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Schwedisches Nachkriegsnetz

Einleitung

Wir wurden im Nachgang unseres Artikels über das »Das Nachkriegsnetz der SS« in einem Leserbrief aus Schweden auf Carl G. Edquist eine schillernde Figur im „SS-Nachkriegsnetz“ und Autor des Buches ”Land förskingrade: En bok om svensk samtidshistoria”- aufmerksam gemacht. Als Siebzehnjähriger stand Edquist hinter einem gescheiterten politischen Entführungsversuch. 1931 wollten er und zwei seiner Freunde den Kommunisten Hugo Sillén mit Waffengewalt entführen. Er wurde zu zwei Monaten im Gefängnis verurteilt. 1946 erhielt er zwei Jahre Strafarbeit wegen illegaler Geheimdienstaktivitäten. Edquist hatte Geld zudem unterschlagen und floh 1944 nach Norwegen, wo er sich als Freiwilliger der Waffen-SS anschloss. Weitere Verurteilungen folgten. Gelegentlich ändert er auch seinen Nachnamen - etwa in „Borgenstierna“ - und war Presseberichten und der schwedischen Fachliteratur zufolge weiterhin eine aktive Figur in der schwedischen extremen Rechten - zumindest wenn es um dessen Mitfinanzierung ging. Als Rechtsanwaltsassistent verteidigte er auch Mitglieder der „Nordischen Nationalpartei“, die an einem Rauchbombenangriff gegen ein Kino verwickelt waren.

Bild: Montage aus Faksimile

Karl Göran Edqvist - auf dem Stuhl nach der gescheiterten Entführung eines politischen Gegners.

Der Leserbriefschreiber ist Anfang der 1960er aus der BRD nach Schweden emigriert. Dort ist er an einer Universität beschäftigt. Anfang der 1970er wurde seine Stelle erneut ausgeschrieben und mit einem Minderqualifiziertem besetzt. Er fand heraus, daß seine politischen Einstellung und Betätigung der Grund war. Daraufhin zog er vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. In einem Parallelverfahren spielte dann der beschriebene SS- Mann eine maßgebliche Rolle. Den Namen des Leserbriefschreibers nennen wir nicht, den der weiteren Prozeßbeteiligten haben wir zum Teil abgekürzt. Die dargestellten Inhalte stellen Recherchen und Meinungen des Leserbrief-Schreibers da und konnten nicht in jedem Fall von uns überprüft werden. In einigen Fällen haben wir erklärende Fußnoten ergänzt.

"Liebe Freunde,

mit Interesse las ich vor einiger Zeit Euren Bericht »Das Nachkriegsnetz der SS«. Auch wenn mir das Meiste noch aus meiner BRD-Zeit in den 1950iger Jahren geläufig war, z.B. die Rehabilitierung über die 'Jungtürken' der FDP1 mit von Manteuffel2 und dem hohen HJ-Führer Zogelmann3 – so ist leider immer noch Anlaß, die jüngere Generation über die Machenschaften dieser Dunkelmänner und ihres Nachwuchses aufzuklären. Gegen Ende des Berichtes erwähnt ihr auch einige Figuren aus der schwedischen SS-Szene. Diese sind gewiß nicht zahlreich - 1939-45 circa 300 SS-Leute - aber als Hintermänner für immer neue faschistische und fremdenfeindliche Terrororganisationen sowie wegen ihrer Beziehungen zur Justiz und Höheren Beamtenschaft sind diese Herren durchaus gefährlich.

Ein beispielhafter Fall wurde kürzlich in „Demokratie und Recht“ (Ausgabe 3/92) erwähnt,  nachdem die schwedische, sozialdemokratische Regierung durch ein Plenar-Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte am 29. Oktober 1991 in meinem Fall verurteilt worden war. Die juristischen Einzelheiten des Justizskandals wurden schon weitgehend von den Demokratie und Recht- Berichten abgedeckt.

Zu Anfang hatten Regierung und ihr Generalstaatsanwalt unter Bruch der Verfassung sich ausgerechnet der verfahrensentscheidenden Hilfe eines Gefängniskunden, SS-Obersturmführer Karl D. bedient, um sowohl grobe Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen, als auch um die Straßburger Instanzen zu betrügen. Weil die Menschenrechtskommission nicht zugeben will, daß sie mit einem SS- Verbrecher reingelegt worden war, sind ihre Entscheidungen auf der betrügerischen Grundlage unwiderruflich. Somit kommt diesem 'SS- Einsatz' für die zukünftige Auslegung der Menschenrechtskonvention für alle Staaten des Europarates eine präjudizielle Schlüsselrolle zu. Dies dürfte ein ausreichender Grund sein, die Einbettung dieses Gestapo-Mannes in die Stockholmer Nomenklatura näher zu untersuchen.

