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Rechte im Film – Filme gegen rechts?

Einleitung

Seit Beginn der 1990er Jahre boomen Spiel- und Dokumentarfilme, die sich mit der Thematik neofaschistischer Gewaltakte, deren Motivationen und TäterInnen auseinander setzen. Da viele dieser Filme unter anderem an Schulen und in staatlich geförderten Bildungsprogrammen zum Einsatz kommen und über die Bundeszentrale für Politische Bildung verliehen werden, lohnt sich ein genauer Blick: Nach welchen Inszenierungslogiken und Erzählmustern werden neonazistische Agitationen und Aktionen in diesen Filmen dargestellt? Welches Bild vom Rechtsextremismus im postnazistischen Deutschland wird durch sie verbreitet und fortgeschrieben? Diesen Fragen geht der vorliegende Artikel anhand einiger Filmbeispiele nach.

Foto: Pressebild von credofilm

Film-Szene aus Kombat Sechzehn.

Deutsche Projektionen: (Neo-)Nazis im Spannungsfeld zwischen Identifikation und Abgrenzung

Besonders bei Spielfilmen gilt es, das Spannungsfeld zu analysieren, welches entsteht, wenn der Versuch unternommen wird, neonazistische Täter als Identifikationsfiguren für die Zuschauenden zu inszenieren. Ohne dass der Film zur Propaganda für die Anliegen der Neonazis wird, soll ihre Motivation nachvollziehbar sein. Bei vielen Spielfilmen lässt sich eine wiederkehrende Erzählstruktur aufzeigen: Die stets männliche Hauptfigur – Frauen und Mädchen tauchen in fast allen Filmen höchstens als Nebenfiguren auf – gerät aufgrund widriger Umstände in die neonazistische Szene. Da die Perspektive des Protagonisten dabei die Einzige ist, die den Zuschauenden zugänglich gemacht wird, begleiten sie ihn in den folgenden 90 Minuten auf seinem Weg vom sympathischen Jungen zum Neonazi. Die Dramaturgie des Films zielt darauf ab, sein Leiden und – damit verbunden – sein »Abgleiten« in die »rechtsextreme« Szene psychologisch zu erklären und für die Zuschauenden miterlebbar zu machen. Diese werden weniger dazu angeregt, sich mit »rechtsextremen« Ideologemen auseinander zu setzen, als mit den Hauptfiguren mitzufühlen, deren »rechtsextreme« Aktionen mit persönlichen Schicksalsschlägen entschuldet beziehungsweise im Rahmen männlicher Adoleszenskrisen verortet werden. Im Showdown am Ende des Filmes wendet sich der Protagonist gegen die Gewalttaten der Gruppe. Damit scheint die Krise bewältigt.

Doch verläuft der Rückzug aus der Szene wirklich darüber, dass die jeweilige Hauptfigur – und mit ihr die Zuschauenden – »rechtsextreme« Ideologie und deren Fragmente als menschenverachtend anerkennen und sich in allen Punkten von dieser distanzieren? Oder werden bloss die äußeren Zeichen abgelegt – Frisur, Kleidung und Clique gewechselt – während die Einstellung wenig verändert bleibt? Um dies vorwegzunehmen: Zumeist ist letzteres der Fall.

Dieses Grundmuster lässt sich deutlich am 2006 erschienenen Film KOMBAT SECHZEHN, dem ersten Spielfilm des deutschen Regisseurs Mirko Borscht, zeigen. Wie bereits im Titel angedeutet, ist sein Thema der Kampf eines sechzehnjährigen Jungen um Selbstbehauptung. Im Mittelpunkt des Teenagerdramas stehen Taekwondo-Fan Georg und sein als schicksalhaft inszenierter Weg in die »rechtsextreme« Szene. Georg, so soll deutlich werden, ist eigentlich gar kein richtiger Neonazi. Zu Beginn der Handlung hat er »sogar« eine afrodeutsche Freundin. Nach dem Umzug nach Frankfurt/Oder, wo sein alleinerziehender Vater mit dem Bau eines deutsch-polnischen Einkaufszentrums beauftragt ist, gerät sein Leben jedoch zunehmend aus der Bahn. Georgs allmählicher Anschluss an die örtliche »Kameradschaft« scheint weniger mit politischen Überzeugungen und verinnerlichten Deutungsmustern als mit dem Leiden an seiner neuen Lebenssituation zu tun zu haben.

