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Staatliche Maßnahmen gegen »rechts«

Einleitung

Neonazis fest im Griff?

Verbote von Neonazigruppen, Sonderkommissionen der Polizei, Aussteigerprogramme, Landesprogramme für Toleranz, millionenschwere Bundesmaßnahmen zur Förderung der Zivilgesellschaft. Nach außen entsteht der Eindruck, die Berliner Republik hätte ihre Nazis fest im Griff. Auch unter AntifaschistInnen wird mitunter die Ansicht vertreten, der Kampf gegen Rechts könnte beruhigt dem Staat überlassen werden und die Bewegung sich wieder anderen linken Inhalten zuwenden. In diesem Schwerpunkt werden daher einige der Maßnahmen genauer unter die Lupe genommen, einer Kritik unterzogen und an den eigentlichen Erfordernissen gemessen. 

Bild: attenzione-photo.com

Eine Razzia gegen Neonazis im Zuge eines Vereinsverbotes.

Tropfen auf den rechten Rand

In fast allen Programmen wird Rechtsextremismus als abgrenzbares Problem am äußersten rechten Rand der Gesellschaft verortet, dessen Lösung in Maßnahmen gegen die Rechtsextremen selbst oder in einer Selbstvergewisserung der demokratischen Zivilgesellschaft besteht. Wissenschaftliche Analysen gehen dagegen davon aus, dass Faschismus in der Mitte der Gesellschaft entsteht. Diese These wird am Beispiel der zunehmend fließenden Grenzen zwischen Aussagen der etablierten Politik und der extremen Rechten deutlich. Etwa der ausgrenzende und rassistische Diskurs über Minderheiten, der nicht nur an den vielbemühten Stammtischen üblich ist, sondern auch von rührenden Politikern vor allem in Wahlkampfzeiten gepflegt wird.

Ein anderes Beispiel ist das Verhältnis zum Nationalismus, wie es sich während der Nationalstolzdebatte manifestierte, in der die Naziparole »Ich bin stolz Deutscher zu sein« zum Ausdruck demokratischer Gesinnung erklärt wurde. Auch die Sozialpolitik wird zunehmend von einem sozialdarwinistischen Leistungsdenken dominiert, in der nur der Starke überlebt, während der soziale Ausgleich für die Schwächeren immer mehr als Belastung empfunden wird. Um die politischen Ursachen des Rechtsextremismus zu bekämpfen, muss in der Mitte der Gesellschaft angesetzt werden. Die Sonderprogramme können schon von daher nicht mehr sein als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Handlungsmöglichkeiten nicht genutzt

Der Handlungsrahmen und die Handlungsmöglichkeiten des Staates wären weit größer. Sie werden mit den Sonderprogrammen nur minimal genutzt. Nicht nur ausgrenzende und rassistische Diskurse könnten vermieden werden, im Hand lungsrahmen des Staates läge z.B. eine umfassende rechtliche Gleichstellung und Integration von MigrantInnen und anderen Minderheiten im Alltags- und Arbeitsleben. Statt demokratische Werte nur in Sonntagsreden zu bemühen, wäre die Verwirklichung einer demokratischen Selbst- und Mitbestimmung möglich. Autoritäre Strukturen in Institutionen und Betrieben stehen nämlich in krassem Widerspruch zu den Phrasen. Andere konkrete Missstände, etwa bei der Polizei, werden nicht angegangen.

Dass viele Opfer von rechtsextremen Straftaten sich nicht trauen zur Polizei zu gehen, liegt daran, wie sie dort behandelt werden. Rechtsextreme Einstellungen sind auch in Teilen der Sicherheitsbehörden vorhanden und eine Ursache der teilweisen Kumpanei mit den Neonazis. Mit Sonderkommissionen können die schlimmsten Auswüchse vielleicht punktuell umgangen werden, strukturelle Missstände werden damit nicht aus der Welt geschafft. Schließlich läge es auch im Handlungsrahmen des Staates, tausende Polizeibeamte, die fast jedes Wochenende zum Schutz von Naziaufmärschen eingesetzt werden, stattdessen vorrangig mit dem Schutz potentieller Opfer der Neonazis zu beauftragen.

Selbstvergewisserung der DemokratInnen

Die Verortung des Rechtsextremismusproblems am äußersten rechten Rand grenzt die Gesellschaft davon ab und erklärt sie quasi zum guten Gegenpol der bösen Neonazis. Damit wird nicht nur die eigene Verantwortung der Gesellschaft negiert, sondern die Bekämpfung des Rechtsextremismus in einem vermeintlichen Konsens betrieben. Ausdruck davon sind lokale runde Tische wie sie z.B. im nachfolgenden Artikel »Weltoffenes Guben« beschrieben werden. Der kleinste gemeinsame Konsens eines Spektrums von Antifagruppen bis hin zur CDU ist jedoch ausgesprochen schmal. Es ist also kaum mehr möglich, überhaupt Position zu beziehen. Der Konsensgedanke führt auch auf anderen Ebenen statt zu Auseinandersetzung und Veränderung lediglich zu einer oberflächlichen Selbstvergewisserung der Demokraten.

Diskriminierung des Antifaschismus

Mehr oder minder starke Repression vermag die Neonaziszene nur bedingt zu beeindrucken. Sie hat sich längst darauf eingestellt, dass das System, das sie bekämpft, gelegentlich mit Partei- und Organisationsverboten, reagiert. Der extremen Rechten muss vielmehr die Unterstützung von Teilen der Gesellschaft entzogen und von bzw. in der Gesellschaft selbstbewusst entgegengetreten werden. Der Staat agiert jedoch nach wie vor gegen jede Bewegung, die von Regierungspositionen abweichende Ansichten vertritt. Wenn etwa Projekte, wie die Neofaschismusausstellung der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« (VVN) in Eschweiler aufgrund einer Intervention des Verfassungsschutzes nicht in städtischen Räumen gezeigt werden kann, dann wird damit statt Förderung von zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzung lediglich ein Geist des Totalitarismus und der Anpassung an die »Mitte« gefördert.

Auch mit dem üblichen brutalen Vorgehen gegen AntifaschistInnen am Rande von Naziaufmärschen wird alles andere bewirkt als die Förderung von Zivilcourage. Eine selbst organisierte Antifabewegung gegen Faschismus und seine gesellschaftlichen Ursachen ist daher ebenso notwendig wie eine antifaschistische Selbsthilfe gegendie Neonazis. Denn fast ein Jahr nach der Sommerdebatte 2000 lässt sich auch insoweit Bilanz ziehen: Eine positive Änderung der Gesellschaft hin zu Solidarität, Toleranz oder Respekt hat nicht stattgefunden, und die Neonazis konnten nicht zurückgedrängt werden. Es deutet sogar alles darauf hin, dass sie gestärkt aus dem letzten Jahr hervorgegangen sind.