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Totalitäre Schäferhunde

Yves Müller
Einleitung

Über eine notwendige Intervention beim "Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung".1

  • 1Teile des Artikels basieren auf: RLS-Standpunkte 9/2016

Ein Artikel, der vorgibt, „die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung aus dem Blickwinkel des Schäferhundes zu betrachten“, und „zu den ersten Opfern der Berliner Mauer“ einen Schäferhund namens Rex zählt, klingt vielleicht kurios, war aber dem mit der Technischen Universität Dresden assoziierten "Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V." (HAIT) eine Veröffentlichung in ihrer Fachzeitschrift „Totalitarismus und Demokratie“ wert. Die Autorin Christiane Schulte behauptete unbelegt, dass 34 Diensthunde an der innerdeutschen Grenze starben — „verschlissen in einem Krieg, der nicht der ihre war“. Doch die Tiere waren nicht nur ,Opfer’, sondern eben auch ,Täter’, schließlich seien sie als „direkte Nachfahren von KZ-Wachhunden um 1947 auch im Speziallager Nr. 2 eingesetzt“ gewesen.1 Der Aufsatz passt in die Agenda des HAIT, bestätigt er doch das tota­litarismustheoretische Paradigma von den zwei deutschen Diktaturen. Dumm nur, dass sowohl der Artikel als auch „Christiane Schulte“ von Aktivist_innen „frei erfunden“ wurden.2 Sie machten damit auch darauf aufmerksam, dass es nur allzu opportun ist, ,Drittes Reich’ und DDR beziehungsweise Nationalsozialismus und Kommunismus gleichermaßen als ,totalitär’ zu bezeichnen.

Dabei ist der Ansatz keineswegs neu: 1986 löste der Historiker Ernst Nolte einen „Historikerstreit“ aus, indem er einen „kausalen Nexus“ zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus ausmachte und den „,Archipel GULag’ ursprünglicher als Ausch­witz“ bezeichnete.3 Der zwangsweise die Shoah relativierende Vorstoß Noltes ging einher mit den geschichtspolitischen Bestrebungen der damaligen Kohl-Regierung für eine „geistig-moralische Wende“. Der Begriff ,totalitär’ ist jedoch bereits seit den 1920ern geläufig und wurde — ebenso wie der Faschismus-Begriff — in der antifaschistischen Literatur verwendet. Später verwendete auch Franz Neumann in seinem Werk „Behemoth“ (1942/44) die Begriffswendung „totalitärer Staat“, ohne jedoch daraus ein völlig neues, eigenständiges Staatsmodell abzuleiten.

Spätestens mit Hannah Arendts „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1951) etablierte sich der Totalitarismusbegriff. Zwar ist für Arendt der Nationalsozialismus Ausgangspunkt der Untersuchung, doch bezieht sie auch die stalinistische Ära der Sowjetunion in ihr Konzept ein. Die Politikwissenschaftler Carl J. Friedrich und Zbigniew Brzezinski haben ein breit rezipiertes Totalitarismusmodell erarbeitet, dass der Kommandowirtschaft in totalitären Systemen besondere Bedeutung beimisst. Auf die Transformationsprozesse in den Ostblockstaaten nach Stalins Tod und dem berühmten XX. Parteitag der KPdSU 1956 hatten sie jedoch keine Antworten.

Nach dem Scheitern des Staatssozialismus und der ,Wende’ 1989/90 erlangte die Totalitarismustheorie neue Bedeutung und sollte das geschichtspolitische Fundament der nun größer gewordenen Bundesrepublik stützen. Zusammen mit dem Extremismusansatz bildet die Totalitarismustheorie so den freiheitlich-demokratischen ,Schutzschild’ der ,Berliner Republik’ gegen ihre Feinde von rechts und links. Dabei werden Nationalsozialismus und Kommunismus sowie ,Rechts-’ und ,Linksextremismus’ keineswegs einfach gleichgesetzt, sondern durch ,Vergleich’ als Antipoden der Demokratie gegenübergestellt. Um Vorwürfen zu entgehen, wird die Unterschiedlichkeit der Phänomene durchaus benannt, um letztlich jedoch wesensmäßige Verwandtschaften herauszustellen.

Als ,Denkfabrik’ von Totalitarismus- und Extremismustheorie gilt seitdem das Dresdener "Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung", das sich seit seiner auf Beschluss des Sächsischen Landtages erfolgten Gründung im Jahr 1993 der Erforschung der „politischen und gesellschaftlichen Strukturen von NS-Diktatur und SED-Regime sowie ihrer Folgen für die Gestaltung der deutschen Einheit“ widmet.4 Die Einrichtung wird seit 2009 von dem Historiker Günther Heydemann geleitet, stellvertretender Direktor ist der Politikwissenschaftler Uwe Backes, der als Extremismustheoretiker einen zweifelhaften Ruf genießt. Zusammen mit dem Politikwissenschaftler Eckhard Jesse gilt Backes als Stichwortgeber des Verfassungsschutzes.

