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Rechte Hegemonie in Bückeburg

Einleitung

Schon im vergangenen Jahr (vgl. AIB Nr. 103) berichteten wir über die Kleinstadt Bückeburg im Landkreis Schaumburg in Niedersachsen, in dem über Jahrzehnte hinweg neonazistische Strukturen ungestört agieren konnten. Anlass für den letzten Artikel war zum einen die Einbindung aktionsorientierter rechter Jugendlicher in die örtliche Neonaziszene, zum anderen die Strategie von Polizei, Stadtverwaltung und Gerichten, linke Jugendliche zu kriminalisieren und Neonaziaktivitäten als Randproblem zu verharmlosen.

Ein kurzer Abriss: Seit 2006 organisieren rechte Strukturen aus dem Raum Schaumburg, Minden und Ostwestfalen den alljährlichen Neonaziaufmarsch in Bad Nenndorf. Im Rahmen dieses Events konnten Markus Winter (vgl. AIB Nr. 79) und andere Kader aktionsorientierte Jugendliche in die Arbeit des „nationalen Widerstands“ einbinden. So formierte sich 2008 die "Aktionsgruppe Bücke­burg". Die Neonazi-Kader der Region organisierten ideologische Schulungen und Partys für den Nachwuchs und festigten so die rechten Strukturen. Im Jahr 2011 gründe­ten sich die "Autonomen Nationalisten Bückeburg" (AN-Bbg). Diese wirkten durch ihr Auftreten im Stil der "Autonomen Nationalisten" mit der Adaption von linken Kleidungsstilen und Aktionsformen anziehend auf viele Jugendliche. Gleichzeitig änderte sich die Qualität der Aktionen der AN-Bbg. Einschüchterungen, Bedrohungen und gewalttätige Übergriffe auf nicht-rechte junge Menschen wurden zum Alltag an den Schulen und im öffentlichem Raum. Durch das militante Auftreten der Neonazis wurde die Innenstadt von Bückeburg zu einer „No Go Area“ für viele alternative Jugendliche. Aktionen, wie der Beschuss von deren Wohnhäusern mit Stahlkugeln sowie PKW-Jagden in den Abendstunden festigten diesen Zustand. Die Stärke der AN-Bbg wirkte anziehend auf viele Schüler_innen, die rechte Szene erlangte jugendkulturelle Hegemonie.

Die Polizei leugnete zunächst die Existenz einer organisierten rechten Szene. Als die Aktionen der Neonazis öffentlich wahrgenommen wurden, bedienten sie sich der üblichen extremismustheoretischen Herleitung und sprachen von einem „Rechts-Links-Konflikt“. Linke Sticker- und Sprühaktionen wurden so mit rechten Gewalttaten statistisch gleichgesetzt. Durch die Verschärfung der Situation und das Ausbleiben einer solidarischen Resonanz der Stadtgesellschaft auf die Pressearbeit und Demonstrationen der linken Szene organisierten sich seit 2012 junge Antifaschist_innen verstärkt selbst. Polizei und Presse werteten das als Eskalation und reagierten mit einer Null-Toleranz-Linie gegen Antifaschist_innen. Der Stadtrat schloss sich der Auslegung von Poli­zei und Staatsschutz an und verurteilte jegliche Form von Extremismus. In diesem Zuge wurden die Opfer rechter Gewalt zu den Verursachern der Eskalation in Bückeburg stilisiert.

Repression: Hausarreste, Stadtverbote und die Kleidungsverordnung

Auf die Angriffe auf Wohnhäuser alternativer Jugendlicher reagierte die Polizei ignorant und spiele sie herunter. In einem Fall wurde trotz Notrufs kein Streifenwagen zum Tatort geschickt. Stattdessen setzte die Polizei konsequent repressive Maßnahmen gegen vermeintliche Antifaschist_innen durch. Personenkontrollen wurden zur Tagesordnung, die Polizei suchte akribisch nach Anhaltspunkten für deren Kriminalisierung. Das Tragen von T-Shirts mit der Aufschrift „FCK CPS“ wurde von den Beamt_innen des Polizeikommissariats Bückeburg als Beleidigung gewertet. Jugendliche wurden bei Kontrollen dazu aufgefordert, die T-Shirts zu wechseln. In einem Fall wurde eine Betroffene bei einer abermaligen Kontrolle mit einem Anstecker der gleichen Buchstabenkombination angetroffen. Daraufhin wurde die vermeintliche Beleidigung zur Anzeige gebracht. Das Amtsgericht Bückeburg verurteilte die Frau Ende 2013 zu 15 Stunden gemeinnütziger Arbeit mit der abenteuerlichen Begründung, dass es sich bei den Polizeibeamt_innen des Polizeikommissariats Bückeburg „mit etwa 25 in Uniform diensttuenden Polizistinnen und Polizisten (...) wegen dessen überschaubarer Größe um eine hinreichend abgrenzbare Gruppe“ und damit nicht um eine straflose Kollektivbeleidigung handeln würde. Die Betroffene klagte gegen das Urteil und erhielt nun vom Bundesverfassungsgericht recht. In der Urteilsbegründung heißt es: „Der Aufdruck „FCK CPS“ ist nicht von vornherein offensichtlich inhaltslos, sondern bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es fehlt an hinreichenden Feststellungen zu den Umständen, die die Beurteilung tragen könnten, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht. Nach den dargelegten Maßstäben reicht es nicht aus, dass die örtlichen Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizisten und Polizistinnen sind. Vielmehr bedarf es einer personalisierenden Zuordnung, für die hier nichts ersichtlich ist. Es kann nicht angenommen werden, dass die dem Anstecker zu entnehmende Äußerung allein durch das Aufeinandertreffen der Beschwerdeführerin mit den kontrollierenden Polizeibeamten einen objektiv auf diese konkretisierten Aussagegehalt gewonnen hat. Der bloße Aufenthalt im öffentlichen Raum reicht nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Benennung der Umstände nicht aus, die eine aus dem Wortlaut einer Äußerung nicht erkennbare Konkretisierung bewirken.“1