Die Etappen seiner zunehmenden Verzweiflung verlaufen parallel zur Annäherung an eine Neonazigruppe. Der ehemals strikte Abstinenzler beginnt zu trinken und zu rauchen und fliegt nach einer Prügelorgie aus der Kampfsportgruppe um Sozialarbeiter Martin. Neonazi sein wird im Film mit zügellosem Alkoholkonsum und dumpfer Gewalt assoziiert. In entsprechenden Szenen wird das Bild graustichig und grobkörnig, Handkamerabewegungen sollen den Eindruck starker Trunkenheit vermitteln. Das positive Andere des Neonazismus ist der disziplinierte und disziplinierende Kampfsport, der im Film für Abstinenz von Alkohol und anderen Drogen, Körperbeherrschung sowie Selbstdisziplin steht. In stark ästhetisierten Aufnahmen wird das Taekwondo-Training in blühenden Mohnfeldern oder im mit Blumen, Kerzen und Buddhastatuen verzierten Dojo dargestellt. Dass die mit dem Sport assoziierten Werte schon im Nationalismus zu »deutschen Tugenden« erklärt wurden, wird durch den Fakt, dass Georgs ehemaliger Kampfsportclub von einem Afrodeutschen geleitet wird, nur notdürftig verschleiert.

Auch in den meisten anderen Filmen wird eine klare Trennung zwischen der sympathischen Identifikationsfigur und dem Rest der als dumpf und brutal dargestellten Neonazigruppe behauptet, auf die bequem alles Negative projiziert werden kann. Hier kommen Entschuldungsstrategien zum Einsatz, die nicht nur aus dem Umgang mit deutschen Tätern hinlänglich bekannt sind. Die Filme positionieren ihre »rechtsextremen« Protagonisten meist am so genannten »Rand« der Gesellschaft. Auf diese Weise kann die zentrale Frage nach deren Verankerung in den lokalen sozialen Strukturen – beziehungsweise inwieweit die von ihnen vertretenen antisemitischen, rassistischen und homophoben Ressentiments dort auf Widerhall stossen – von vornherein ausgeklammert werden. So erscheinen die Szenen, in denen sich die Figuren bewegen, in den meisten Filmen als homogen und in sich geschlossen. Synergien mit anderen gesellschaftlichen Gruppen werden weitgehend ausgeblendet.

Am deutlichsten wird dies in Daniel Schweizers Dokumentarfilm WHITE TERROR. Hier werden neonazistische Strukturen als »absurde, keinem von aussen zugängliche Welt« präsentiert, die keine personelle oder inhaltlichen Überschneidungen mit dem Rest der Gesellschaft zu haben scheint.

»Rechtsextremismus« wird durch diese Darstellungsweise nicht nur entpolitisiert: Indem die Filme die Einstellung ihrer Figuren vornehmlich als Reaktion auf psychische oder soziale Problemlagen inszenieren, erscheinen die Neonazis als Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse. Treiben in Winfried Bonengels Spielfilm FÜHRER EX die im DDR-Gefängnis erlittenen Misshandlungen die anfangs integre Hauptfigur Heiko in die Arme der Neonazis, rückt Dagmar Gellert im Dokumentarfilm TORFSTURM die desolaten Familienverhältnisse ihrer Figuren ins Zentrum. Verständnisvoll werden Neonazis zu ihren familiären Problemen, Gewalterfahrungen, Ängsten, Albträumen und Zukunftswünschen befragt. Sogar NPD-Kader Markus Privenau bekommt Raum, seine Enttäuschung über den lieblosen Vater kundzutun.

