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Rechter Konsens in Königs Wusterhausen

Einleitung

Am 25. September 1998 um 23 Uhr steigt der dunkelhäutige William Z. aus Berlin kommend am Bahnhof Königs Wusterhausen (KW) aus der S-Bahn. Noch auf dem Bahnsteig greifen ihn drei Männer an. Unter »Nigger raus!"-Rufen schlagen sie auf ihr Opfer ein. Trotzdem gelingt es William Z., durch den kurzen Bahnhofstunnel auf den Bahnhofsvorplatz zu flüchten. Einen der dort wartenden Taxifahrer bittet William Z., die Polizei zu rufen. Obwohl die drei Angreifer hinter ihm her rennen, ist »Verschwinde!« der einzige Kommentar des Taxifahrers. Ihr Opfer wegen der nicht erfolgten Hilfe verhöhnend, schlagen und treten die Männer erneut auf William Z. ein. Einige Tage später meldet sich die Polizeidienststelle KW telefonisch bei Familie Z. in Berlin. Nach dem Gespräch legt der Beamte den Hörer nicht richtig auf, wodurch man auf der Kassette des Anrufbeantworters von Familie Z. dem weiteren Gespräch der Beamten auf der Wache folgen kann: William spreche »so richtiges Neger-Englisch«, aber wegen ihm »werde hier kein Dolmetscher geholt«. Ebenfalls im September 1998 werden zwei Schüler der Blindenschule in der Kleinstadt von drei jugendlichen Rechten bespuckt und bedroht.

Der Neonazi-Aktivist Sebastian L. (vorne mittig) aus KW bei einer Neonazi-Demonstration in Berlin.

Alltägliche Vorfälle in Königs Wusterhausen und Umgebung, das seit Beginn der 1990er Jahre als rechte Hochburg und Rückzugsgebiet für Neonazis gilt1 . Insgesamt fünf Morde und unzählige Überfälle gehen auf das Konto der mehrere hundert Personen umfassenden Neonazi-Szene.2 Ein Knotenpunkt, der aktuell immer wieder genannt, wenn es um die rechte Jugendszene im Ort geht, ist der Jugendclub Oase. Am 16. Oktober 1998 fand eine antifaschistische Demonstration unter dem Motto »Den faschistischen Strukturen in KW und anderswo entgegentreten - Grabt der »Oase« das Wasser ab!« statt, die sich bereits im Vorfeld zum Stich ins Wespennest entwickelte und an der sich 700 Menschen beteiligten.

"Akzeptierende Sozialarbeit" mit Rechten

Die Oase ist ein Jugendclub, in dem nach dem umstrittenen Ansatz der »akzeptierenden Jugendsozialarbeit« gearbeitet wird, was gerade in der Region um KW auf eine direkte Unterstützung für die Rechten und Neonazis hinausläuft. Der Club wird, nachdem vor Jahren alle nichtrechten Jugendlichen vertrieben wurden, fast ausschließlich von Rechten besucht und gilt vor Ort als eine Art überregional bekannter rechter Treffpunkt. Auch ältere Neonazis sollen hier auf ihren "Nachwuchs" treffen können. KWer AntifaschistInnen berichteten, das hier Neonazi-Anführer Propaganda verteilen haben sollen und die Oase als eine Art Treffpunkt zur Mobilisierung und Rekrutierung betrachten würden.

Der Neonazi Michael M. soll so durch die Oase in die Kreise der lokalen Kameradschaft "United Skins" gelangt sein. Diese Kameradschaft soll 1997 u.a. von Ralf L., Markolf B., Daniel G. und Maik Fischer intiiert worden seien. Maik Fischer und Sylvia Fischer (ehemals Sylvia Endres) treten für das Neonazi-Fanzine "Der Weisse Wolf" in Erscheinung. Beide sind bundesweit gut vernetzt. Kaum verwunderlich, das Michael M. mittlerweile spontan bis zu 20 »Kameraden« mobilisieren kann. Bei überregionalen Aktionen wurde Michael M. wiederholt zusammen mit dem ehemaligen harten Kern der verbotenen "Nationalistischen Front" (NF) aus KW gesehen. Der nächste "Generationwechsel" innerhalb der KWer Neonazi-Szene dürfte also ohne Brüche realisiert worden sein.

