhang rückte erstmals in die öffentliche Wahrnehmung, dass Rockmusik zunehmend zum Sprachrohr für diskriminierende, nationalistische und rassistische Inhalte geworden ist. Parolen wie »Nieder mit dem Misch-Masch-Blut, denn das tut dem Vaterland nicht gut« (Störkraft) haben den immer schon naiven Glaube erschüttert, dass Rock per se Rebellion gegen jegliche Autoritäten und damit tendenziell emanzipatorisch links sei. Die Medien reagierten auf solche Extremformen des sogenannten Rechtsrock mit Empörung, Bürger und Politiker gingen gemeinsam gegen rechte Gewalt auf die Straße, bildeten Lichterketten. Während Extremismus und rechte Gewalt nahezu einhellig abgelehnt und sehr schnell auf das stereotype Bild des pöbelnden Skinheads projiziert wurden, mehrten sich zugleich die Stimmen aus der gesellschaftlichen Mitte, die einen neuen, »normalen« Umgang mit Patriotismus und Nation forderten. Popkultur spiegelte diesbezüglich das alle kulturellen und gesellschaftlichen Bereiche durchdringende Zusammenspiel aus Fremdenangst (»Das Boot ist voll«) und Neubewertung des Nationalen wider.

»Popstandort Deutschland«

Mitte der 1990er, noch bevor Musiker wie Rammstein und Witt rechte Ästhetik und Symbolik im Pop-Mainstream hoffähig machen sollten, setzte in Deutschland die erste Diskussion um eine nationale Radioquote ein. Unter der deutlich antiamerikanisch konnotierten Überschrift »Austritt aus der Nato« gab Heinz Rudolf Kunze dem »Spiegel« 1996 ein Interview (Heft 25/1996), in dem er beklagte, dass »die Flut an ausländischer Musik und ausländischem Schund« seit Ende des Zweiten Weltkriegs von den Deutschen widerstandslos geschluckt worden sei. Ähnliche Töne schlug Dieter Thomas Heck im Interview mit dem »Musikexpress« (10/96) an: »Wir dürfen es nicht so weit treiben, dass wir alles, was aus dem eigenen Land kommt, runterdrücken. Es gibt einfach Menschen, die so etwas nicht fühlen und denen musst Du es eben per Gesetz zeigen. Ist es nicht schön, mal wieder deutsch zu hören?« - Wie bitte? Menschen, die die Schönheit der deutschen Sprache nicht fühlen, vor allem wenn diese von wertvollen Kulturgütern wie Wolfgang Petri und Jürgen Drews vorgetragen werden, sollen per Gesetz endlich fühlen lernen, wie schön das doch ist? Noch deutlichere Worte fand Altrocker Achim Reichel im Branchenblatt »Rockmusiker« (3/96): »Jetzt, da die Siegermächte ihre letzten Besatzungstruppen abgezogen haben, müsste es doch das Interesse einer jeden Partei sein, unserem Land nicht seine eigene Gegenwartskultur vorzuenthalten«, und sprach in diesem Zusammenhang von »einer beispiellosen Vernichtungsaktion unserer einheimischen Musikszene«.
Zu einer Zeit, als die Böhsen Onkelz mit jeder neuen Veröffentlichung den ersten Platz der deutschen LP-Charts belegten und Neonazis einen neuen Trend in Sachen Jugendkultur gesetzt hatten, fiel diesen Herren nichts weiter ein, als nach einer Neubewertung der deutschen Popkultur, nach dem »Popstandort Deutschland« (Dieter Gorny) zu rufen. Die Debatte kam daher schnell dort an, wo sie hingehörte: »Englisches Gedudel stoppen!«, kommentierte die »Junge Freiheit« (35/96) und sprach sich begeistert darüber aus, dass der Musiksender »Viva« längst »den Sinn für die Quote erbracht hätte« - bei 40% der dort gespielten Musik handelt es sich um deutsche Produktionen.
Aus den wenigen hier genannten Zitaten geht bereits hervor, dass die Forderung nach einer Radioquote für deutsche Produktionen neben wirtschaftlichen Interessen bereits Mitte der 1990er massiv politische Ziele verfolgte: Mit Blick auf den Ausgang des Zweiten Weltkriegs (Kunze) und die Kultur der »Siegermächte« (Reichel) ging es hier um nichts Geringeres als den Wunsch, einen Schlussstrich ziehen zu können, also das Erinnern an deutsche Verbrechen zusammen mit den nunmehr als »Besatzer« empfundenen Befreiern zu entsorgen, um sich so als erstarkte, geläuterte und vor allem gegenüber den USA - autarke Nation neu zu erschaffen. Dies war nicht immer so, wie ein Zitat des Kulturwissenschaftlers Klaus Theweleit belegt: Theweleit nannte das, was nach dem Zweiten Weltkrieg mit Jazz, Hollywood und Rock'n'Roll nach Deutschland kam, im positiven, nämlich befreienden Sinne »undeutsche Sprachen«, »öffentlich geächtete Sprachen und Klänge«, die bestens dazu geeignet gewesen seien, eine Art symbolische Entnazifizierung vorzunehmen - gegenüber Eltern und Autoritäten, die immer noch von »Negermusik« sprachen. Und selbst noch die zum Teil einem naiven, pauschalen Antiamerikanismus erlegene Generation protestierender Studenten Ende der 1960er wäre trotz aller »Kulturimperialismus«-Parolen nie auf die Idee gekommen, ihre geliebten Doors, Bob Dylan und die Rolling Stones zu entsorgen.
Antiamerikanismus und das Insistieren auf eine deutsche Pop-Hegemonie sind - nach ersten Anklängen dieser Art im Zuge der »Neuen Deutschen Welle« zu Beginn der 1980er Jahre erst seit den 1990ern eine die ganze Branche und alle Musiksparten durchziehende Allianz eingegangen, die unterschwellig suggeriert, dass aus dem eigenen Land die potenziell hochwertigere Musik, aus den USA potenziell eher Schund käme. Zwar würde wohl kein Quoten-Befürworter die Flippers gegen Sonic Youth, Randfichten gegen Bright Eyes oder Gunter Gabriel gegen Johnny Cash ausspielen wollen - doch genau darauf liefe die Einführung einer Quote hinaus.

