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Terrortown revisited

Christoph Schulze
Einleitung

Um 1993 geriet das ostbrandenburgische Schwedt als Hochburg rechter Gewalt und Organisierung weltweit in die Schlagzeilen. Das »Time Magazine« ging gar so weit, den Einsatz von UN-Truppen zu fordern. Schwedt zehn Jahre später: Der Ruf hallt noch nach. Es ist zwar ruhiger geworden, doch der »Frieden« in der Stadt steht auf wackligen Beinen.

Regionale »Kameradschaften« am 26. März 2002 in Eberswalde.

»Ach was, das geht schon«, antwortet Ivo*, wenn man ihn fragt, ob er Angst hat, durch seine Stadt zu laufen. Der 18-jährige Schüler engagiert sich beim Verein »Politik und kritische Kultur« (PUKK) gegen Rassismus und die Neonazis Schwedt. »In der Innenstadt kann ich mich normal bewegen.«

Was heißt »normal« in Schwedt? Sven*, 21 Jahre alt, erinnert sich an ein Ereignis vor ein paar Monaten: »Ein paar Glatzköpfe fuhren an mir vorbei und grüßten mich, obwohl ich sie nicht kannte.« Sven dachte sich nichts dabei, kaufte in einem Tabakladen Zigaretten. Als er wieder herauskam, hielt das Auto neben ihm. »Die stiegen aus, sagten keinen Ton, hauten mir kräftig auf die Fresse und weg waren sie.«

Sven vermutet, dass es um sein Aussehen ging: Er ist Gothic und trägt szenetypische schwarze Klamotten. Wenig später wiederholte sich das Ereignis. Sven wartete nachts auf den Bus nach Hause. Das gleiche Auto mit den gleichen Insassen hielt am Straßen­rand, wieder gab es Schläge. »Sechs oder sieben Leute waren mit mir an der Haltestelle, keiner hat was gemacht«, erzählt Sven. Er sagt das ohne Empörung. Als er bei der Polizei Anzeige stellte, ließen die Beamten durchblicken, dass derlei Übergriffe öfter passierten.

Typische Kleinstadt

Schwedt ist eine typische brandenburgische Kleinstadt an der polnischen Grenze: 35.000 EinwohnerInnen (vor der Wende: 50.000), über 20 Prozent Arbeitslosigkeit, immense Schulden. In den Neubaugebieten werden Plattenbauten wegen Leerstands abgerissen. In der Innenstadt hingegen sind ganze Straßenzüge saniert. Dort befindet sich die Kneipe »Zur Quelle« wo deutschnationalen Parolen zu hören sind. Am Stadtrand stehen neue Einfamilienhäuser.

PUKK-Aktivist Ivo kann Schwe­dts Ortsteilen leicht Kategorien zuordnen. Im Stadtzentrum gibt es kaum etwas zu befürchten, wenn man zu den geschätzten 200 Jugendlichen gehört, die sich »irgendwie« Subkulturen wie Punks, Skatern, Hiphoppern, Gothics, BMXern zugehörig fühlen. Dann gibt es ein Neubaugebiet, wo es »früher ziemlich übel war. Ist aber nicht mehr so wild.« Dann jenes, wo es zwar Neonazis gibt, »die aber einen Heidenrespekt vor den Rußlanddeutschen haben. Die wehren sich nämlich.« Und dann jenes, »wo man besser abends nicht durchläuft« – hier gibt es jede Menge Neonazis. Alles in allem »normal«. Die neonazistische Kameradschaft »Märkischer Heimatschutz« hatte im März ungestört einen Infostand aufgebaut. Es gab vor einer Weile eine Demo der »Interessengemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands« mit 80 Neonazis, die ein Deutsches Reich in den Grenzen von 1937 forderten.  Aber es lässt sich immerhin leben in Schwedt.

Welcome to Terrortown

Vor zehn Jahren war das anders. Namen wie Sven H., Mirko H., Stefan W. sind vielen in der Stadt noch geläufig. Sie gehörten zum Kern der rechten Szene und firmierten unter Namen wie »Nationalistische Jugend Schwedt«, publizierten Hetzblätter wie die »Revolte«, bauten eine Ortsgruppe der später verbotenen Neonazipartei »Nationalistische Front« auf. Von der 200-köpfigen Naziszene ging so viel Gewalt aus, dass für die wenigen Linken nur noch die Flucht aus der Stadt blieb. »Welcome to Terrortown« grüßte treffend ein Graffito am Ortseingang.

