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Unrühmliches »Heldengedenken«

Einleitung

Die auf unzähligen Plakaten und Veranstaltungen bundesweit propagierte Aufforderung »Kein Nazi Aufmarsch in Halbe«, war erfolgreich. Das »Heldengedenken« am so genannten Volkstrauertag 2002 fiel für die deutsche Naziszene wenig ruhmreich aus. Für das Örtchen Halbe wurde am 17. November 2002 ein polizeiliches Veranstaltungsverbot verhängt. Bundesweit hatten Neonazis mobilisiert, um hier ihren »Wallfahrtsort«, den Waldfriedhof mit seinen rund 20.000 beerdigten Soldaten, neu zu etablieren. Ein Rückblick:

Lars Jacobs, der Anmelder der Neonazi-Demonstration, weist Neonazis im November 2003 in Halbe ein.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in letzter Instanz das Verbot. Etwa 100 Neonazis, die trotz allem angereist waren, um auf das Friedhofsgelände zu gelangen, wurden des Platzes verwiesen. Eine Gedenkkundgebung von rund 500 Antifaschisten konnte erfolgreich durchgesetzt werden. Anfang der 90er Jahre fanden die Aufrufe der Berliner Kulturgemeinschaft Preußen (BKP) zu Aufmärschen auf dem Waldfriedhof breiten Widerhall bei Nazis im In- und Ausland. Sie versammelten sich 1990 und 1991 zu pompösen Zeremonien mit Fackelschein und Trommelwirbel, um der letzten Kesselschlacht des 2. Weltkrieges zu gedenken.

Seit 1992 scheiterten jedoch alle Versuche, mit Aufmärschen und Kranzniederlegungen die früheren strömungsübergreifenden  Mobilisierungserfolge zu wiederholen. Die Aufmärsche dienten der Inszenierung eines Totenkultes um die in der Region Halbe gestorbenen deutschen Soldaten, zur Verklärung und Heroisierung des sinnlosen Selbstopfers der letzten faschistischen Wehrmachts- und SS-Verbände, die sich bereitwillig für eine verlorene Sache im »Endkampf« für Nazideutschland verheizen ließen.1 .

Erster Revival – Versuch: Gescheitert

Die Hoffnung des Hamburger Neonazi-»Führers« Christian Worch und seines Strohmannes und Anmelders Lars Jacobs aus Ratzeburg, die Tradition der Neonazi-Aufmärsche in Halbe wieder aufleben zu lassen, hat sich, zumindest im ersten Anlauf, zerschlagen. Der geborene Rostocker Jacobs war in der mittlerweile verbotenen FAP Schulungsleiter. Heute engagiert er sich für die Freien Nationalisten beim Freien Infotelefon Norddeutschland (»FIT Lars«). Erfolglos hatte er schon im August 2000 versucht, einen Rudolf-Heß-Marsch in Rostock anzumelden.

Die Befürchtung von AntifaschistInnen, dass sich Nazis in Brandenburg mit dem Waldfriedhof in Halbe einen symbolisch wichtigen Ort (wie das Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß in Wunsiedel) aneignen und dort jährlich zu Tausenden aufmarschieren, ist dennoch nicht aus der Welt. Die offene Verherrlichung von SS und der faschistischen Wehrmacht ermöglicht eine organisationsübergreifende und europaweite Mobilisierung. Kaum ein anderes Thema ermöglichte einen solchen Brückenschlag zwischen Alt-Nazis und jungen Neonazis. Der juristische Hürdenlauf im Winter 2002 hatte sich hauptsächlich auf das Feiertagsgesetz des Landes Brandenburg gestützt. Das Verbot galt für Versammlungen, die mit dem »Charakter des Volkstrauertages als Tag des stillen Gedenkens an die Opfer der beiden Weltkriege und des Nationalsozialismus« nicht vereinbar seien.

Wäre es nach den Nazis gegangen, wären sie vom Bahnhof zum Friedhof marschiert und hätten dort mit Kränzen ihren Vorbildern aus der SS gehuldigt, während auf dem Friedhofsvorplatz eine volksfestähnliche Veranstaltung mit Musik und Ausschank stattgefunden hätte. Die Prognose des Brandenburger Verfassungsschutzes, »'Heldengedenkfeiern’ in Halbe dürften mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein für alle Mal der Vergangenheit angehören«, ist jedoch bei weitem zu voreilig. Ohne eine so erfolgreiche und strömungsübergreifende Antifa-Mobilisierung im bundesweiten Rahmen, wie sie im November 2002 mit starker Unterstützung antifaschistischer Gruppen aus Brandenburg stattfand, wird sich ein Nazigedenken in diesem Jahr nicht ohne weiteres verhindern lassen. Ein neuer Aufmarsch unter dem Motto »Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten!« ist vorsorglich für den 15. und 16. November 2003 – also nicht am Feiertag – durch den selbst ernannten Freundeskreis »Heldengedenken in Halbe« angemeldet worden.