Racheakt der deutschen Kultur

Seit George W. Bush zum meistgehassten Politiker der Deutschen avanciert ist, ist der Ton noch schärfer geworden. Antiamerikanismus gibt sich seit dem »Nein« der Bundesregierung zu einer Beteiligung am Irakkrieg als Pazifismus aus, welcher zugleich jener reaktionären bis revanchistischen Geschichtsschreibung in die Hände spielt, die uns »die Deutschen« als ein moralisch integres, zudem einst von Hitler und Weltkrieg unterjochtes »Volk« verkaufen will, das nicht nur aus seiner Geschichte gelernt hat, sondern wie alle anderen auch deren Opfer war: Popsongs wie »Was es ist« von Mia und »Wir sind wir« von Van Dyk & Heppner korrespondieren mit einem Film wie »Das Wunder von Bern« und fügen sich ganz in das neue Geschichtsbild eines Guido Knopp (»ZDF History«) und Jörg Friedrich (»Der Brand«).
George W. Bush kam, scheint es, für die Deutschen zur rechten Zeit, konnte als Anlass genommen werden, den neuen nationalen Taumel in vermeintlicher Unschuld zu zelebrieren. Doch während sich die deutsche Kultur derzeit in einer Art Racheakt gegen alles »Amerikanische« und als amerikanisch Empfundene auflehnt, bemerken deren Protagonisten zugleich gar nicht, wie sehr sie selbst noch einen Großteil ihrer nun »gegen Amerika« eingesetzten Ausdrucksmittel allein den USA verdanken haben was wären all jene, die sich für die Deutsch-Quote ausgesprochen haben, ohne Blues, Country, Rock'n'Roll und ohne den (sie vergessen es leicht: in den USA, nicht in Mannheim oder Stuttgart entstandenen) HipHop?
Eine Liste der Quoten-Befürworter findet sich auf der Homepage des »Vereins deutsche Sprache« veröffentlicht (www.alle-in-eigener-sache.de). Deren Seite gibt sich bereits ästhetisch offen als ideologisch zu erkennen, wirbt mit dem Bild der Germania »für die Quote«, das Schwert in der einen Hand in den Himmel gereckt, in der anderen eine E-Gitarre. Die Rede ist vom 1883 eingeweihten »Niederwalddenkmal« bei Rüdesheim, im Volksmund auch »Die Wacht am Rhein« genannt, ein gegen »Erbfeind« Frankreich gerichtetes deutsches Ehrenmal, das in diesem Kontext einen ironischen Beigeschmack erhält, berufen sich doch die Quotenbefürworter immer wieder auf das Vorbild Frankreich und die dort längst eingeführte und inzwischen von vielen französischen Musikern massiv kritisierte Radioquote. Auf der Liste von »Alles in eigener Sache« finden sich Indie-, Kuschelpop- und Rap-Künstler wie 2-Raumwohnung, Maximilian Hecker, Mieze (MIA), Sportfreunde Stiller, Fury In The Slaughterhouse, Moses Pelham, Smudo und Xavier Naidoo, aber auch all jene Abgehalfterten, die Angst haben müssen, ihre Geld ohne Quote bald mit Auftritten auf HL-Markt-Parkplatzfesten verdienen zu müssen, darunter Ina Deter, Wolf Maahn, Achim Reichel. Peter Schilling, Stefan Waggershausen, Pe Werner und Frank Zander. Die Initiative erklärt unverhohlen, dass ihre Quotenforderung keineswegs deutschtümelnd sei: »Dieses ewiggestrige Argument ist dümmlich. Die jetzige Quasiquote ist amerikatümelnd.« Das alte Argument: Wer nicht für uns ist, ist für Amerika.