Der Terror von damals ist gut dokumentiert. Das Dilemma der Nachwendezeit in der ehemaligen DDR im Umgang mit der durch den Vereinigungsrausch katalysierten Neonazigewalt wurde in Schwedt exemplarisch deutlich. Einmal hatte ein ankommendes Presseteam gerade die Kameras ausgepackt, als ein Neonazimob mit Molotow-Cocktails und Knüppeln eine kleine Gruppe von Linken jagte. »Wenn ich Frust habe, zerschlage ich eine Tasse und die Rechten, die gehen dann eben einen aufklatschen«, äußerte sich damals eine Sozialarbeiterin. Ein hoher Stadtangestellter meinte, dass »man sich mit den Rechten arrangieren kann, wenn man mit denen ein Bier trinken geht.« »So wie ihr ausseht, braucht ihr euch nicht zu wundern«, sagte eine SPDlerin zu Antifas.

Manchmal wurde die Existenz einer rechten Szene schlicht bestritten. Während in Schwedt den Holocaust leugnende Schriften kursierten, be­haup­tete die zuvor zitierte Sozialarbeiterin, dass ihr Klientel sich erst »in der Vorstufe zur Skinheadkultur befinde«, und diese sei erst das Vorstadium zum Rechtsextremismus. Im März 1993 wurde die »Nationalistische Jugend« von der Stadtverwaltung zu einer Besprechung geladen und so zum Gesprächspartner geadelt. Schwedts Offizielle fürchteten angesichts der »medialen Hetzkampagne« in erster Linie einen Imageverlust der Stadt. Wer allerdings mit dem Baseballschläger an die Türen der Stadt klopfte, dem wurde verständnisvoll Einlass gewährt. Im Jugendhaus »Hit« erhielt die »Nationalistische Jugend« einen Kellerraum. Die linksorientierten Jugend­lichen wurden derweil vom noch immer amtierenden SPD-Bürgermeister Peter Schauer wegen ihrer »verbalen Gewalt« kritisiert. Anlässlich einer Antifademo im Juni 1993 wurde wortreich und eindringlich vor der Gewaltbereitschaft Kreuzberger Autonomer gewarnt. Die Opfer waren aus Sicht der Stadt die eigentlichen Täter.

Altbekanntes Reaktionsschema

Das alles ist lange her. Etliche der führenden Neonazis kamen ins Gefängnis und der Neonazikeller im »Hit« wurde geschlossen. Allmählich entwickelten sich die Ansätze nichtrechter Jugendkultur, die es heute in Schwedt gibt. Trotzdem kam es immer wieder zu rechter Gewalt. Und wieder wurde nach der bekannten Routine aus Entpolitisierumng der Taten und Sorge ums Stadtimage reagiert.

Holger Zschoge, Lehrer in Schwedt, berichtet über eine Podiumsdiskussion 1996: »Haben Sie Angst?«, fragte der Moderator eine Künstlerin, die sich gegen die Rechten aussprach. Ihre Antwort »Ich lebe ja noch« quittierten die anwesenden Neonazis im Publikum mit einem höhnischen: »Noch!« Niemand widersprach. Ausgiebig wurde auf der gleichen Veranstaltung über das Magazin Der Spiegel geschimpft, das mit seinen Berichten über Nazis in Schwedt dem Ruf der Stadt schade. »Es war wie eine Volksgemeinschaft aus PolitikerInnen, BürgerInnen und Nazis«, erinnert sich Zschoge. Dennoch: Die heutige nichtrechte Jugend Schwedts ist fast ohne Drang­salierungen aufgewachsen. »Es ist an vielen Schulen nicht mehr schick, rechts zu sein«, so Ivo von PUKK. Viele Jugendklubs seien einigermaßen nazifrei.