Es gibt sie den 1930er Jahren kaum einen politisch eingefärbten Justizskandal, bei dem Edquist alias D. alias „Adelsmann Borgenstierna“ nicht seine Finger mit drin hatte4 . Meine Freunde und natürlich ich selbst haben deshalb umfangreiches Material über diesen schwerverbrecherischen 'Leumund' der Regierung zusammengetragen, obwohl der ehemalige Gestapoagent tüchtig im Verwischen seiner Blutspur zu sein scheint.

1986 wurden die bis dahin geheimen Akten über seine Tätigkeit während der Nazizeit in u.a. Oslo und Berlin geöffnet. Nach eigenen Angaben gegenüber der schwedischen Geheimpolizei war der 'Leumund' z.B. SS- Obersturmbannführer Otto Skorzenys5 Ratgeber für nordische Fragen. Nach dem Krieg war er in zahlreiche Betrügereien, Gewalttaten, (Rauch)Bombenanschlägen von Neonazis in irgendeiner Weise verwickelt, entweder als Täter oder Rechtsvertreter der Täter. Wie kein anderer stellte er die Blutspur von der SS zu den heutigen Neonazis dar.

Selbstverständlich nahm er maßgeblich an der Hetzkampagne gegen Olof Palme teil. Einen politischen Gegner versuchte er bereits in den 1930er Jahren mit einem Pistolenschuß zu ermorden. In den schwedischen Presseberichten über den Straßburger Skandal wird die Schlüsselrolle des Gestapomannes fast ausnahmslos verschwiegen, nachdem die Staatsanwaltschaft wegen einer Enthüllung im liberalen Massenblatt EXPRESSEN einen groben Übergriff auf die Pressefreiheit begangen hatte, um ihre Zusammenarbeit mit dem SS-Offizier zu vertuschen. Kein Reichstagsabgeordneter wagte eine Anfrage wegen des Verfassungsbruches des Generalstaatsanwaltes mit dem SS-Verbrecher.

In den Berichten der BRD-Presse über den Justizskandal wird der SS- Mann höchstens beiläufig erwähnt. Dabei wäre ohne seine Hilfe die Verurteilung schon 1982 fällig gewesen. So wurden die betrogenen MR-Kommissionsmitglieder zu mitwissenden Komplizen und die Brüche der Menschenrechtskonvention konnten fortgesetzt werden - unter Begünstigung der betrogenen MR-Kommission.

Mit freundlichen Grüßen (Name bekannt)"

  • 1Jüngere Politiker mit radikalen Ideen werden gelegentlich als „Jungtürken“ bezeichnet. Im Englischen war die Bezeichnung „Young Turks“ gebräuchlich. In Deutschland bekannt waren die „Jungtürken der FDP“ um die nordrhein-westfälischen Politiker Walter Scheel, Wolfgang Döring und Willi Weyer. Ein US-amerikanisches Medien-Netzwerk wählte den Namen „The Young Turks“ in Anlehnung an die historische Jüngtürkenbewegung.
  • 2Hasso Eccard von Manteuffel war Nazi-General im Zweiten Weltkrieg sowie Politiker (FDP, FVP, DP) und von 1953 bis 1957 Mitglied des Deutschen Bundestages.
  • 3Der Bundestagsabgeordnete und Vertriebenenfunktionär Siegfried Zoglmann war Funktionär der Hitlerjugend und Obersturmführer der Waffen-SS
  • 4Der Schwede Carl S. Edquist war SS-Obersturmführer, Mitarbeiter des SD und Doppelagent. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges am 30. April 1945 wurde er in Niederdorf (italienisch Villabassa) von Soldaten der Wehrmacht als Geisel bzw. Sonderhäftlinge aus den Händen eines SS-Kommandos befreit.
  • 5Otto Skorzeny war ein österreichischer Offizier der Waffen-SS. Bekannt wurde er durch seine Beteiligung an der Befreiung des unter Arrest gestellten italienischen Diktators Benito Mussolini. Er gründete 1966 die Neonazibewegung "Círculo Español de Amigos de Europa" (CEDADE).