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Spanien: Operatión Panzer

Antifeixistes.org — València
Einleitung

Im Juli 2014 fand in Valencia ein Gerichtsprozess gegen 18 Neonazis statt. Diese wurden beschuldigt, Teil der Organi­sation Frente Anti-Sistema (FAS) zu sein, die 2005 durch die Guardia Civil (paramilitärisch ausgerichtete Polizeieinheit) in der sogenannten „Operación Panzer“ aufgelöst wurde.

Juan Manuel Soria (links), Chef der Organi­sation Frente Anti-Sistema (FAS) in Valencia.

Freispruch für 18 Mitglieder einer neonazistischen Organisation in Valencia

Es dauerte allerdings neun Jahre bis der Prozess endlich stattfand. Während des Prozesses kam es zu etlichen Unregelmäßigkeiten und schließlich endete er mit dem Freispruch aller Angeklagten. Grund dafür war, dass die durch die Gurdia Civil abgehörten Telefonate, die den gewalttätigen Charakter und die Struktur der Organisation aufzeigten, nicht als Beweis zugelassen wurden. Ausgang für die vorangegangenen Ermittlungen war der Verdacht, dass die FAS Geschäfte mit Waffenverkauf und Jagd auf Migrant_innen und Antifas machte.
Vor diesem Hintergrund erlaubte ein Richter der Guardia Civil, die Telefone von verschiedenen Mitgliedern der Gruppe abzuhören. Zu dieser gehörten Hooligans von Valencia CF (die sogenannten Yomus) und Aktivisten der faschistischen Partei España2000. Unter ihnen der ehemalige Stadtrat von Silla Alejandro Serrador, Pedro Cuevas (der 1993 den jungen Antifaschisten Guillem Agulló ermordet hatte) und zwei Militärangehörige.

Nachdem einige Monate ermittelt und festgestellt wurde, dass die Gruppe über die polizeiliche Überwachung Bescheid wusste, beschloss die Guardia Civil im September 2005 zu reagieren und nahm 24 Personen fest. Bei den Festnahmen fand sie unzählige Waffen und Dokumente über die Gruppe. Die abgehörten Telefonate ließen die Schlussfolgerung zu, dass die Gruppenmitglieder aus dem Polizeiapparat und von Regierungsvertretern über die Überwachung durch die Guardia Civil informiert worden waren. Diese Tatsache legt wiederrum die Vermutung nahe, dass sie einen Teil ihrer Waffen vor den Durchsuchungen verschwinden ließen. Dennoch kam es zu keinen weiteren Ermittlungen, um festzustellen, wer der Gruppe diese Informationen zugespielt hatte. Ein wichtiger Aspekt, der auch durch die „acusación popular“ (Volksanklage) verschiedener linker Kollektive im Prozeß eingefordert worden war.
Die „acusación popular“ ist ein spanisches Recht, welches es Bürger_innen oder Gruppen erlaubt, in einem Prozess eine eigene Anklage zu formulieren, ohne dass sie persönlich Opfer geworden sind, jedoch für Gerechtigkeit eintreten wollen. In diesem Fall hatten sich acht Organisationen in dem Bündnis Acción Popular Contra la Impunidad (Volksaktion gegen die Straflosigkeit) zusammengeschlossen, um die „acusación popular“ zu vertreten. Es ging ihnen darum, die fortwährende Straflosigkeit von neonazistischen Gruppen in der Region Valencia anzuklagen.

Valencia ist eine der Regionen im spanischen Staat, in der die extreme Rechte seit den 1970er Jahren mit massiver Gewalt agiert und wo immer wieder die Nachgiebigkeit seitens der Polizei und der Jusitz gegenüber diesen Gruppen angekreidet wurde. Ein zentraler Grund für die große antifaschistische Kampagne während des Prozesses war, dass sich unter den Angeklagten der Mörder des Antifaschisten Guillem Agulló befand. Für den Mord hatte Pedro Cuevas nur vier Jahre im Gefängnis gesessen und die Forderung war, dass er dorthin zurückkehren sollte.

