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Sachsen rockt.

Einleitung

Nach Pfingsten 2005 liegt ein ganz gewöhnliches Wochenende hinter der sächsischen Neonaziszene. Am 14. Mai traten in Mehlteuer bei Riesa die Rechtsrock-Bands »Kraftschlag«, »Agitator«, »Gegenschlag« und »Frontalkraft« vor wenigen hundert Neonazis bei einem NPD-Konzert auf.

Dieses »Lunikoff«-Konzert, welches Anfang April 2005 in Pößneck stattfand, war ursprünglich in der Diskothek »Wodan« geplant gewesen.

Einen Tag darauf wollte der Dresdner Karsten Sch. in Großdrebnitz bei Bischofswerda seinen 20. Geburtstag mit den rechten Bands »Absurd«, »Propaganda«, »Bleeding Through«, »Sachsonia« und »Racial Purity« vorfeiern. Er wollte. Schon vor Monaten hatten antifaschistische HackerInnen E-Mailaccounts des ostsächsischen Neonazis Steve Tr. gehackt. Just an diesen wandte sich Karsten Sch. nun mit der Bitte um Unterstützung bei der Suche nach einer Lokalität.

Da Steve Tr. aber zu der Zeit im Urlaub weilte, verwies er auf einen »Kameraden«, der helfen sollte. So wurde Karsten Sch. via E-Mail ein Raum angeboten und nach ein, zwei Telefonaten war der Ort festgemacht. Als Karsten Sch. dann mit Bands, dem NPD-MdL Klaus Menzel und seinem Anwalt am Ort des Geschehens eintraf, war niemand da. Das Konzert musste ausfallen.

Sachsen boomt

Trotz dieses Erfolges folgt in Sachsen ein Konzert dem Anderen und die Szene ist aktiv wie nie zuvor. Allein für das Jahr 2004 zählten AntifaschistInnen etwa 45 Neonazi-Konzerte in Sachsen, offizielle Stellen gerade mal die Hälfte. Und 2005 hält dieser Trend unvermindert an. Der Einzug von 12 NPD-Abgeordneten in den sächsischen Landtag brachte dabei deutlich Bewegung ins Spiel. Die Partei begann Konzerte als politische Rednerveranstaltungen mit musikalischer Begleitung unter dem Motto »Singen und Tanzen für Deutschland« durchzuführen.

Diese Konzerte stellen insofern eine Besonderheit dar, als sie versuchen, den in Sachsen geltenden »Konzerterlass« des Innenministeriums zu umgehen. Dieser weist an, dass rechtsextremistische Skinheadkonzerte polizeilich zu unterbinden, bzw. aufzulösen sind. Im Falle von »Singen und Tanzen für Deutschland« greift dieser Erlass jedoch nicht mehr. Die Konzerte wurden von Sascha Wagner für die »Jungen Nationaldemokraten« als Parteiveranstaltung deklariert und durch anwesende Landtagsabgeordnete, z.B. Klaus Menzel begleitet.

So trat im November 2004 Michael »Lunikoff« Regener, der Ex-Sänger der Neonaziband »Landser« vor, nach Polizeiangaben, 800 Neonazis auf. Die Veranstalter gaben 1.700 Konzertbesucher an. Auch zum darauf folgenden Konzert kamen immer noch mehrere Hundert und als im Februar dieses Jahres die NSBM-(NS-Blackmetal) Band Totenburg aus Thüringen spielen sollte, dies aber polizeilich untersagt wurde, waren laut Veranstalter 1.400 zahlende Gäste gekommen.

Ort des musikalischen Geschehens war die einschlägig bekannte Diskothek »Wodan« in Mücka. Der Pächter Erik Myrtha räumte im Februar freimütig ein, NPD-Mitglied werden zu wollen. Seit Ende März ist ihm die Nutzung nun gekündigt. Er hatte trotz Insolvenzverwaltung unautorisiert das Gewerbe an seine Frau Annett Myrtha unterverpachtet. Nach dem Verlust des Objektes in Ostsachsen sind nun beide als Neubetreiber des Schützenhauses in Pößneck im Gespräch.

