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Rechtsruck in der Schweiz

Einleitung

Nun ist es bereits eine Weile her und die anfänglichen Wellen haben sich gelegt. Am 24. Oktober des vergangenen Jahres erzielte die national-konservative Schweizerische Volkspartei bei den Parlamentswahlen in der Schweiz einen Gewinn von 17 Sitzen im 246-köpfigen Parlament. 

Bild: flickr.com; rytc/CC BY-NC-ND 2.0

Noch eindrücklicher war der Zuwachs an WählerInnenprozenten: Hier verdoppelte die SVP ihren Anteil mit einem Schlag. In den meisten Kommentaren war man sich einig. Der Erfolg der SVP stellt einen Rechtsruck in der Schweizer Parteienlandschaft dar. Doch ist dem wirklich so? Betrachtet man die Verschiebungen in der Parteienlandschaft, so stellt man das Verschwinden der rechtsextremen Ein-Themen-Parteien fest. Die zur Freiheitspartei mutierte ehemaligeAutopartei etwa hat sämtliche sieben Mandate verloren, während die traditionell einwanderungsfeindlichen Schweizer Demokraten gerade noch mit einem Abgeordneten in Bern vertreten sind. Was also ist geschehen?

Mit ihrer eindeutigen Themenführerschaft ist es der Schweizerischen Volkspartei in den vergangenen zehn Jahren gelungen, in die Gefilde der Rechtsaussen-Parteien vorzudringen und sich dort als hegemoniale Kraft zu etablieren. Haftete den Kleinparteien stets der Ruf der Extremisten an, was sich in einem überaus auf Konkordanz und Konsens bedachten System wie in der Schweiz als Hemmschuh erweist und an einem bestimmten Punkt zur Stagnation führt, so kam die SVP mit ihrer 80jährigen Geschichte und der festen Verankerung in der Mehrparteienregierung trotz zahlreichen» »Ausrutschern« am rechten Rand kaum in den Verdacht, ihren Ruf als staatstragendePartei dadurch zu ruinieren. So gesehen handelt es sich eher um eine Flurbereinigung auf der Rechten, denn um einen Rechtsruck. Ein solcher musste unter Berücksichtigung des Wandels des gesamten Parteiengefüges betrachtet werden.

Blocher und die »Europafrage«

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht stets der informelle Führer der SVP, Christoph Blocher. Der milliarden-schwere Chemieindustrielle hat sich in den vergangenen dreißig Jahren in einerdurchschnittlichen schweizerischen Politikerkarriere vom Gemeinderat bis zum Nationalrat hochgearbeitet. Innerhalb der SVP bekleidet er nur das Amt des Präsidenten der SVP des Kantons Zürich. Längst gibt er aber den ideologischen Ton an. Seit 1989, als es auch in der Schweiz aufgrund der geopolitischen Umwälzung erhebliche innenpolitische Verschiebungen gab, entwickelte sich die SVP des wirtschaftsstarken Kantons Zürich zu einer sich immer selbstherrlicher gebärdenden rechtspopulistischen Opposition.

In den 40 Jahren des Kalten Krieges war der Antikommunismus eine der zentralen identitätsstiftenden ideologischen Klammern und galt als Garant für die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz. Nachdem dieser Faktor weggefallen war, entzweite sich die bürgerliche Parteienlandschaft entlang der sogenannten »Europafrage«. Für die strammen Ideologen und gestandenen Kalten Krieger war in den supranationalen Institutionen bald ein Ersatz für den abhanden gekommenen Kommunismus gefunden. Als 1993 die Schweizer Stimmbevölkerung über den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR zu befinden hatte, sah die SVP und die ihr nahe stehende Massenorganisation Aktion für eine unbahängige und neue Schweiz, deren Präsident Christoph Blocher ist, die erste Nagelprobe für gekommen. Zwar wurde der EWR-Beitritt nur hauchdünn abgelehnt, doch sahen sich die selbsternannten Neutralitätsbewahrer in ihrem Vorhaben bestätigt und beriefen sich in der Folge beijedem Vorhaben, das den Anstrich einer außenpolitischen Öffnung der Schweiz hatte, auf den »Volkswillen«, der dadurch missachtet würde.

Nachdem die SVP auf diesem Terrain eine Vorreiterrolle übernommen hatte und dank einer mobilisierungsfähigen Basis jeden Regierungsvorschlag mit direktdemokratischen Mitteln wie der Volksinitiative und dem Referendum zum Scheitern zu bringen droht, hat sich eine mehr oder weniger kohärente »Koalition der Vernunft« zwischen Sozialdemokraten, Christdemokraten und den Liberalen gebildet. Im Parlamentsbetrieb ist es so bisweilen möglich die SVP abzubremsen.