Bereits 1999 hatte eine Studie eines Mitarbeiters des Instituts über den Hitler-Attentäter Georg Elser für Aufruhr gesorgt, in der dessen Tat die moralische Legitimation abgesprochen wurde. Der „Täter“ Elser, so Autor Lothar Fritze, der „die Qualität seiner Überzeugungs- und Willensbildung“ selbst infrage gestellt habe, habe „seine politische Beurteilungskompetenz überschritten“, als er 1938 den Ausbruch eines Krieges prognostizierte.5 In der folgenden Auseinandersetzung musste der damalige Institutsleiter Klaus-Dietmar Henke seinen Hut nehmen, nachdem er seinem Vize Backes vorgeworfen hatte, er wolle „einen geschichtspolitischen Krawall“ anzetteln.6

Bedenklich scheint auch, dass neben dem linker Tendenzen unverdächtigen HAIT auch der „Chimaira AK — Arbeitskreis für Human Animal Studies“ Ziel der geschichtspolitischen Intervention von „Christiane Schulte & Freund_innen“ wurde. So konnte der später bei den Dresdener Totalitarismusforscher_innen publizierte Aufsatz zuvor im Rahmen einer Tagung des Chimaira AK im Februar 2015 an der Technischen Universität Berlin als Vortrag gehalten werden. Die Human Animal Studies sind eine noch junge Forschungsrichtung, die sich auch aus der Tierrechtsbewegung heraus entwickelt hat und sich zum Ziel setzt, „die kulturelle, soziale und gesellschaftliche Bedeutung nichtmenschlicher Tiere, ihre Beziehungen zu Menschen sowie die Gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisse“ zu beforschen.7 Das klingt zunächst nach einem folgerichtigen Transfer der emanzipatorischen Ideen dieser Bewegung in die Wissenschaftslandschaft. Doch „Christiane Schulte & Freund_innen“ werfen den „Human Animal Studies“ vor, zwar radikal daherzukommen, aber eigentlich nur eine „Modeerscheinung“ zu sein, die „keinesfalls herrschende Interessen oder gar staatliches Handeln in Frage stellen.“ Tatsächlich muss sich eine Forschungsrichtung, die sich zum Ziel setzt, Mensch-Tier-Verhältnisse kritisch zu hinterfragen, und sich als emanzipatorisch versteht, fragen, wie sie es mit der Totalitarismustheorie hält.

Die Nichtbeachtung oder „stille Teilhabe“ der Geschichtswissenschaft trägt zur weiteren „Verwissenschaftlichung“ dieses Ansatzes bei. Tatsächlich ist das weitgehende Schweigen großer Teile der Geschichtswissenschaft verstörend. Während die Extremismustheorie auf weitgehende Ablehnung in der politischen Bildungsarbeit und Pädagogik stößt (Stichwort „Extremismusklausel“), bleibt die geschichtspolitische Intervention gegen den Totalitarismusbegriff bisher Linken überlassen. Damit macht es aber eine Wissenschaft, die sich als unabhängig und progressiv versteht, den totalitarismustheoretischen Jüngern allzu leicht. Wie leicht, stellten „Christiane Schulte & Freund_innen“ in einem Interview zum Tagungsvortrag fest: „Es reichte völlig, die Textsorte zu treffen und den Unsinn ohne Lachen vorzutragen.“8

  • 1Christiane Schulte, Der deutsch-deutsche Schäferhund — Ein Beitrag zur Gewaltgeschichte des Jahrhunderts der Extreme, in: Totalitarismus und Demokratie 12/2015, S. 319–334, hier: 319 f., 324
  • 2Christiane Schulte & Freund_Innen, Kommissar Rex an der Mauer erschossen? Ein Plädoyer gegen den akademischen Konformismus, in: Telepolis, 15.2.2016
  • 3Ernst Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.6.1986, S. 25.
  • 4Aus der Satzung des HAIT
  • 5Lothar Fritze, Legitimer Widerstand? Der Fall Elser, Berlin 2009, S. 88f
  • 6AIB Nr. 50, 1/2000
  • 7Chimaira AK, Was sind Human Animal Studies?, 19.4.2014
  • 8Interview mit „Christiane Schulte & Freund_innen“, 1.5.2016,  www.zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/announcement/view/35