» ... neues deutsches Land«

Seit Aufkommen der Debatte hat sich einiges geändert: Mitte der 1990er war die sogenannte Poplinke noch tonangebend, also diskursmächtig genug, um sich wirkungsvoll in die Quoten-Diskussion einzumischen. Blumfeld, Die Goldenen Zitronen, Die Sterne und Tocotronic setzten alles daran, sich gegenüber falschen Vereinnahmungen zu distanzieren. Inzwischen sind aber auch im Kosmos von »L'Age d'Or«, »Kitty-Yo« und anderen deutschen Independent-Labels, die einst noch mit einer unmissverständlich kritischen Haltung assoziiert wurden, jede Menge junge Bands nachgerückt, für die frühere Selbstverständlichkeiten nicht mehr gelten und die daher keine Probleme damit haben, auf Samplern mit Namen wie »Neue Heimat« zu erscheinen.
Spätestens anhand von Mia wurde ernüchternd klar, dass Nationalismus vor jenen nicht halt macht, die kurz zuvor noch als Teil der eigenen, im weitesten Sinne linken (Post-Punk- oder Indie- )Szene galten. »Fragt man mich jetzt, woher ich komme / tue ich mir selbst nicht mehr leid«, kiekst Mia-Sängerin Mieze in schwarz-rot-goldene Farben gehüllt, »wohin es geht, das woll'n wir wissen / und betreten neues deutsches Land.« Das »Nein« der Bundesregierung zum Irakkrieg war auch für Mia Auslöser für den zitierten Song »Was es ist« gewesen, der laut Mieze für ein »geklärtes Verhältnis zu unserer Herkunft« (»Blond«-Magazin) sorgen sollte. Mit ihrem alternativ angehauchten, auf »Ökostrom« abonnierten Pro-Deutschland-Pop, arbeiten Mia an einer Normalisierung, genauer gesagt Verniedlichung des Nationalismus, von der Witt und Rammstein mit ihren Wagner- und Riefenstahl-Zitaten noch weit entfernt waren. Letztere stießen bei der Quoten-Lobby eher unangenehm auf, da sie jenen braunen Sumpf aufwühlten, der bei Mia inzwischen quietschbunt verdrängt wird. »Nationalismus artikuliert sich in Deutschland unter den Bedingungen der Neuen Mitte als etwas Lebendiges, Aufgeschlossenes, Modernes«, schrieb Felix Klopotek in »Intro« 12/04. Mia sind damit ein neues Phänomen, nämlich Regierungs-Pop, und zugleich Beweis dafür, dass sich aus subkulturellen Strukturen hervorgegangene Bands nicht mehr notwendig vom gesellschaftlichen Mainstream abgrenzen, sondern dazugehören wollen.
»Er kommt weder in den Feuilletons noch in den Charts vor, deshalb will er die Deutschquote«, kommentierte Klaus Walter (in »Spex« 11/04) Heinz Rudolf Kunzes beharrliches Verlangen nach der Quote. Dieses Motiv dürfte viele Quoten-Lobbyisten antreiben, da sie genau wissen, dass ihre belanglose, durchschnittliche, alleine mittels der (deutschen) Sprache kommunizierende Musik im Ausland nie eine Chance auf Gehör haben wird. Dem gegenüber sprachen sich so gut wie keine deutschen Künstler aus dem Bereich der elektronischen Musik für die Quote aus. Musiker wie Mouse On Mars sind längst international bekannt, haben ihre Musik nie über Landesgrenzen definiert. »Wisst Ihr, was ich mein Leben lang geliebt habe an Blues-, Rock- und Popmusik?