Gewalt von rechts in der rechten Wohlfühlzone

Im Frühjahr 1997 erschlugen fünf Neonazis im Alter von 15 bis 21 Jahren den Frührentner August B. Alle fünf besuchten bis zu ihrer Inhaftierung den Jugendclub Oase. Im Februar 1998 überfielen vier Neonazis mit Eisenstangen zwei geistig Behinderte und mißhandelten diese schwer. Vor Gericht gaben die beiden jüngeren Täter an, ihre Freizeit im Jugendclub Oase zu verbringen. Der Jugendclub Oase gilt für lokale AntifaschistInnen als ein Bestandteil einer fest organisierten Neonazi-Struktur und einer breiten rechten Jugend-Szene, die sich über Jahre ungestört entwickeln konnten. Durch Dulden und Ignorieren der Stärke der Neonazis, aus Angst vor negativen Schlagzeilen und Störungen der Kleinstadtruhe hat sich in KW eine Koalition des Stillschweigens aus fast allen gesellschaftlichen und politischen Kräften gefunden.

Widerstand gegen Antifa-Demo im Vorfeld

Dementsprechend sorgte die Ankündigung der Antifa-Demo am 16. Oktober 1998 für einigen Aufruhr: Zeitgleich mit der Antifa-Demo meldete der Nazi Marko H. eine Gegendemonstration an. Die Anmeldung wurde jedoch zurückgezogen, als feststand, daß die Antifa-Demo nicht an der Oase vorbeigehen durfte. Die direkte Unterstützung von Marco H. für die Oase kann als eine Art klare Positionierung verstanden werden. Immerhin gelten Marco H. und Ralf L. als regionalen Anhänger des "Blood & Honour" Netzwerkes. Laut Berichten aus der Szene sollen sie gemeinsam mit dem lokalen Neonazi-Chef Carsten Szczepanski zu B&H-Treffen nach Sachsen gefahren sein.

Aktivisten der "United Skins" postierten sich vor linken Treffpunkten, fotografierten alternative Jugendliche und versuchten, lokale Initiatoren der Demonstration zu ermitteln. Doch auch von allen anderen Seiten wurde das Anliegen der AntifaschistInnen im Vorfeld angegriffen: Die Demonstration sei überflüssig und provozierend, KW sei keine rechtsradikale Hochburg, ließ der Bürgermeister Jochen Wagner (SPD) verkünden. Die lokalen Medien, allen voran die "Märkische Allgemeine Zeitung" (MAZ), schürten eine Anti-Demo-Stimmung durch Artikel, in denen sie von zu erwartenden »Chaostagen« sprachen. Und selbst die vor Ort relativ starke PDS startete eine Initiative, die sich gegen "Gewalt von rechts und links" richtete. In ihrer Presseerklärung hieß es, daß sich der PDS-Gebietsvorstand von solch »unzivilisierten Mitteln« wie einer Antifa-Demo distanziert.

Die Demonstration, an der sich auch etwa 100 Menschen aus KW und Umgebung beteiligten, fand dennoch statt und wurde von einem martialischen Polizeiaufgebot begleitet. Am Rande versuchten einige Neonazis, TeilnehmerInnen zu provozieren und filmen. Vor Ort fielen unter anderem die regionalen Neonazi-Aktivisten Sebastian L. und Marco L. auf. Auch Marco L. soll aus der "Blood & Honour"-Szene stammen und könnte laut Einschätzungen lokaler AntifaschistInnen der Autor "Marko aus Wildau" aus dem KWer Neonazi-Fanzine "United Skins" sein. Mit Markolf B. wurde eine KWer Neonazi-Aktivist der ersten Stunde von AntifaschistInnen vertrieben, als er versuchte, DemonstrantInnen zu filmen. Markolf B. fiel schon 1991 als Fahnenträger der NF beim Neonazi-Aufmarsch im nahe gelegenem Halbe auf.

Die Antifa Demo kratzt am rechten Konsens

Letztendlich hat die Demonstration den rechten Konsens in KW zumindest angekratzt: Durch die starke Medienresonanz und die Berichterstattung von ORB und Spiegel TV wurden die Stadt und alle anderen Beteiligten unter Druck gesetzt. Geändert hat sich bisher dennoch nicht viel: Am 2. November 1998 wurden eine dunkelhäutige blinde Schülerin und ein sehbehinderter Schüler am Fontaneplatz in KW von drei Jungrechten bedroht und verfolgt. Der 15jährigen wurde »Niggerschlampe« und »Behindertenschwein« zugerufen, der 16jährige mußte erst wenige Wochen zuvor schon einmal vor jugendlichen Neonazis fliehen. In Panik flüchteten die beiden über eine vielbefahrene Hauptstraße und wurden dabei fast überfahren.

  • 1Vgl. u.a. AIB Nr. 31 und Nr. 44
  • 2Vgl. u.a. »Hinter den Kulissen ... Faschistische Aktivitäten im Land Brandenburg«, 1993, S.35 ff.