Interessant ist dabei, dass auch das »Lunikoff«-Konzert, welches Anfang April in Pößneck stattgefunden hatte, ursprünglich in der Diskothek »Wodan« geplant war. Darauf verweist nicht nur das Auftreten von Sascha Wagner als Veranstalter wie bereits bei den Konzerten in Mücka. Es geht auch aus E-Mails hervor, welche der Mitveranstalter Steve Tr. aus Bautzen verschickte. Unter dem Pseudonym VARGXXXX – eine Hommage an Varg Vikernes, den Sänger der schwedischen NSBM-Band »Burzum« – teilte er via Rundbrief mit: »Wieder im Wodan in Mücka: Lunikoff spielt Anfang März noch mal bei uns...«

Schlussendlich verschob sich das Abschiedskonzert dann um einige Wochen. Ein anderes von Steve Tr. geplantes Konzert mit der NSBM-Band »Absurd«, das am 9. April in Mücka stattfinden sollte, wurde abgesagt. Steve Tr. hatte das Konzert freimütig über seine Homepage Vargsmal.de und via E-mail beworben. Interessierte konnten sich per Mail auf die Gästeliste setzen lassen. Nachdem Hacker aber interne Mails und persönliche Daten von Steve Tr. und eine Gästeliste mit zahlreichen Namen und Adressen auf Indymedia veröffentlichten, sagten »Absurd« genervt ab.

Immerhin 2.000 Euro Gage hatten sie zuvor noch verlangt. Seither gingen Steve Tr.'s Aktivitäten spürbar zurück. Stattdessen geht Karsten Sch. in die Offensive. Er arbeitet bereits seit Monaten an dem Projekt »Unabhängige Schülerzeitung«. Diese soll bundesweit an Schulen verteilt werden und in entsprechend großer Auflage von 25.000 Stück erscheinen.

Um das nötige Geld aufzutreiben, versucht er monatlich Soli-Konzerte durchzuführen. Bisher fanden diese in Borthen bei Dresden statt und wie bereits beschrieben, war zuletzt ein Soli-Konzert in Großdrebnitz geplant. Nach eigenen Angaben hatte Karsten Sch. vor seinem Fauxpas die Hälfte des für die erste Ausgabe nötigen Geldes beisammen. Danach dürfte die Summe jedoch eher weniger als mehr geworden sein.

Reiselustige Neonazis

Neben dem ohnehin schon umfangreichen Konzertangebot in Sachsen gibt es auch die Möglichkeit, Konzerte im Nachbarland Tschechien zu besuchen. So fand am 26. März ein von der »Blood&Honour-Division Bohemia« veranstaltetes Konzert mit den Bands »Race Riot« (GER), »Conflict 88« (CZ), »Before the war« (SL), »Max Resist« (US) und »Final War« (US) in Jablonnev Podjestedi statt. Von den rund 400 KonzertbesucherInnen war ein Großteil aus Deutschland angereist, vornehmlich aus Sachsen und Thüringen.

Einen Tag später sollten die US-Bands noch bei einem Konzert in der Nähe von Chemnitz auftreten, was polizeilich verhindert wurde. In keinem anderen Bundesland bestehen so viele und kontinuierliche Möglichkeiten Neonazikonzerte durch zuführen. Der Konzerterlass bewirkt da nur wenig, denn die meisten Konzerte sind bei der Polizei nicht rechtzeitig bekannt, bzw. werden erst aufgelöst, wenn bereits alles vorbei ist.

Und wenn dann die NPD oder die JN einspringt, um Konzerte als politische Rednerveranstaltungen anzumelden, wird dieser Erlass gänzlich umgangen. Mittlerweile versucht die sächsische NPD die Neonazimusikszene auch mittels Anfragen im sächsischen Landtag zu unterstützen. Allein im April 2005 stellte der NPD-MdL Uwe Leichsenring fünf kleine Anfragen zum Thema »Durchführung und Auflösung von Skinheadkonzerten in Sachsen«.

Diese bezogen sich einmal allgemein auf diesen Konzerterlass und damit begründete Konzertauflösungen, zum anderen konkret auf die Auflösung eines Konzerts am 5. März in der Diskothek »Wodan«. Auch dieses Konzert war als politische Veranstaltung der JN deklariert. Entsprechend groß war auch die Empörung bei der NPD über den Polizeieinsatz. Auch in Bundesländern wie Hamburg bemühen sich Neonazis ihren Konzerten einen legalen Rahmen zu geben und die gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.

Ein Neonazi, der gegen die Beendigung eines von ihm organisierten Konzertes Rechtsmittel eingelegt hatte, bekam vor Gericht Schadensersatz zugesprochen. Die Polizei hatte im Februar 2001 am Ende des Konzertes den Saal gestürmt und, da es sich um eine getarnte Blood&Honour-Veranstaltung handele, die Feier aufgelöst. Das Oberverwaltungsgericht erklärte das polizeiliche Vorgehen für rechtswidrig. Nach einem Vergleich zahlte die Polizei 1.200 EUR Schadenersatz.