Antifa-Mobilisierung und Gedenken

Die Berliner und Brandenburger Antifagruppen, die gemeinsam nach Halbe mobilisierten und in über zehn Städten Veranstaltungen abhielten, wollten mit ihrer Kampagne zu Halbe nicht nur den Neonazi-Aufmarsch verhindern, sondern legten in ihren Gegenaktivitäten einen Schwerpunkt auf das Gedenken an die ebenfalls auf dem Waldfriedhof in Halbe bestatteten 57 Wehrmachtsdeserteure und 37 sowjetischen ZwangsarbeiterInnen. Zu ihrem Gedenken war eine Kundgebung vor dem Waldfriedhof, zusätzlich zu der antifaschistischen Gegendemonstration, im 1.500-Einwohnerort Halbe angemeldet worden. Während sämtliche Demonstrationen verboten wurden, fand die antifaschistische Kundgebung statt.

Auch ohne Naziaufmarsch versammelten sich noch ca. 500 AntifaschistInnen in Halbe. Zu ihnen sprach der Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V., und erinnerte an die wenigen Deserteure, die nicht weiter in einem mörderischen Krieg kämpfen wollten. Neben ihm sprach auch Karl Stenzel als stellvertretender Vorsitzender des Sachsenhausen-Komitees und Lothar Eberhardt von der Interessengemeinschaft ehemaliger ZwangsarbeiterInnen. Im Anschluss setzten sich einige TeilnehmerInnen doch noch als Demonstrationszug in Bewegung.

Ausweichveranstaltungen bundesweit

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes kam für die Nazis überraschend und war eine herbe Enttäuschung. Die meisten blieben zu Hause, kleinere Kranzabwürfe und Gedenkveranstaltungen fanden dann über die Republik verstreut und auf einem deutschen Soldatenfriedhof in Belgien statt. Auf dem Berliner Garnisonsfriedhof versammelten sich neben dem Ring Deutscher Soldatenverbände, verschiedenen Burschenschaftlern und dem Orden der Ritterkreuzträger auch etwa zehn Vertreter von REP, DVU und NPD, die mit der ausdrücklichen Billigung des veranstaltenden Bundeswehrverbandes und unter den Augen der offiziellen VertreterInnen der Senatsparteien ihre Kränze ablegten. Einige Neonazis wichen in an Brandenburg angrenzende Bundesländer aus, Mitglieder des Märkischen Heimatschutzes charterten gemeinsam mit Berliner Neonazis einen Bus nach Usedom, um an einem Gedenkstein vor Ort ein Gebinde abzulegen.

Neonazis aus dem Raum Cottbus wiederum gesellten sich zu dem kleinen Fackelmarsch in Hoyerswerda und hinterließen am dortigen Kriegsgräberdenkmal ein Kranzgesteck. Die Landtagsfraktion der Brandenburger Deutschen Volksunion (DVU) und ca. 50 Anhänger legten bereits am Samstagvormittag einen Kranz auf dem Waldfriedhof in Halbe nieder. Ebenfalls rund 50 Nazis bekränzten einen Soldatenfriedhof in Wittstock. Angemeldet hatte die Veranstaltung der Brandenburger Landesvorsitzende der NPD, Mario Schulz. Auf einem Friedhof im brandenburgischen Rathenow ließen ganze sechs Mitglieder der örtlichen Kameradschaft Hauptvolk ein Blumengebinde zurück.

Rund 200 Neonazis, vor allem aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen, versammelten sich auf dem Gertrauden-Friedhof in Halle. Nunmehr zum fünften Mal präsentierten sich die örtlichen Neonazis zusammen mit den »Kameraden«, die schon Busse für Halbe gemietet hatten und sich stattdessen den Hallensern anschlossen. Grund zur Freude lieferte die offizielle städtische Kranzniederlegung, angeführt durch die hallensische Oberbürgermeisterin. Als sie an der aufgestellten Neonaziformation vorbeiging, schlossen diese sich der Oberbürgermeisterin an, um quasi gemeinsam ihre Kränze niederzulegen.

Letztendlich blieben die Neonazis, wie in den Jahren zuvor, unter sich und verstreut. Worch und den norddeutschen »Freien Kameradschaften« war der Erfolg eines gemeinsamen heroischen Gedenkens nicht vergönnt. Ganz so kampflos wollte sich Worch nicht geschlagen geben und führte zwei Folgedemonstrationen mit einer Beteiligung von 38 bis ca. 50 Nazis durch – in der brandenburgischen Kleinstgemeinde Teupitz gegen den Amtsdirektor, und in einem Potsdamer Außenbezirk gegen  Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm. Klirrende Kälte, gähnendes Desinteresse in Teupitz und dann hunderte GegendemonstrantInnen in Potsdam dürften kaum für Begeisterung bei den »Kameraden« gesorgt haben.

  • 1Vgl. AIB Nr. 20a, 21 und 56