Die Organisationen, die sich an der „acusación popular“ beteiligten, waren die Parteien Esquerra Republicana del País Valencià (ERPV), Bloc Nacionalista Valencià (BNV) und Esquerra Unida (EUPV), sowie die NGOs Jarit, Movimiento Contra la Intolerancia und SOS RACISMO, und die kulturellen Organisationen Ca Revolta und Acció Cultural del País Valencià. Diese Organisationen waren Opfer verschiedener neonazistischer Angriffe gewesen, unter anderem war es zu Sprengstoffanschlägen gegen ihre Büros gekommen. Die Polizei hatte in keinem der Fälle die Verantwortlichen für die Taten ermittelt, ebensowenig wie für die Welle von Sprengstoffattentaten, zu denen es in den Jahren 2004 bis 2008 in Valencia  seitens der extremen Rechten gekommen war, mit insgesamt zwanzig Bomben vor sozialen Zentren und Parteibüros. Seit 2007 hat das Bündnis Acción Popular Contra la Impunidad jedes Jahr diverse Hassverbrechen angezeigt und die Straflosigkeit gegenüber den neofaschistischen Gruppen kritisiert. Entsprechende Berichte wurden dem valencianischen, dem spanischen und dem europäischen Parlament vorgelegt. Während des Gerichtsverfahrens wurde der Anwalt des Bündnisses mehrfach bedroht und bekam schließlich während des Prozesses Polizeischutz.
Einige Wochen bevor der Prozess beginnen sollte, zerstörte die Guardia Civil aufgrund „eines Fehlers“ das gesamte beschlagnahmte Waffenarsenal der FAS, das ein zentraler Beweis in dem Prozess war. Unter den beschlagnahmten Waffen befanden sich verschiedene Pistolen, Gewehre, Messer, Schlagringe und ein Granatwerfer des spanischen Militärs. Die Dokumente legten offen, dass die Gruppe plante, ihre Mitglieder militärisch auszubilden, dass sie Listen mit Zielobjekten anlegte und Hetzjagden auf Menschen sowie Diebstähle beging. Zur Tarnung der Organisation sollten eine legale Partei und eine Umweltorganisation gegründet werden. Tatsächlich  gründeten verschiedene Angeklagte ein Jahr später die Partei Alianza Nacional (AN), deren Büro dasselbe wie das der FAS war. Ihr Vertreter in Valencia wurde Juan Manuel Soria, der nach Angaben der Guardia Civil auch der FAS-Chef gewesen war. Aus den abgehörten Telefongesprächen ging hervor, dass Hetzjagden organisiert worden waren, allerdings konnte kein Opfer ausfindig gemacht werden.