In der Polizeistrategie drückte sich klar aus, wer für die Eskalation in Bückeburg verantwortlich gemacht wurde. Während sich Gruppen von Neonazis ungestört in der Stadt versammeln konnten, wurden Antifaschist_innen mit Kontrollen, Begleitungen und Platzverweisen als potentielle Gewalttäter_innen stigmatisiert. Für den Fall, dass sich Neonazis und Antifaschist_innen gleichzeitig in der Stadt aufhielten, setzte die Polizei faktische „Hausarreste“ durch. Jugendliche wurden daran gehindert, ihre Wohngemeinschaften zu verlassen. Im Zuge dessen kam es in mindestens zwei Fällen zur Stürmung der Wohnungen. Ingewahrsamnahmen, Straf­verfahren und Stadtverbote für auswärtige Jugendliche waren die Folge, während sich Neonazis frei in der Innenstadt bewegen konnten.

Kampagne Antifaschistischer Selbstschutz ist legitim und notwendig!

Die antifaschistische Intervention sorgte für mehr Sicherheit und Bewegungsfreiheit für alternative Jugendliche in Bückeburg. Durch sie gelang es, den Aktionsraum der Neo­nazis weiter einzuschränken und der Einbindung von Jugendlichen in die Neonaziszene entgegenzuwirken. Sie machte der Neonaziszene und deren SympathisantInnen konsequent klar, dass einer Ideologie und Praxis der Ausgrenzung, Einschüchterung und Gewalt gegen Andersdenkende eine klare Absage erteilt wird.

Mittlerweile haben sich die AN-Bbg aufgelöst, jedoch agieren ihre ProtagonistInnen in zum Teil neuen Organisationen wie der Partei „Der III. Weg“ weiter. In Bückeburg traten sie in letzter Zeit nur noch in Großgruppen auf, versuchten dabei jedoch wiederholt, Antifaschist_innen anzugreifen.
Dem antifaschistischen Widerstand wird von der Justiz mit einer Reihe von Verfahren begegnet. Staatsanwaltschaft und Jugendrichter am Amtsgericht Bückeburg fallen dadurch auf, jegliche Bagatellen in einen politischen Kontext zu pressen und diese zum Prozess zu bringen. Die Masse an Verfahren, die sie seit 2013 sammeln und der damit gerechtfertigte erhöhte Verfahrensaufwand waren Anlass, sie als Sammelprozesse zusammenzufassen und eine Instanz nach oben an das Jugendschöffengericht zu verweisen. Diesem sitzt derselbe Richter vor und reichte das Verfahren mit der gleichen Begründung an das Landgericht weiter. Für die Beschuldigten, welche zur Tatzeit Jugendliche waren, bedeutet diese Verschleppung eine massive Zumutung und Einschränkung. Die Anwälte der Betroffenen kritisieren in diesem Zusammenhang den Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz für Jugendstrafverfahren, das Wegfallen von Berufungsinstanzen und eine völlig überflüssige Aufwertung der Tatvorwürfen.

Die Ignoranz der Verantwortlichen in Verwaltung, Polizei und Politik gegenüber Opfern rechter Gewalt sowie das konsequente Leugnen organisierter rechter Strukturen trugen zu einer Stärkung der Neonaziszene bei. Das Verhalten von Polizei und Justiz gegenüber Antifaschist_innen ist dabei Ausdruck einer reaktionären Einstellung, die sich durch sämtliche Institutionen in Bückeburg zieht. Die Kriminalisierung antifaschistischer Praxis war Anlass dafür, die Kampagne „Antifaschistischer Selbstschutz ist legitim und notwendig!“ ins Leben zu rufen. Mit einer Demonstration im April 2015 drückten ca. 300 Teilnehmende ihre Solidarität mit den Betroffenen der Verfahren aus. Das Bündnis ruft außerdem dazu auf, die Mitte November 2015 beginnenden Prozesse kritisch zu begleiten und den Neonazis bei den Verhandlungen keinen Raum für Provokationen zu lassen. •

Zeigt eure Solidarität, informiert euch über die bevorstehenden Prozesse auf antifa­solibbg.noblogs.org oder spendet für die Betroffenen!