«, fragte Rezzo Schlauch seine für die Quote eingestellten Bundestags-Kolleginnen und -Kollegen in einem erstaunlich hellsichtigen offenen Brief in der »taz« vom 2.10.2004: »Sie ist weltoffen und anarchisch, hat die verschiedensten Wurzeln und kommuniziert über Staats- und Kulturgrenzen hinweg. (...) Popmusik ist kein national gewachsenes Kulturgut. Auch meine Partei hat das früher gewusst. Jetzt entwickeln sich ehemalige Anarcho-Band-Managerinnen und grüne Friedenskämpferinnen zu nationalen Popbeauftragten.«
Und die USA? Das Land, dem vorgeworfenen wird, es übergieße uns mit musikalischem Einheitsbrei, bräuchte Mia und Sportfreunde Stiller selbst dann nicht, wenn diese in Englisch singen würden. In den USA hat sich nämlich seit einigen Jahren eine ungemein reichhaltige Independent-Kultur ausgebildet, deren musikalische Originalität in Deutschland ihresgleichen sucht. Dort reagierten die meisten Musiker auf die viel beschworene Krise der Musikindustrie nicht mir Gejammer oder mit der Forderung nach staatlichen Regelungen, sondern mit einer Rückkehr zum »Do It Yourself«, mit der Ausbildung alternativer Netzwerke, der Gründung eigener Labels und Sub-Szenen. Wenn beleidigte Deutsche von »anglo-amerikanischer Dominanz« sprechen, erwähnen sie mit keinem Wort die Szene um Godspeed YBE und das »Constellation«-Label, Bright Eyes und »Saddle Creek Records«, die New Yorker »Antifolk«-Bewegung, die hybriden HipHop-Experimente das »Anticon«-Labels, die Punk-Dancefloor-Fusionen von »DFA Records« und den Freak-Out-Elektropop von Animal Collective, Musikerinnen wie Coco Rosie, den androgynen Songwriter Devendra Banhart oder die neuen Ansätze einer queeren Musikästhetik bei The Hidden Cameras und Xiu Xiu. Sie erwähnen es entweder nicht, weil diese ungemein anregende Musik so gar nicht in ihr Bild vom »ausländischen Schund« passen mag, weil sie sowieso in keinem Radio vor oder nach der Quote gespielt würde, oder weil sie diese Musik einfach nicht kennen, aufgrund einer längst pauschal ablehnenden Haltung gegenüber den USA gar nicht wahrnehmen wollen. Wie dem auch sei: Nahezu alle spannende, dem Mainstream entgegenlaufende Musik findet derzeit vor allem in den USA statt und wird auch weiterhin dort stattfinden, so lange Musiker in Deutschland nichts anderes im Sinn haben, als ihre Sprache und Identität wie einen Vorgarten zu pflegen.

Martin Büsser ist Herausgeber der Buchreihe »testcard Beiträge zur Popgeschichte«, freier Journalist (u.a. für Intro und Konkret) und Autor. Mit der Quotendebatte und Pop-Nationalisierung befasst sich auch sein Buch »Wie klingt die Neue Mitte) Rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popmusik« (Mainz 2001, Ventil Verlag).