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Verbrechen der Wehrmacht: Bilanz einer Debatte

Christian Hartmann u.a. (Hg.)
Einleitung

Neben der so genannten Goldhagen-Debatte bestimmte die Diskussion über die Kriegsführung der Wehrmacht wie keine andere die geschichtspolitischen Diskurse der 1990er Jahre. Der hier in Rede stehende Band spiegelt sowohl die Ergebnisse, als auch die Kontroversen wieder.

Der Band fusst auf einer vom Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) und dem Institut für Zeitgeschichte (IfZ) gemeinsam ausgerichteten Tagung, deren Ziel ein wissenschaftlicher Austausch über die nach wie vor kontroversen Einschätzungen beider Institutionen über den Grad der Verwicklung der Wehrmacht in Kriegsverbrechen war. Im Vorwort wiederholt Horst Möller, ehemaliger Chef des IfZ, noch einmal seine grundsätzliche Kritik an der Grundintention der beiden so genannten »Wehrmachtsausstellungen«. Auch wenn er der zweiten, wesentlich überarbeiteten Ausstellung eine historiographisch und  handwerklich seriöse Konzeption nicht abspricht, wiederholt er doch seine bereits bekannten Einwendungen, die Forschung wisse zu wenig über das Ausmaß der durch Wehrmachtssoldaten verübten Verbrechen im Vernichtungskrieg. Allenfalls fünf Prozent der Wehrmachtssoldaten seien in Kriegsverbrechen im sogenannten »Russlandfeldzug« verwickelt gewesen. Zudem wiederholt er das Argument, die Dynamik des Partisanenkrieges habe einer Barbarisierung der Kampfhandlungen kausal zu Grunde gelegen. Jan P. Reemtsma hingegen betont in seinem Vorwort, die Ausstellung habe eine historiographische und gesellschaftliche Debatte in Gang gebracht, die für den Selbstverständigungsprozess zur deutschen Geschichte unerlässlich sei.

Die folgenden Kapitel leuchten jeweils die Einzelaspekte des Themas aus. So arbeitet der Verfasser einer kürzlich erschienenen Studie über »Hitlers Heerführer«, Johannes Hürter heraus, wie sich die Methoden der zumeist nationalkonservativen Befehlshaber der Heeresgruppen der Wehrmacht im Verlaufe des Krieges von skrupulöser Distanz zu den SD-Einheiten zu bereitwilliger Unterstützung der Mordaktionen wandelte. Christian Hartmann und Christoph Rass analysieren die Einbettung der verbrecherischen Kriegsführung in den Alltag der Soldaten an der Front. Ein weiteres Kapitel ist den Beziehungen zwischen Wehrmacht und SS in den besetzten Gebieten Osteuropas gewidmet. Hier wird deutlich, dass die Grenzen der oftmals postulierten »Arbeitsteilung« der Kriegsführung bei der Bekämpfung der Zivilbevölkerung verschwammen.

Dietrich Eichholz bleibt es überlassen, die Verbrechen der Wehrmacht im Osten in den strategischen Kontext der Kriegszielpolitik Deutschlands als Raubkrieg einzuordnen. Im letzten Kapitel geht es Ulrike Jureit um die Darstellung der Forschungskonzeption zur Ausstellung. Mit Blick auf die Täterforschung vor allem der 1990er Jahre fragt der Beitrag nach Handlungsspielräumen und Mentalitätsstrukturen von Soldaten unter den Bedingungen eines totalen Krieges.

Der schmale Band ist äußerst instruktiv zu lesen. Er skizziert knapp, aber allgemein verständlich und fundiert den Forschungsstand und die Debatte um seine Bewertung. Anders als einige Sammelbände zum Themenkontext, verliert er sich auch nicht in Details. Wer eine Einführung in die Debatte um die Rolle der Wehrmacht und deren geschichtspolitische Dimension für die Bundesrepublik sucht, sollte zu diesem Buch greifen.

Christian Hartmann u.a. (Hg.)
Verbrechen der Wehrmacht: Bilanz einer Debatte
Verlag C.H. Beck
München, 233 S., 12,90 EUR