Die Neonazis – es gibt sie reichlich im Stadtbild – sind wenig organisiert, kein Vergleich zu den frühen Neunzigern. Das »Karthaus« etwa wurde 1994 von Neonazis überfallen, die Nichtrechten vertrieben. Heute hat der Jugendklub einen sauber gewischten Fußboden, frisch gestrich­ene Wände, hinter der Theke räkelt sich ein Sozialarbeiter und beäugt skeptisch unbekannten Besuch. Laut Hausordnung ist es verboten, politisches Material »egal welcher Richtung« auszulegen. Zuwiderhandlungen können mit Hausverbot bestraft werden. Die älteren Jungs reden über ihre Autos, ein Mädchen schwärmt von ihrem Freund – es ist bieder, aber es gibt keine Neonazis.

Mulmiges Gefühl

Seit Ende 2002 beschleicht einen erneut ein mulmiges Gefühl in Schwedt. Die Angst von früher ist wieder stärker zu spüren, trotz der Beteu­e­­rungen, dass alles irgendwie »normal« sei. Zuerst sorgte nur das umher­fah­­r­ende Auto mit den prügelnden Neona­zis für Aufregung, auch wenn öffent­lich nicht darüber geredet wurde.

Am Abend des 20. Juli hatte sich Jonas* mit Freunden auf einem Spielplatz getroffen. Die verabschiedeten sich irgendwann und gingen nach Hause. Jonas blieb noch sitzen. Als er die drei Gestalten erkannte, die sich ihm näherten, war es zu spät. Die drei Rechten hielten ihn fest. Dreieinhalb Stunden lang wurde Jonas gegen Gesicht und Körper getreten, sein Kopf mehrfach auf eine Holzbank geschlagen, er wurde unter Wasser gedrückt. Als »linker Anarchokunde« wurde Jonas beschimpft, »Du bist kein echter Deutscher.« Der Tathergang erinnert an den brutalen Mord an Marinus Schöberl im nicht weit entfernten Dorf Potzlow. Jonas kam glimpflich davon und erstattete trotz Morddrohungen Anzeige. Zwei der Täter, (16 und 19 Jahre alt) sitzen derzeit in Haft.

Zahlreiche Einzelfälle

»Das ist ein trauriger Einzelfall«, sagte die Sprecherin der Stadtverwaltung, Ute-Corina Müller, zur Presse. Von 1993 bis 1995 galt Schwedt als rechte Hochburg, doch »inzwischen werden wir im Verfassungsschutzbericht nicht mehr so eingestuft«.

Ein weiterer »trauriger Einzelfall« geschah im April. Der Asylbewerber Po L. ging mit seiner Freundin in Schwedt spazieren. Dabei trafen sie auf drei Männer in rechtem Szenelook. Die beschimpften Po L., schlugen ihn und wollten ihren Hund auf den Flüchtling hetzen. Die Täter stehen nun vor Gericht. Po L. wurde wenige Wochen später erneut Opfer eines rassistischen Angriffs.

Auch im Mai gab es einen Übergriff. In einem Café an den »Uckermärkischen Bühnen«, dem Schwedter Theater, fand ein Konzert statt, das auch alternative Jugendliche besuchten. Gegen 23 Uhr waren die meisten BesucherInnen auf dem Heimweg. Rund 25 Nazis tauchten auf, die Situation war angespannt. Ein Junge, der das Café verließ, wurde von Neonazis verfolgt, durch die Stadt gejagt und im Stadtpark verprügelt.

Neonazi-Gewalt Anfang der Neunziger in Schwedt – Eine lose Aufzählung
• 1991: Ein Obdachloser wird von rechten Skinheads zusammengeschlagen und zu Tode geprügelt.
• 1992: Ein 13-jähriger Mädchen wird von Rechten in einem Neubau gefangengehalten, geprügelt, sexuell miss­braucht. Sie stirbt an den Folgen.
• 1993: Bewaffnete Neonazis greifen eine Gruppe von Linken an. Sie treten auf ein bereits bewusstloses Opfer weiter ein. Er liegt zwei Wochen im Koma, verbringt 14 Wochen im Krankenhaus. Ein Antifa wird mit Molotowcocktails beworfen. Eine Party in einer Privatwohnung wird von Nazis angegriffen. Der Klubraum des Stadtjugendrings wird niedergebrannt. Ein knappes Dutzend TeilnehmerInnen einer Antifademonstration wird in den folgenden Tagen von Neonazis verprügelt
• 1994: Neonazis überfallen den Karthaus-Club.