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Scheitern als Chance - Vor einer Zukunft ohne Verfassungsschutz?

Rechtsanwalt Sönke Hilbrans
Einleitung

Wer immer Vorschläge für Veränderungen beim Verfassungsschutz machen wollte, wird jetzt Gehör finden. Sogar der Bundesinnenminister sieht Anlass, die Geheimdienste insgesamt neu aufzustellen und »für Transparenz zu sorgen«.1  Auf dem Markt der Möglichkeiten geht im Moment vieles. Vor allem viele Phrasen. Geht auch fortschrittliches?

  • 1Interview in Der Spiegel Nr. 38/2012.

Schrecksekunden in den Bürokratien

Mehr als 13 Jahre Nationalsozialistischer Untergrund, eine entsetzliche Blutspur und mit menschlichem Versagen nicht mehr zu erklärende Vertuschungsversuche haben das öffentliche Ansehen der Verfassungsschutz­ämter massiv beschädigt. Denn vor allem sie waren es, die jahrelang im Täterumfeld ihre V-Leute platziert hatten und dieses Umfeld durch die Honorierung von Spitzeldiensten und Warnungen vor polizeilichen Maßnahmen gefördert haben. Auch wenn die besorgte Öffentlichkeit bisher umsonst der Nachricht entgegenzittert, dass ein Mitglied des innersten Zirkel um den NSU auf der Gehaltsliste eines Dienstes stand, ist doch klar: exzessive Geheimhaltung an der falschen Stelle, kollidierende Interessen verschiedener Behörden und der unbedingte Wille der meisten Ermittler_innen, bei den Opfern selbst den Schlüssel zur Tat zu finden, haben den Weg für den NSU freigehalten. Die Reaktionen der politisch Verantwortlichen fielen dem­entsprechend aus: Mehr Behör­denchefs als sonst dürften frühzeitig den Weg in den verdienten Ruhestand antreten und auch mehr parlamentarische Untersuchungsgremien als üblich müssen nun feststellen, dass in viel größerem Umfang als sowieso gewohnt die relevanten Akten zurückgehalten werden oder gar in letzter Sekunde im Schredder landeten. Wie es dazu kommen konnte, wird freilich angesichts tausender Aktenordner mit Material verschiedenster Behörden und Dienste so breit wie noch nie bei einem Geheimdienstskandal aufgeklärt werden können. Theoretisch jedenfalls.

Mehr des Selben oder Paradigmenwechsel?

Zeit, die ersten Lösungsvorschläge zu bewerten. Zwei Strömungen sind auszumachen: Die Reformer_innen und die Abolitionist_innen. Erstere, zumeist einem Regierungslager zugehörig, sehen oft nur so aus als ob. Sie setzen offen auf Zentralisierung, Professionalisierung und möglichst schrankenlose Kommunikation unter den Sicherheitsbehörden. Unter dem entsprechenden Applaus nahm die – bürgerrechtlich aus guten Gründen umstrittene1 – Rechtsextremismus-Datei (RED) ihren so genannten Wirkbetrieb auf. Freilich ist die Effektivität ihres Vorbildes – der gegen islamische Terrorist_innen in Stellung gebrachten Anti-Terror-Datei (ATD) – bislang nicht belegt und trägt die RED auch die bürger_innenrechtlichen Makel ihrer älteren Schwester. Vor allem aber: Die Geheimhaltung gerade der wichtigsten, struktur- oder täternahen Informationen auch gegenüber anderen Behörden gehört zur Funktionsbedingung nachrichtendienstlicher Arbeit. Diese Geheimhaltung müssten alle beteiligten Stellen aufzugeben bereit sein, wenn wirklich neue Informationen übermittelt und Zusammenhänge erkennbar werden sollen. Es ist außerdem auch im Computerzeitalter schlicht nicht möglich, eine extrem rechte Tatmotivation zu erkennen, wenn man sie nicht sehen will und seine Fehleinschätzungen auf Vorurteile gründet.2