Ein weiterer Grund für die Festnahme der Gruppenmitglieder durch die Guardia Civil war, dass sie eine gewalttätige Aktion befürchteten, so die Aussagen der ermittelnden Beamten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die FAS etliche neonazistische Veranstaltungen und Konzerte organisiert. Sie stand in Kontakt mit anderen Neonazi-Organisationen, die in anderen Teilen des spanischen Staates zeitgleich aktiv waren, wie Blood&Honour oder den Hammerskins. Beide Organisationen wurden im selben Jahr durch die Guardia Civil aufgelöst. In diesen Fällen gab es Strafen gegen einige Mitglieder dieser Organisationen. Einige der verurteilten B&H-Mitglieder waren auch Mitglied in der 1999 gegründeten neofaschistischen Partei Movimiento Social Republicano (MSR). Der MSR ist zusammen mit Jobbik und Golden Dawn Teil der Alianza Europea de Movimientos Nacionales (AENM). 2004 hatten etliche B&H-Mitglieder an dem Neonaziaufmarsch zum Gedenken an Rudolf Heß in Wunsiedel teilgenommen.
Im Prozess gegen die FAS ließ der Richter nicht zu, dass die Vertreter_innen der „acusación popular“ eigene Zeug_innen aufriefen und verweigerte ihnen auch bestimmte Schlüsselfragen, die darauf abzielten, bis auf den Grund der Ermittlungen zu stoßen. Auch forderte er zwei Angeklagte, die sich im Ausland aufhielten, nicht dazu auf, bei dem Prozess anwesend zu sein. Einer war nach Argentinien geflohen und der FAS-Chef Juan Manuel Soria lebt gegenwärtig in Marroko. Letztendlich wurde gegen Soria im Oktober verhandelt und auch er wurde freigesprochen.
Nach Ansicht des Richters im Prozess gegen die FAS war das Abhören der Telefone nicht ausreichend begründet worden, sondern es habe sich hierbei nur um einen bloßen „Verdacht“ gehandelt, weswegen die Abhöraktion niemals hätte genehmigt werden dürfen. Dadurch, dass dieser zentrale Beweis nicht zugelassen wurde, entschied der Richter auf Freispruch für die 18 Neonazis. Was in diesem Verfahren passiert ist wird im Spanischen als „teoría del fruto del árbol envenenado“ (Theorie der Frucht des vergifteten Baumes) bezeichnet. Gemeint ist damit die Beschaffung von Beweisen über Verbrechen mit illegalen Mitteln. In diesem Fall konnten mittels der (im Nachhinein als illegal erklärten) abgehörten Telefonate zwar Erkenntnisse über die Verbrechen erhoben werden, da es sich jedoch um illegale Beweise handelt, können die Verbrechen nicht bestraft werden. Die Vertreter_innen der „acusación popular“ haben all diese Unregelmäßigkeiten während des Prozesses angezeigt und angekündigt, sich damit an den Obersten Gerichtshof zu wenden. Dort soll der Prozess wiederholt werden. Auch gaben die Vertreter_innen bekannt, dass die durch den Richter erklärte Unzulässigkeit der abgehörten Telefonate die Wahrheit nicht verstecken könne. Denn bereits zuvor hatten einige Medien Teile der durch die Guardia Civil abgehörten Telefonate veröffentlicht. Aus diesen Veröffentlichungen ging deutlich das Organisieren von Hetzjagden, der neonazistische Charakter und der Waffenbesitz der FAS, sowie weitere Delikte, die nicht verfolgt wurden, hervor.
Die FAS ist seit 1995 die dritte neonazistische Gruppe in Valencia, die in allen Fällen freigesprochen worden ist. Die erste Gruppe war 1995 die Acción Radical, die maßgeblich von rechten Skinheads gegründet wurde, Neonazi-Konzerte organiserte und für Angriffe auf Linke und Migrant_innen verantwortlich war. Ihre Mitglieder wurden zu nur zwei Monaten Gefängnis verurteilt, die sie nie angetreten haben. Unter den damaligen Beschuldigten befand sich auch Manuel Canduela, der heutige Chef der Democracia Nacional (DN) und Sänger der Gruppe RAC División 250. Die zweite Gruppe war Armagedón, die 2002 aufgelöst wurde. Ihr wurde vorgeworfen, die Büros von verschiedenen Parteien in Valencia angezündet zu haben. Unter den Mitgliedern befanden sich zwei Personen, die jetzt auch im Verfahren gegen die FAS beschuldigt worden waren. In den Prozessen gegen Armagedón und FAS war es derselbe Richter, José Manuel Megía Carmona, der das Urteil sprechen sollte. Im Urteilsspruch zur FAS kritisierte dieser Richter die Arbeit der Guardia Civil hinsichtlich ihrer Ermittlungen gegen eine neonazistische Internetseite, über die  Waffen verkauft werden. Er konstatierte „im Internet existieren diese Art von Websites und dass es unnötig wäre hier zu ermitteln“.