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RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien

Musik als Schlüssel zum gesellschaftlichen Mainstream

Schon mit dem ersten Blick auf Umfang und Preis des Buches wird klar, hier wurde an einem neuen Standardwerk zum Thema Rechtsextremismus gearbeitet. Unter dem Titel »RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien« geht es nicht um den verengenden Blick auf eine bestimmten Musikrichtung, sondern um Zusammenhänge zwischen Kulturbereichen und organisiertem Rechtsextremismus. Dabei ist RechtsRock nicht mehr Frage eines musikalisches Stiles, sondern ein strategisches Unternehmen zur Verbreiterung und Stärkung einer rechten Bewegung. Im ersten Abschnitt »Bestandsaufnahme« versammeln sich alle relevanten Facetten des RechtsRock-Netzwerkes, von den Anfängen der Skinheadsubkultur und bis hin zur kadergeführten Strategiediskussion mittels ideologisch aufgeladener Musik einen vorpolitischen Raum zu erschließen. Die umfassende Darstellung verdanken die LeserInnen in diesem Teil nicht nur der Konzeption der beiden Herausgeber Christian Dornbusch und Jan Raabe, die den Sammelband nicht ganz unbescheiden als ein Resümee »ihrer« fast zehnjährigen Arbeit am Thema vorstellen, sondern auch einer Vielzahl von Autorinnen und Autoren aus antifaschistischen Initiativen, Archiven, Bildungsvereinen oder mit universitärer Anbindung. Neben dem hochkonzentrierten Einleitungsartikel der Herausgeber, in dem sie die Erfolgsgeschichte rechter Musik chronologisieren, ist besonders der Artikel »Deutschland im September« von Michael Weiss hervorzuheben. Der stilistische Kunstgriff, sich das Zeitfenster eines Monats in Deutschland zu wählen, ermöglicht den LeserInnen den Einblick in einen »Riesenmorast aus Verhetzung, Verrohung und Geschichtslügen« (S.72). Der sich trotz wiederholter soziologischer Widerlegung hartnäckig haltende Mythos des durch Arbeitslosigkeit zum Nazi gewordenen jungen Ostdeutschen wird im Beitrag der Journalistin Heike Kleffner weiter demontiert. In »RechtsRock vor Ort« untersucht sie die Genese von Konzerten und rechter Organisierung am Beispiel von Klein Bünzow und Lüneburg und die Vergleichbarkeit regionaler Bedingungen in Ost- und Westdeutschland. Die Erlebniswelt klandestiner Massenkonzerte und die soziale Bindungskraft freier Kameradschaften liefern Erklärungsmuster für die Virulenz der rechten Szene. Spätestens hier hätte eine analytische Trennung der Beiträge über Erscheinungsformen und über Bedingungen gut getan. Zumindest hätte man den Beitrag von Alexander Häusler, der sich ohne erkennbare Reihenfolge in die weiteren Beiträge u.a. zur Dark-Wave- und Black-Metal-Szene, Fanzine-Analyse, zur Bedeutung von Frauen in der Szene und internationalen Beziehungen einreiht, an den Schluß des ersten Buchteils setzen können. In »Szene, Stil, Subkultur oder Bewegung?« verweist Häusler auf die politische Instrumentalisierung wissenschaftlicher Theoriebildung, wenn Links und Rechts als extremistische Ränder einer ansonsten nicht kritisch reflektierten gesellschaftlichen Ordnung verhandelt werden. Entgegen der Totalitarismusfalle bewegt sich auch seine Einschätzung rechtsextremer Aktivitäten als beginnende »Völkische Bewegung«. Nur indem man die analytische Gleichsetzung als »Protest-Bewegung« im Sinne der Friedens- und Umweltbewegung zurückweist, wird man faschistischer Ideologie gerecht. In ihr geht es nicht um die Ablehnung, »sondern (um die) reaktionäre Zuspitzung hegemonialer sozioökonomischer und ideologischer Wertmuster« (S.270). Die Auswahl der im zweiten Teil »Gegenstrategien« versammelten Beiträge reicht von staatlichen Konzepten gegen Rechts, über das Projekt Brothers und Sisters Keepers bis hin zum Antifaschistischen Infoblatt (AIB). Irritierend ist in diesem schmalsten Abschnitt des Buches der redundante Ruf nach der Zivilgesellschaft, in einem Land, in dem Rechtsextremismus ohne die Mitte der Gesellschaft nicht denkbar ist. Hier scheint das Buch fast im Nachhall des sogenannten Antifasommers des Jahres 2000 zu stehen, den auch antifaschistische Initiativen mit einer Mischung aus Skepsis, Hoffnung und Pragmatismus verfolgten. Den Schwerpunkt institutioneller Bildungsarbeit bei der Auswahl der Beiträge begründen die Herausgeber allerdings hinlänglich. RechtsRock allein macht Jugendliche nicht zu Nazis, »ob Jugendliche ... die Musik hören wollen, geht von ihnen selbst aus« (S. 313). Erst mit dem Andocken an gelernte Stereotype verfestigt sich ein rechtsextremes Weltbild. Im dritten Teil »Verzeichnisse und Register« hat das Wühlen im braunen »Riesenmorast« umfassende Verzeichnisse zu Symbolik, Bands, Labels und Fanzines ermöglicht. Neben der obligatorischen Bibliographie fehlt ein Adressenverzeichnis von Initiativen gegen Rassismus und Rechtsextremismus ebenso wenig wie ein Personen- und Sachregister. In Zusammenhang mit der Relevanz der Recherche im Teil »Bestandsaufnahme« stärkt der dritte Teil von »RechtsRock« die Anlage des Buches zum einschlägigen Handbuch.

Christian Dornbusch, Jan Raabe (Hg.)
RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien,
Münster: rat/ Unrast 2002.
ISBN 3-89771-808-1