Volkspartei mit breiter Lifestylpalette

Mit dem erfolgreichen Abschneiden der SVP bei den Wahlen im Herbst ist deutlich geworden, dass es sich in keiner Weise um einen Haufen ewiggestriger Verfechter einer neutralen Schweiz handelt. In der Wirtschaftsmetropole Zürich ist es unter Jugendlichen, vornehmlich in kaufmännischen Berufen, chic, rechts zu sein und auch dazu zu stehen, SVP zu wählen oder gar Mitglied der Partei zu sein. Nichts von Bauernmief auf den Parteiveranstaltungen. Fein gekleidete junge Leute, dieihrem Vorbild Blocher nachplappern, wie es für den Wirtschaftsstandort Schweiz nur von Nutzen sein könne, wenn man sich von der EU und der UNO fernhalte.

Blocher beeindruckt: Ein Global Player, der es sich leisten kann, von den globalisierten Märkten zu profitieren und gleichzeitig eine kleine, heile Welt als wohlverdienten Rückzugsraum für die Anstrengungen als Grossindustrieller zu hegen und pflegen. Doch die traditionelle Klientel wird keineswegs vernachlässigt und mit gezielten Mobilisierungen bedient. In regelmäßigen Schaltungen erscheinen im Renommierblatt Neue Zürcher Zeitung und anderen Zeitungen Großanzeigen der SVP, wo zu sogenannten »Puurezmorge« (Bauernfrühstücke) eingeladen wird. Frühstück ist gratis, versteht sich.

In folkloristischer Atmosphäre geißelt eine lokale Parteigröße vor den ParteiseniorInnen und SympathisantInnen im Pensionärsalter wahlweise die »rot-grüne Misswirtschaft«, die »kriminellen Kosovo-Albaner« oder die »Randgruppenverhätschelung«, wie im Jargon der Volkspartei jegliche sozialen Projekte tituliert werden. Als Hauptschuldige wird stets die »Classe politique« (politische Klasse) zielsicher geortet. Die Darstellung von Politikerinnen und Bevölkerungen als unvereinbarer Gegensatz hat in einer Aussage Blochers anlässlich seiner Neujahrsrede gegipfelt: »Dabei hat das Schweizer Volk in allererster Linie das Recht, von seinen Politikern in Ruhe gelassen zu werden.« Blocher selbst stellt sich gerne als Volkstribun dar, der die Meinung der »kleinen Leute« vertritt und den nach seiner Ansicht »etablierten« Politikern ans Bein pinkelt.

Abwarten und Tee trinken

Im Gegensatz zu Frankreich und Österreich, wo schon mal mehrere zehntausend Menschen auf die Straße gehen, um der Politik der FPÖ oder des Front National eine Absage zu erteilen, ist in der Schweiz bislang keine ernstzunehmende Protestbewegung gegen Blocher und die SVP entstanden. Antifa-Mobilisierungen richten sich weiterhin in erster Linie gegen Nazi-Skinheads und deren Strukturen. Blocher wird zwar stets mitgemeint, sei es als Hintermann, Orientierungspunkt für die gesamte rechtsextreme Szene oder schlicht als Metapher für alles Böse. Erstes und bisher einziges Mal, als so etwas wie eine Massenmobilisierung der SVP Paroli bieten konnte, war anlässlich eines Aufmarsches der SVP im Herbst vor vier Jahren. Damals gelang es mit einer breiten Palette von Aktionen, organisiert von Sozialdemokraten bis hin zur Antifa und autonomen Strukturen, den Auftritt der SVP massiv zu beeinträchtigen und in der Öffentlichkeit das Bild eines breiten Bündnisses zu erzeugen.

Doch seither ist es ruhig geblieben. Nicht zuletzt die breite – zumindest verbal bekundete – Ablehnung der Politik von Blocher und SVP könnten gerade ein Hindernis für eine kontinuierliche Mobilisierung sein. Leicht entsteht so der Eindruck, dass der SVP in den Parlamenten der Wind steif genug entgegenschlägt, so dass nicht weiter hinterfragt werden muss, ob die Scheingefechte, die sich die Parteien liefern, nicht letztlich systemimmanent und der SVP durchaus willkommen sind, damit sie so die Grenzen des Tolerierbaren ausloten und weiter nach rechts verschieben kann.