Ähnliche Entschuldungsmuster finden sich in KOMBAT SECHZEHN. Hier erfährt Georg von Sozialarbeiter Martin, dass sein Freund Thomas und dessen »Clique« ein Flüchtlingswohnheim angezündet haben. Als er den Freund zur Rede stellt, packt dieser Georg beim Kragen und droht ihm mit der Faust: »Von wegen Asylantenheim. Ein Scheiss-Polen-Puff war das. Mein Vater ist da jeden Tag hin gerannt. Mein Vater hat diese Scheiss-Polenschlampe sogar mit in den Laden genommen, einen auf Multikulti-Pisse und so nen Scheiss gemacht. Von wegen osteuropäische Aushilfskraft. Nach einem halben Jahr hat der mich und meine Mutter allein gelassen.« Er schüttelt Georg und beginnt zu weinen: »Er hat uns sitzen gelassen. Verdammte Scheisse, du weisst gar nicht wie das ist.« Georg kann mit seiner verständnisvollen Entgegnung, dass seine Mutter ihn ebenfalls verlassen habe, nicht zu ihm durchdringen. Vollkommen ausser sich schreit Thomas: »Das ist die Wahrheit. Ich hab die beiden sogar beim Ficken erwischt als meine Mutter vorne im Laden war.« Thomas’ Hass auf den Vater leuchtet auch Georg ein: »Deswegen, nur deswegen hast du das Asylantenheim angezündet! Aus Wut, nur deswegen.«

Der von seinem Freund verübte Brandanschlag scheint also weniger mit Rassismus und Xenophobie, als mit Thomas’ persönlichen Verletzungen zu tun zu haben. Wenn dieser nun in seinem Ausbruch von Wut und Verzweiflung beginnt, durch die Halle zu marschieren und dabei rechtsextreme Parolen skandiert: »Wir lassen uns das nicht mehr bieten, denn hier regiert der nationale Widerstand«, erscheint sein Neonazismus als unpolitischer Racheakt eines verletzten Jugendlichen und wird als solcher vom filmischen Diskurs entschuldet: Weinend bricht er wenig später in den Armen seiner Mutter zusammen. Die Konflikte mit seinem alleinerziehenden Vater sind für Hauptfigur Georg einer der Gründe, sich den Neonazis anzuschliessen. Insbesondere das Stereotyp des überforderten allein erziehenden Elternteils und seines »emotional verwahrlosten«, weil ohne die »Nestwärme« einer »intakten« Familie aufwachsenden Nachwuchses, steht hier im Zentrum. Dieses Erklärungsmuster taucht auch sonst in den medialen Diskursen über den Neonazismus immer wieder auf. In ihm klingen die biologistischen Konstrukte an, die unter anderem von Eva Herman vertreten werden. Es sind Ansätze, die versuchen, dem »Rechtsextremismus« die heteronormative Kleinfamilie als positives Gegenstück gegenüberzustellen. Unter heterosexistischen Vorzeichen wird so einer Opfer-Täter-Verkehrung Vorschub geleistet.

Die realen Opfer rechter Gewalt hingegen werden in den meisten Filmen unsichtbar gemacht oder erscheinen sogar als Auslöser für Ängste oder als Projektionsflächen der inneren Konflikte der Neonazis. Beides lässt sich besonders deutlich am Beispiel von AMERICAN HISTORY X zeigen, der die deutschen Produktionen sowohl inhaltlich als auch stilistisch stark beeinflusst hat. Hier werden die Afroamerikaner bis auf wenige Ausnahmen als hypermaskulin und bedrohlich dargestellt. Frauen und Mädchen werden nicht gezeigt.