Noch bevor der Nebel um den NSU gelichtet ist oder auch nicht, bahnt sich damit ein weiterer Durchmarsch der sicherheitspolitischen Refor­m-er_innen mit ihren bekannten Strategien an, mühselig getarnt durch das eine oder andere Büßerhemd. Dabei war die dateienmäßige Erfassung von extremen Rechten jeder Couleur und ihrer Beobachtung durch eigens dafür geschaffene Gremien in den letzten 20 Jahren keine Erfolgsgeschichte, sondern bestenfalls eine solche von aktionistischem Versuch und spät eingestandenem Irrtum.3 Die RED und der neue runde Tisch der Polizeibehörden und Geheimdienste – das »Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus« (GAR) beim Bundeskriminalamt in Meckenheim – bewegen sich zwar auf der Linie aktueller Sicherheitspolitik, werden aber den Scharfsinn von Ermittler_innen nicht zu neuen Ufern führen. Der NSU mag allenfalls für die Reformer_innen ein weiteres Vehikel werden, um das Verfassungsgebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten weiter zu relativieren. Außer­dem werden die Zusammenlegung von Verfassungsschutzämtern in den Bundesländern und eine Sachleitungsbefugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz in Fällen überregionaler Bedeutung – wie es sie für das Bundeskriminalamt beim polizeilichen Staatsschutz schon gibt – diskutiert.

Dass die vorhandenen Kontrollmechanismen für die Geheimdienste unzureichend sind, liegt auf der Hand: Schon die enorme Zeit und Mühen, welche mehrere Untersuchungsausschüsse jetzt erstmals aufwenden, um das Geschehen um den NSU überhaupt zu rekonstruieren,4 zeigt, wie ineffektiv Dienstaufsicht und parlamentarische Kontrolle bei allen Sicherheitsbehörden bislang gewesen sein müssen.

Selbst wenn eine Zentralisierung zu kostengünstigeren und schlagkräftigeren Behörden führen würde, hätte das seinen Preis: Die parlamentarische Kontrolle von Verfassungsschutzämtern, die für mehrere Bundesländer zuständig sind, müsste ebenso wie ihre Anbindung an die verschiedenen Landesregierungen erst noch erfunden werden: Sollten demnächst bayerische Landtagsabgeordnete einen in Sachsen tätigen thüringischen Beamten kontrollieren? Schon bei der Antiterror-Datei gibt es Konflikte bei der Datenschutzkontrolle, weil Bund und Länder sich von den Kontrollorganen anderer Stellen nicht in die Karten schauen lassen wollten. Es gilt die Devise: Zusammenarbeit der Exekutive ja, Kontrolle durch die Kontrollorgane der Partner: Nein.

Insgesamt alles andere als ein Ausblick auf einen demokratischeren, besseren Verfassungsschutz.

Es darf geträumt werden: was kommt nach dem Verfassungsschutz?

Aufbruchstimmung herrscht erstmals seit Jahrzehnten im Lager der Abolitionist_innen, denen die Geschichte von links betrachtet im Augenblick mehr Recht zu geben scheint. Ihre Vorschläge lassen sich auf den ersten Blick erkennen: Abschaffung der Verfassungsschutzämter oder – mit Blick auf das geltende Bundesrecht – Umformung zu nicht-nachrichtendienstlichen Dokumentations- und Aufklä­rungsstellen, weitgehender Personalaustausch und Überführung etwa vorhandenen Sachverstands und operativer Mittel in die Polizei. Ja, so könnte sie aussehen, die »Sicherheitsarchitektur« einer demokratischeren Zukunft. Es spricht vieles dafür, dass sich die dadurch entstehenden »Sicherheitslücken« aushalten lassen, zumal der Schutz individueller Grund- und Menschenrechte und die Gefahrenabwehr auf der Agenda des Verfassungsschutzes ohnehin weit hinten stehen. Die Erwartung, dass der Verfassungsschutz Fahndungserfolge herbeiführen sollte, war schon in der Vergangenheit rechtlich nicht gerechtfertigt und sachlich, wie der NSU gezeigt hat, erst Recht nicht begründet, wenn er gegen Rechts wirksam werden sollte. Skepsis bleibt freilich angebracht: Mensch kann dem real existierenden Verfassungsschutz auch heute keine »gute« Polizei gegenüber stellen, welche letztlich mit den gleichen Methoden operiert und im Vorfeld von Straftaten oder Gefahren nicht einmal eine erheblich höhere Reizschwelle hat. Es war auch die Polizei, die auf dem rechten Auge gleich total erblindet war, als es um die Motive für die Mordserie des NSU ging. Die Chancen, für den Risikofaktor Verfassungsschutz ein geeignetes Endlager zu finden, stünden – politischen Willen vorausgesetzt – trotzdem gut.