Eng mit derartigen Inszenierungen von Angstprojektionen hängt zusammen, dass die meisten Filme »Rechtsextremismus« entlang der so genannten Extremismusthese darstellen. Mit ihr wird die »demokratische« »Mitte« von den »totalitären« »Rändern« auf der »linken« und »rechten« Seite abgegrenzt. Als einer der zahlreichen Kritiker dieser Auffassung bemängeln die Politikwissenschaftler Alexander Häusler und Christoph Butterwegge, dass sich im vorherrschenden Diskurs die »Ausgrenzung von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus [...] im Wesentlichen auf ganz klar als rechtsextrem (im Sinne einer Nähe zum Nationalsozialismus/Hitlerfaschismus) identifizierbare Positionen und deren Träger [beschränkt], während ihnen zugrunde liegende Ressentiments, Haltungen und Deutungsmuster weithin toleriert, verharmlost oder sogar für politische Zwecke funktionalisiert werden«. Der Verweis auf neonazistische Strukturen dient also dazu, die so genannte »Mitte der Gesellschaft« zu entschulden. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Rückzug aus der »Szene« meist darüber verläuft, dass sich die Figuren – anstatt eine Auseinandersetzung mit »rechtsextremen« Ideologemen zu durchleben – diejenigen Fähigkeiten aneignen, die sie zu einer gesellschaftlichen »Reintegration« befähigen.

Auf Grundlage der Extremismusthese werden rechtsextreme Akteure zudem oftmals mit anderen von der Norm abweichenden Gruppen gleichgesetzt. Auch dieses Muster kommt in AMERICAN HISTORY X zum Einsatz. Angesichts der in Szene gesetzten Hegemonie brutaler afroamerikanischer »Gangs« im Wohnviertel und auf dem Schulhof erscheinen die Gewalttaten der Neonazis als – wenn auch unangemessen brutale – Reaktionen. Gesellschaftliche Dominanzverhältnisse hingegen werden im Film weitgehend ausgeblendet. Dies wird dadurch untermauert, dass der filmische Diskurs die von Schwarzen begangenen Übergriffe an keiner Stelle mit nachvollziehbaren Motivationen versieht. Der Film folgt der Extremismusthese zudem dahingehend, dass der Rückzug aus neonazistischen Strukturen lediglich über die Einsicht vermittelt ist, ein Abweichen von der gesetzlichen Norm ziehe nur Gefängnisstrafen und weiteren Ärger nach sich. Doch auch wenn die Brüder Danny und Derek dies am Ende des Filmes eingesehen haben, scheitert eine Lösung des Konflikts daran, dass sich der »Hass« zwischen den verfeindeten Gruppen verselbständigt hat. Dereks kleiner Bruder Danny wird von einem afroamerikanischen Mitschüler erschossen.

Auch in den deutschen Produktionen wenden sich die beiden Hauptfiguren lediglich von der körperlichen Gewalt ab. In FÜHRER EX veranlasst ein neonazistischer Mord Tommy dazu, sich aus der rechtsextremen Szene zurückziehen. Heiko, inzwischen Neonazikader, schafft es nicht, Tommy als Verräter zu erschießen. Auch er distanziert sich von der Szene und im letzten Bild sieht man ihn mit neuer Wuschelfrisur. In KOMBAT SECHZEHN weigert sich Georg, einen wehrlosen Jungen zusammenzuschlagen. Thomas wiederum bringt es nicht über sich, Georg deshalb mit dem aus AMERICAN HISTORY X berüchtigten »Bordsteinkick« zu töten. In der letzten Sequenz sind die Freunde beim Kampfsporttraining zu sehen. Auf dem Soundtrack läuft dazu das Lied »Wenn du wirklich willst« von der als geläutert geltenden Rechtsrockband Böhse Onkelz.

Die besprochenen Filme sind also nur bedingt für antifaschistische Arbeit geeignet. Sie verweigern die inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut, entschulden die Täter und blenden die Opfer aus. Vielfach tragen sie sogar dazu bei, Fragmente nationalsozialistischer Ideologie umzudeuten und sogar als Gegenrezept darzustellen. Ausnahmen von dieser Regel finden sich nur selten. Erwähnt sei hier vor allem THE TRUTH LIES IN ROSTOCK. Anstatt die Verantwortung für die pogromartigen Ausschreitungen allein neonazistischen Gruppierungen zuzuschreiben wird hier die aktive Rolle grosser Teile der LichtenhagenerInnen deutlich.